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Polizeipilotin Vivien Bartosch lebt ihren Traum vom Fliegen beruflich

Vivien Bartosch hat seit zwei Wochen ihre Berufspilotenlizenz.
Jennifer Reich)Stuttgart. Die Rotorblätter des Bussards drehen sich, werden immer schneller, die Geräusche, die sie verursachen, lauter. Der Polizeihubschrauber hebt langsam ab, bleibt in der Luft stehen. Der Schwebeflug ist mit das anspruchsvollste beim Hubschrauberfliegen. Vivien Bartosch beobachtet, wie die Kollegen sich vom Vorfeld wegbewegen. „Es ist jedes Mal ein krasses Gefühl, wenn man die Startfreigabe bekommt“, sagt die Polizeioberkommissarin und strahlt. Die Nase des Hubschraubers neigt sich nun leicht nach vorne. „Irgendwann greifen die Blätter die frische Luft, es ruckelt einmal ganz leicht durch den Hubschrauber und man merkt, jetzt will die Maschine fliegen“, sagt sie. „Das ist einfach ein tolles Gefühl. Für mich ist jeder Start aufs Neue krass. Das ist mein Beruf. Wunderschön.“
Vivien Bartosch wollte eigentlich Sport studieren. Bis sie in der elften Klasse beim Tag der offenen Tür an der Hochschule für Polizei in Villingen-Schwenningen war. Da hatte auch die Polizeihubschrauberstaffel einen Infostand. Sie sei total begeistert gewesen, erinnert sich die 27-Jährige zurück. Damals dachte sie sich, das schaffe sie ja nie. Doch der Gedanke, zur Polizei zu gehen, gefiel ihr gut. Sie hatte immer ein positives Bild von der Polizei, sagt sie. Ihr Vater und ihr Onkel sind Polizisten, genauso ihre Schwimmtrainer. Und doch hat auch die Fliegerei sie gereizt, ihre Mutter ist Flugbegleiterin.
Nach dem Abitur einigte sie sich mit ihren Eltern darauf, dass sie vor der Berufsausbildung ein Jahr etwas anderes macht, da war sie als Flugbegleiterin tätig. „Hals über Kopf habe ich mich in die Fliegerei verliebt.“ Ihre Bewerbung für das Studium an der Hochschule für Polizei war da schon raus, und als sie die Zusage erhielt, schlug sie die Polizeilaufbahn im gehobenen Dienst ein.
In ihrem Umfeld hatten einige den Berufswunsch Polizeihubschrauberpilot geäußert, erzählt sie. Sie dagegen behielt ihn für sich, nahm aber schon während des Studiums Kontakt zur Staffel auf, 2020 hat sie sich beworben. Corona machte ihr einen Strich durch die Rechnung, 2021 die Ausbildung zur Pilotin zu beginnen.
Wenn der Reiseflug klappt, lernen die Flugschüler den Schwebeflug
Nach dem Studium bewarb sie sich beim Polizeipräsidium Reutlingen . Dort war sie im Revier Reutlingen im Schichtdienst. Sie blieb länger, als sie es geplant hatte. „Aus heutiger Sicht war die Zeit aber sehr wertvoll für die Arbeit als Pilotin.“ Denn sie weiß, wie die Arbeit am Boden abläuft, welche Unterstützung die Kollegen aus der Luft brauchen. Das erste Auswahlverfahren für die Pilotenausbildung hatte sie im Mai 2021 bei der Polizei. Über drei Tage gab es Auswahltests. Die Kandidaten, die die erste Runde erfolgreich absolvieren, schickt die Landespolizei dann ans Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt nach Hamburg. Vivien Bartosch saß zur Vorbereitung oft stundenlang vor dem PC, erkannte Formen wieder, merkte sich Zahlenreihen, beschäftigte sich mit Physik, Mathe und Co.
Im August 2021 ist sie mit sieben Mitstreitern nach Hamburg gefahren. Vier haben das Auswahlverfahren bestanden, in diesem Jahr schaffte es nur einer. Drei schafften damals auch die Untersuchung beim Fliegerarzt. Darunter Vivien Bartosch, ihr Engagement zahlte sich aus. Im September 2023 ging es für sie mit einem Monat Praktikum bei ihrer künftigen Dienststelle am Flughafen Stuttgart los. „Das war eine schöne Zeit, ich habe viele Eindrücke erhalten“, sagt sie. Die Arbeit sei eine ganz andere als die im Streifendienst. „Und das Team ist einfach toll.“ Im Oktober ging es dann nach Hangelar, ein Stadtteil von St. Augustin in Nordrhein-Westfalen. Dort werden die Piloten der Polizei von Bund und Ländern ausgebildet. Von 36 Schülern waren 18 von der Bundespolizei, der Rest aus den Ländern.
