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Wohnungsbau

Wie Nachkriegssiedlungen modern werden können

Wie sich Wohnsiedlungen aus der Nachkriegszeit effizient sanieren und nachverdichten lassen, untersucht die Landesbaugenossenschaft Württemberg derzeit in einem Modellprojekt in Stuttgart-Bergheim. Dort wird die Zahl der Wohnungen einer Wohnsiedlung aus den 60er-Jahren von 76 auf 170 erhöht.

Alt und neu: Im Vordergrund einer der entkernten Wohnblöcke, dahinter das aufgestockte und sanierte Nachbarhaus.

Jürgen Schmidt)

Stuttgart. Zwei bis vier Geschosse, mehrere Eingänge in den langgestreckten Wohnblocks und ein flaches Satteldach. Solche Mehrfamilienhäuser wurden in den 1950er- und 1960er-Jahren massenhaft gebaut, nicht nur in Baden-Württemberg, sondern in der gesamten Bundesrepublik. Bisher wurden solche Siedlungen oft abgerissen, um Platz für neue Wohnungen zu schaffen.

Die Landesbaugenossenschaft (LBG) Württemberg geht nun einen anderen Weg. Im Molchweg an der westlichen Grenze der Landeshauptstadt wird eine 1960 fertiggestellte Wohnsiedlung saniert und erweitert. Und das Projekt soll zum Vorbild werden, über das genossenschaftliche Unternehmen hinaus. „Wir wollen hier ein System entwickeln, um den Umbau einfacher und übertragbar zu machen“, erklärt die Technische Geschäftsführerin, Antje Durach.

Altbauten werden in Holzhybridbauweise aufgestockt

Das gilt sowohl für bautechnische Details, da Wohnhäuser aus dieser Zeit oft ähnlich gebaut und ähnliche Baumaterialien verwendet wurden. Das gilt aber auch für rechtliche Fragen. So habe man in Zusammenarbeit mit der Stadt Stuttgart erreichen können, dass trotz der erheblichen Erweiterung der Wohnfläche kein neuer Bebauungsplan benötigt wurde, erläuterte Durach kürzlich beim Besuch des Präsidenten des Bundesverbands deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen, Axel Gedaschko , am Molchweg. Neu gebaut wurde nach den Bestimmungen des Paragrafen 34 des Baugesetzbuchs, der die Zulässigkeit von Bauvorhaben innerhalb bebauter Ortsteile regelt. Und auch zusätzliche Stellplätze habe man nicht errichten müssen.

Nachhaltig ist das Projekt der LBG aus mehreren Gründen: Nur drei der 17 Bestandsgebäude wurden abgerissen, um Platz für einen größeren Neubau zu schaffen. So wurde ein großer Teil der grauen Energie bewahrt. In dem Neubau sind 29 Wohnungen und ein Kindergarten untergebracht. Zum Zweiten werden die Bestandsgebäude in Holzhybridbauweise aufgestockt. Das hat allerdings nicht nur ökologische Gründe. Wegen der Statik wäre eine Aufstockung in Massivbauweise aufgrund des Gewichts sehr viel aufwendiger und damit auch teurer geworden. Und zum Dritten wird der Flächenverbrauch durch Nachverdichtung und Aufstockung in Grenzen gehalten.

60 Millionen Euro werden investiert

Den Neubau mit Kindergarten und Wohnungen hat die LBG bereits im Herbst 2021 in Betrieb genommen. Bis Ende dieses Jahres soll der zweite Bauabschnitt abgeschlossen werden. Dabei entstehen in den sanierten und aufgestockten Bestandsgebäuden und ihren Anbauten zur Straße hin 38 Wohnungen, darunter 15 Sozialwohnungen. Die übrigen Wohnblocks werden dann in den kommenden Jahren umgebaut.

Obwohl die Wohnungsgenossenschaft am Molchweg insgesamt rund 60 Millionen Euro investiert und damit so viel wie nie zuvor für ein Einzelprojekt, sollen die Mieten in den neuen Wohnungen bezahlbar bleiben. Für neue Mieter werde der Quadratmeterpreis bei 14,90 Euro Kaltmiete liegen, erläutert der kaufmännische LBG-Vorstand, Josef Vogel. Bestandsmietern habe man garantiert, dass die Mieten trotz des Neubaustandards nicht steigen. Sie zahlen laut Vogel 6,90 Euro pro Quadratmeter. Dies lasse die Kalkulation durch die etwas höheren Mieten für die neuen Mieter zu. „Wir sehen unsere Wohnungen als Sozialgut und nicht nur als Wirtschaftsgut“, betonen beide Vorstände.

Kritik von Anwohnern an „überdimensioniertem“ Neubau

Trotz des Pilotcharakters und des Beitrags gegen den Wohnraummangel in Stuttgart war das Projekt der Landesbaugenossenschaft vor Ort in Bergheim nicht unumstritten. Anwohner in den Eigenheimen auf der anderen Seite der Straße stießen sich vor allem an dem Neubau parallel zum Molchweg. Sie monierten, dass das Haus überdimensioniert sei und nicht in die Siedlung passe. Durch den Verzicht auf ein Geschoss wurde der Streit dann beigelegt.

Auch die ursprünglichen Pläne zur Ergänzung der Bestandsgebäude mussten angepasst werden. Die Anbauten fallen nun kleiner aus, um die Frischluftzufuhr aus dem südlich angrenzenden Wald sicherzustellen. Der städtische Gestaltungsbeirat hatte zudem kritisiert, dass die ursprünglich geplanten Anbauten aufgrund ihrer Größe den Charakter der Siedlung verändern würden.

Preisgekrönte Genossenschaft

Die Sanierung und Erweiterung der Wohnanlage am Molchweg in Stuttgart ist nicht das einzige Großprojekt der über 100 Jahre alten Landesbaugenossenschaft (LBG). Für das neue Stadtquartier Fehrle-Gärten in Schwäbisch-Gmünd mit 147 Mietwohnungen bis hin zur Senioren-WG wurde die LBG mit dem Zukunftspreis der Deutschen Wohnungswirtschaft ausgezeichnet. Beide Projekte sind zudem Teil des Netzes der Internationalen Bauausstellung IBA 27.

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