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Der Lange Weg zum Abriss eines Atomkraftwerks

Von außen sieht das Kernkraftwerk nicht anders als während des Betriebs aus. Doch der Rückbau beginnt innen - und hier ist schon viel geschehen.
EnBW)Neckarwestheim. Jörg Michels steht im Herz des Kernkraftwerks Neckarwestheim 2. Nicht etwa im Anzug, wie man ihn in der Regel von offiziellen Anlässen kennt, sondern in einem grauen Overall, Schutzhelm auf dem Kopf. Der Chef der EnBW Kernkraft, einem Tochterunternehmen des Energieversorgers EnBW, erläutert hier Umweltministerin Thekla Walker (Grüne), ebenfalls mit Schutzhelm und in einem orangefarbenen Overall, den Rückbau der Anlage.

Oben auf einer Plattform stehend, zeigt Michels nach unten auf ein blau leuchtendes Becken. Das Abklingbecken. Hier lagern noch 560 Brennelemente aus den Reaktordruckbehältern. Je nach Brennelement verbleiben sie für drei bis fünf Jahre in dem Becken. Erst danach sind sie entsprechend abgekühlt und können mit dem großen orangefarbenen Kran, der über das Becken fahren kann, herausgenommen und in Castor-Behälter verpackt werden. Mit den ersten 105 Elementen wird dies im Spätherbst geschehen.
Durch eine spezielle Schleuse werden die – dann sicher verpackten Brennelemente – nach draußen geschafft und im Zwischenlager auf dem Gelände eingelagert. Das Zwischenlager, in dem die Castoren auch regelmäßig überprüft werden – schließlich lagern die ältesten Behälter hier schon seit mehr als 20 Jahren – wird inzwischen vom Bund betrieben. Neckarwestheim 2 war das letzte Atomkraftwerk in Deutschland, das im April 2023 vom Netz gegangen ist. Auch hier hat der Rückbau des Kraftwerks längst begonnen. Auch wenn der Reaktordruckbehälter noch unter den großen Betonriegeln liegt, kann hier – selbst wenn gewünscht – kein Strom mehr erzeugt werden. Die dicken Rohre, durch die einst der Wasserdampf, erhitzt durch die Radioaktivität, strömte und die Dampferzeuger für die Stromproduktion antrieb, kann Michels nur noch auf einem Foto zeigen. Die Kreisläufe, quasi die Hauptschlagader des Kraftwerks, sind längst unwiderruflich abgeschnitten und abgebaut. Als nächster Schritt ist die Vorbereitung und dann die Zerlegung der Einbauten des Reaktordruckbehälters geplant.
Innen ist bereits viel abgebaut, was man von außen nicht sieht
Die Kernkraftwerke werden von innen nach außen abgebaut. Ein Grund, dass man auf dem Weg zum Gemeinschaftskraftwerk Neckarwestheim 2, kurz GKN 2 genannt, vom Abbau wenig sieht. Der Weg führt durch die sogenannte Toblerone, einen langen dreieckigen Gang, der das Verwaltungsgebäude mit dem eigentlichen Kraftwerk verbindet. Durch die Fensterfront sieht alle normal aus: Man blickt auf den großen runden Kühlturm mit dem abgeflachten Dach und läuft auch am Kernkraftwerk Neckarwestheim I vorbei. Doch der Fachmann sieht hier gleich, dass der Rückbau in vollem Gang ist. Die ursprünglich kleinere Schleuse nach außen wurde durch ein deutlich größeres Tor mit Schleuse ersetzt, sodass auch große Container mit Bauschutt und weiteren Teilen problemlos nach draußen gebracht werden können.
Auf dem Gelände wurde inzwischen auch ein Reststoffbearbeitungszentrum errichtet. Insgesamt fallen in Neckarwestheim für den Rückbau der beiden Blöcke mehr als 1,1 Millionen Tonnen an Wertstoffen und Reststoffen an. 97 bis 98 Prozent sind Wertstoffe. Sie kommen wieder in den konventionellen Stoffkreislauf, vorausgesetzt sie sind freigemessen, weisen also keine Radioaktivität auf. Ein bis zwei Prozent landen auf Deponien. Der Anteil des radioaktiven Abfalls liegt bei unter einem Prozent. Schwach- und mittelradioaktiver Abfall kommt in ein entsprechendes Zwischenlager auf dem Gelände. Hier werden die Abfälle sicher verwahrt, die künftig im Schacht Konrad endgelagert werden sollen. Hochradioaktiver Abfall, dazu zählen die Brennstäbe, kommt in Castor-Behältern verstaut in ein anderes Zwischenlager auf dem Gelände.