Luftraumrecht, Meteorologie und Triebwerkstechnik
Zunächst standen drei Monate Theorie in 13 Fächern auf dem Stundenplan, etwa Luftraumrecht, Meteorologie, Aerodynamik, Hubschraubertechnik, Triebwerkstechnik und Flugplanung. Es folgt drei Monate Englischunterricht. Bis man fliegt, dauert es etwa sechs Monate. Nach der Theorieprüfung starteten die angehenden Piloten ins duale Modell, eine Woche Theorie, eine Woche Praxis. Die Klassen wurden aufgeteilt. Die Gruppe, die Praxis hatte, flog jeden Tag, am Anfang 45 Minuten, später 1,5 Stunden.
Den Funk übernahm der Fluglehrer. Man müsse sich erstmal aufs Fliegen konzentrieren, so Vivien Bartosch. Die Steuer sind eins zu eins gespiegelt, der Lehrer kann jederzeit eingreifen. Wie der erste Flug war? „Eindrucksvoll.“ Beim ersten Flug bekommt man das Steuer im Reiseflug überreicht – in sicherer Höhe, bei einer Geschwindigkeit von 80 bis 100 Knoten, etwa 150 bis 185 Kilometer pro Stunde, bei möglichst gutem Wetter. „In der Theorie weiß man schon, wie es geht“, sagt sie. Man übt das Steigen, Sinken, Beschleunigen und Abbremsen. Die Beine sind an den Pedalen, die Hände am Stick und am Pitch. Die rechte Hand dürfe man nie loslassen. „Sobald man an dem einem etwas ändert, muss man auch am anderen etwas ändern, ansonsten würde sich die Fluglage ändern.“ Will man schneller werden, müssen beide Hände und beide Füße etwas machen, um möglichst gleichmäßig weiterzufliegen. Das erfordert Koordinationsgeschick. „Das macht es zum einen kompliziert, aber ich finde auch attraktiv.“
Klappt der Reiseflug, setzt der Fluglehrer die Schüler in den Schwebeflug, dann bekommt man den Stick, zunächst übt man die Position zu halten, später kommt die Leistung, also die Höhe über Grund hinzu. Später die Pedale. „Am Anfang denkt man, man bleibt auf der Stelle stehen, braucht aber tatsächlich ein Fußballfeld“, sagt Vivien Bartosch. Ein paar Flugstunden kam sie richtig ins Schwitzen, erinnert sie sich. Auf einmal war das Gespür da. Dann übt man das Abheben und Absetzen. „Da muss man darauf achten, dass man wenig Bewegung drin hat.“ Das erste Absetzen war bei ihr zwar nicht holprig, aber sie hatte eine kleine Rotation drin. „Da übt man erstmal auf der Wiese, damit der Hubschrauber nicht beschädigt wird.“
Es folgten verschiedene Module, Arbeiten in Bodennähe, Präzision beim Schweben, man fliegt Präzisionsübungen, etwa das Schwebeviereck. Man fliegt von einem zum anderen Punkt, wie bei einem Würfel mit einer fünf. Zum Schluss muss man den Hubschrauber mit der Nase auf den Punkt in der Mitte steuern und 360 Grad drumherum. „Das ist gar nicht so einfach“, sagt Vivien Bartosch. Man übt und übt.
Nach 30 bis 40 Flugstunden kommt der Solo-Check, für den man die Basisnotverfahren beherrschen muss wie Triebwerksausfall, Feuer, Hydraulikstörung. Alle Warnleuchten, die aufploppen, müssen die Flugschüler abarbeiten können. Besteht man das, darf man in Flugplatznähe alleine fliegen und Schwebeübungen machen. „Das ist die erste fliegerische Hürde.“
Nach einer praktischen Zwischenprüfung darf man auch solo über Land fliegen. Die Flugschüler erhalten Aufträge: Start in Bonn, über Koblenz, dann nach Köln und zurück nach Bonn. 100 Flugstunden müssen sie absolvieren. Der Fluglehrer ist jederzeit per Funk erreichbar, die Schüler werden getrackt. Die Schulungsmaschine ist ein Airbus EC 120, der darf alleine geflogen werden, der H145 von der Staffel in Stuttgart dagegen nicht.
„Ich wusste, ich kann das und ich trau mir das auch zu“
Wie fühlt es sich an, alleine zu fliegen? „Man merkt tatsächlich den Unterschied beim Gewicht, gerade bei der kleinen Maschine, dann hängt sie mehr nach rechts“, sagt Vivien Bartosch. „Und es war wunderschön, alleine über den Kölner Dom zu fliegen.“ Und gleichzeitig verunsichern plötzlich Geräusche. „Man fragt sich, ob sich das schon immer so angehört hat.“ Sie habe sich aber gut vorbereitet und sicher gefühlt, sagt sie. „Ich wusste, ich kann das und ich trau mir das auch zu“, sagt sie.
Im November 2024 folgte die große Prüfung beim Luftfahrtbundesamt in Braunschweig, bei der auch das Wissen aus den 13 Fächern Theorie abgefragt wird. Vivien Bartosch hat auf Anhieb alle bestanden. „Das war eine Riesenerleichterung“, sagt sie. Danach wird nur noch geflogen. „Mit der Prüfung in der Tasche fliegt es sich auch ein wenig entspannter.“
Für Vivien Bartosch ging es dann zurück nach Stuttgart, wo sie auf die Maschine der Polizei Baden-Württemberg umgeschult wird. Die Einweisung übernehmen die Fluglehrer vor Ort. Was anders war? „Die Maschine dreht andersrum, als die Übungsmaschine“, erklärt sie. Dadurch hänge sie auch anders, habe eine andere „gute Seite“. Man macht dann noch mal 40 Stunden auf der Maschine, abgeschlossen wird das Ganze mit der Lizenzprüfung.
Darin werden etwa die Notverfahren abgefragt. Die Prüfung wird abgeflogen, zweieinhalb Stunden dauert sie. Man muss wissen, wo und wie man sicher landen kann. Sind da Tiere oder Menschen oder Stromleitungen? Es geht um das Fliegen auf Sicht. Auch das Navigieren per Karte ist Teil der Prüfung. „Das macht mir Spaß.“
Vivien Bartosch hat ihre Lizenz und wird auf dem Bussard eingelernt
Der Prüfling muss auch zeigen, dass er die Maschine im Griff hat. So muss etwa ein Vollkreis in zwei Minuten geflogen werden, eine Standardkurve nennen das Piloten. „Da geht es darum, dass man die Seitlage genauso einnimmt, dass man nach zwei Minuten mit gleicher Fahrt und auf gleicher Höhe wieder rauskommt. „Das ist schon anspruchsvoll“, sagt Vivien Bartosch. Nach dem Prüfungsflug setzt man auf dem Vorfeld ab. Auch das ist Maßarbeit, man muss quasi blind das Helipad treffen, den blau eingezeichneten, runden Landeplatz. Die Prüfung ist beendet, wenn die Batterie aus ist.
„Ich hab die Batterie ausgemacht und dann hat der Prüfer gesagt: Welcome to the H-club.“ Vivien Bartosch konnte es kaum glauben: „Um Gottes Willen, dachte ich mir. Krass, ich hab es geschafft!“ Das war vor etwa sechs Wochen. Sie hat einige Tage gebraucht, bis sie verinnerlicht hat, dass sie jetzt Co-Pilotin ist. Mittlerweile hat sie ihre Lizenz erhalten. Nun wird sie auf den Hubschrauber eingelernt, sammelt Flugstunden und lernt Polizeitaktik. Im Dezember hat sie ihre offizielle Lizenzfeier.
Zum Ausgleich macht sie leidenschaftlich gerne Sport, gerade trainiert sie für den Triathlon, sie ist bei den Weltmeisterschaften in Spanien dabei. Der Sport war für sie auch in der Ausbildung Ausgleich. Außer Lernen und Sport gab es in der Zeit nichts. Volle Konzentration. „Wie viel man tatsächlich lernen muss, weiß man zum Glück erst hinterher.“
Martin Landgraf leitet die Polizeihubschrauberstaffel | Staatsanzeiger BW
SEK, Hubschrauber, Polizeipferde und Wasserwerfer zum Anfassen | Staatsanzeiger BW
Zur Person
Vivien Bartosch ist 27 Jahre alt und kommt aus der Nähe von Rottweil. Nach dem Studium an der Hochschule für Polizei war sie für zwei Jahre in Reutlingen im Schichtdienst. Da war für sie ihr Berufswunsch aber schon klar: Polizeihubschrauberpilotin. Und so begann sie nach mehreren Auswahlverfahren 2023 die Pilotenausbildung. Dass sie zuvor im Streifendienst war, findet sie mit Blick auf ihre Tätigkeit bei der Hubschrauberstaffel bereichernd. Denn die Polizeioberkommissarin und Copilotin hat gelernt, wie die Kollegen am Boden arbeiten und welche Unterstützung sie wie aus der Luft brauchen.