Viele Sicherheitsmaßnahmen bevor man ins Reaktorgebäude kommt
Der Weg ins Herz des Kraftwerks, ins Reaktorgebäude, ist lang. Nicht nur an Strecke – durch die Toblerone, in das nächste Gebäude mit Büros im Charme der 1970er-Jahre, Sicherheitstüren und Kontrollpunkten. Die nächste Hürde ist vor dem Eingang zum Reaktorraum. Hier werden die Ausweise erneut geprüft. Dann heißt es umziehen. Das gilt für Mitarbeiter und Besucher. Die eigene Kleidung wird in einem Spind eingeschlossen. Mit Kittel – Schamkittel genannt – und Badelatschen geht es dann durch die nächste Kontrolle. Dann heißt es erneut umziehen. Statt des Kittels und der Badelatschen gibt es dann einen Overall, Socken und Sicherheitsschuhe. So ausgerüstet, mit Dosimeter in der Brusttasche zur Messung von Radioaktivität und einem Sicherheitshelm auf dem Kopf geht es dann durch eine weitere Sicherheitskontrolle und zur Schleuse.
Hier herrscht Unterdruck, sodass keine Luft aus dem Reaktorgebäude nach außen entweichen kann. Erst wenn die Schleusentür nach außen geschlossen ist, geht die andere auf und gibt den Weg ins Reaktorgebäude frei. Dann heißt es Treppen steigen. Mehrere Stockwerke à 24 Stufen. Am Ende dann der Blick ins Herz des Kernkraftwerks, wo Michels den Rückbau erläutert. Zurück die gleiche Prozedur in umgekehrter Reihenfolge, inklusive zwei Schleusen, wo Mitarbeiter und Besucher auf Radioaktivität geprüft werden. Doch es ist alles gut. Alle dürfen passieren.

Überwacht und gesteuert werden die beiden Kernreaktoren in Neckarwestheim von der Warte aus. In dem Raum sitzen mehrere Mitarbeiter vor Bildschirmen. Sie bekommen die Meldungen, wenn es irgendwo Probleme gibt. Die Warte ist durchgängig besetzt, 24 Stunden, sieben Tage die Woche. Die EnBW führt auch den Rückbau ihrer fünf Kernkraftwerksreaktoren in Baden-Württemberg mit ihren Mitarbeitern durch.
„Es war ein besonderer Moment für die gesamte Schicht als abgeschaltet wurde“, sagt Andre Knapp, der Leiter des Gemeinschaftskraftwerks Neckarwestheim. Sowohl er als auch Michels waren anwesend. Da die Stilllegungs- und Abbaugenehmigungen bereits vorlagen, ging es für die Mitarbeiter auch direkt weiter. „Jeder wusste, wo es für ihn weitergeht“, sagt Michels. Schließlich hatte das Unternehmen, das seinen Mitarbeitern auch eine Beschäftigungsgarantie gegeben hat, viele Jahre Zeit, sich auf das Ende und den Rückbau vorzubereiten. Was auch neue Aufgaben und Themen für alle mit sich bringt.
Die EnBW hat inzwischen viel Erfahrung mit dem Rückbau
Die EnBW hat inzwischen viel Erfahrung mit dem Rückbau von Kernkraftwerken. Seit 2008 wird Obrigheim zurückgebaut. Anfang der 2030er-Jahre soll der Rückbau dort abgeschlossen sein. Ende der 2030er-Jahre soll auch der Rückbau in Neckarwestheim abgeschlossen sein. Zu Diskussionen, die Kernkraft doch weiter zu nutzen, sagt Michels klar: „Unsere Anlagen sind mittlerweile alle fünf im Rückbau soweit fortgeschritten, dass sich diese Frage für uns nicht mehr stellt.“ Darüber hinaus macht er deutlich, dass es derzeit auch keine gesetzliche Grundlage mehr gibt, solche Anlagen weiter zu betreiben.
Umweltministerin Walker zeigte sich beeindruckt von ihrem Besuch. „Hier wird mit allergrößter Sorgfalt und mit Know-how gearbeitet.“ Zugleich machte sie deutlich, dass in Sachen Endlager die Prozesse beschleunigt werden müssten. Denn Zwischenlager seien nicht für die Ewigkeit gebaut.
Fünf Kernkraftwerke
Der Energieversorger EnBW hat in Baden-Württemberg fünf Kernkraftwerke betrieben: Obrigheim, Philippsburg 1 und 2 sowie Neckarwestheim 1 und 2. Als erstes ging Obrigheim vom Netz. Es wird bereits seit 2008 zurückgebaut. Der Rückbau dort soll Anfang der 2030er-Jahre abgeschlossen sein. Inzwischen sind alle Anlagen im Rückbau. Als letzte folgte Neckarwestheim 2. Das Kernkraftwerk ging im April 2023 vom Netz.