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Expertenbeitrag: Verfassungsrecht

Die hybriden Bedrohungen fordern den Rechtsstaat 

Russische Drohnen in Polen und Kampfjets im estnischen Luftraum, auch Berichte über hybride Angriffe gegen zivile Einrichtungen hierzulande nehmen zu. Dies geht einher mit der Frage, wie dies verfassungsrechtlich einzuordnen ist. Diese erörtert Desirée Bychara vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe in einem Gastbeitrag. 
Polizeiauto auf Feld, Absperrband, Strohballen im Hintergrund.

19 unbemannte Drohnen sind kürzlich in den polnischen Luftraum eingedrungen. Auch in Deutschland kommt es zu hybriden Angriffen. Diese bringen auch neue rechtliche Fragen mit sich

IMAGO/Wojciech Olkusnik)

In jüngster Vergangenheit mehren sich Berichte über hybride Maßnahmen gegen zivile und militärische Einrichtungen. So wurden im Februar im Spülsystem der Fregatte Hessen etwa 50 Liter Altöl zur Kontaminierung des Trinkwassers entdeckt. Ebenso häufen sich Sichtungen unbemannter Drohnen über militärischen Liegenschaften sowie elektronische Störmaßnahmen in Form von GPS-Signalstörungen über der Ostsee, die sowohl zivile als auch militärische Navigationssysteme in Polen, Litauen und im deutschen Küstengebiet beeinträchtigten.

Besondere mediale Aufmerksamkeit erregte der Vorfall in der Nacht vom 9. auf den 10. September, als 19 unbemannte Drohnen in den polnischen Luftraum eindrangen. Nach Angaben des deutschen Verteidigungsministers muss von einem vorsätzlichen Einsatz der Flugkörper, die dem russischen Shahed-System beziehungsweise baugleichen Modellen zuzuordnen sind, ausgegangen werden. Sowohl Vertreter der polnischen Regierung als auch der NATO-Generalsekretär wiesen darauf hin, dass mit diesem Vorgang eine sicherheitspolitische Grenze überschritten wurde. Gleichwohl klassifizierte der polnische Ministerpräsident den Vorfall nicht als bewaffneten Angriff im Sinne von Art. 5 des Nordatlantikvertrags, sondern als hybride Bedrohungsmaßnahmen.

Angesichts der aktuellen sicherheitspolitischen Lage ist davon auszugehen, dass Deutschland und die weiteren Mitgliedsstaaten der NATO in Zukunft auch weiterhin hybriden Bedrohungen ausgesetzt sein werden und die Qualität der Maßnahmen zunehmen wird. Damit einher geht auch die Frage nach der verfassungsrechtlichen Einordnung dieses Phänomens. Obgleich keine einheitliche Definition besteht, haben sich gewisse Kernkriterien etabliert. Demnach bezeichnen hybride Bedrohungen koordinierte, in der Regel verdeckte, Einflussnahmen gegen staatliche oder nichtstaatliche Akteure, die – in Abgrenzung zu Sabotageakten – auf eine Destabilisierung abzielen.

Hybride Bedrohungen finden unterhalb der Schwelle eines bewaffneten Angriffs statt

Im Unterschied zur hybriden Kriegsführung sind hybride Bedrohungen kein Mittel oder keine Methode der Kriegsführung, sondern zielen bewusst darauf ab, unterhalb der Schwelle eines bewaffneten Angriffs stattzufinden. Die Verortung unterhalb der Schwelle des bewaffneten Angriffs hat Auswirkungen auf die Anwendbarkeit der Notstandsverfassung, die zwischen innerem und äußerem Notstand differenziert.

Während der innere Notstand etwa Katastrophenszenarien – Art. 35 Abs. 2 und 3 Grundgesetz (GG) – oder innere Unruhen (Art. 91 GG) betrifft, erfasst der äußere Notstand bewaffnete Konfliktlagen. So ist der Verteidigungsfall in Art. 115a Abs. 1 GG definiert als ein Angriff auf das Bundesgebiet mittels Waffengewalt oder die unmittelbare Drohung des Angriffs. Da hybride Bedrohungen grundsätzlich darauf abzielen, unterhalb dieser Schwelle zu agieren, liegen die Voraussetzungen des Verteidigungsfalls nicht vor. Gleichwohl wird mit der zunehmenden Qualität und Quantität hybrider Bedrohungen die Anwendung von Art. 115a Abs. 1 GG diskutiert, soweit die hybride Maßnahme in ihrem Ausmaß der Qualität eines bewaffneten Angriffs entspricht.

Der Begriff des Spannungsfalles gemäß Art. 80a Abs. 1 S. 1 1. Alternative GG ist im Grundgesetz nicht näher definiert. Die Lehre versteht ihn als Vorstufe zum Verteidigungsfall und knüpft an eine außenpolitische Krisenlage, die mit hoher Wahrscheinlichkeit in einen bewaffneten Angriff führen wird, an. Die Einschätzung liegt im politischen Ermessen des Bundestages und ist nicht an eine objektiv-rechtliche Tatbestandslage gebunden. Gleichwohl ist davon auszugehen, dass das Kriterium „Wahrscheinlichkeit eines bewaffneten Angriffs“ aufgrund des systematischen Zusammenhangs der Fälle zum äußeren Notstand in der Prognoseentscheidung betrachtet wird.

Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat in der Resolution 3314 aus dem Jahr 1974 den Begriff des Angriffs als Aggression definiert, wonach der Angriff einen Einsatz von Waffengewalt gegen die Souveränität oder territoriale Integrität eines Staates voraussetzt. Eine hybride Bedrohungsmaßnahme müsste demnach eine erhebliche Intensität sowie eine nachhaltige Beeinträchtigung staatlicher Kernfunktionen aufweisen, um den Spannungsfall zu begründen.

Diese Bewertung lässt sich weder generalisieren noch vorwegnehmen. Trotz der hohen Anwendungsschwelle kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass hybride Maßnahmen ausnahmsweise geeignet sein können, den Spannungsfall auszulösen.

Können hybride Bedrohungen einen äußeren Notstand auslösen?

Ähnliches gilt für den Zustimmungsfall gemäß Art. 80a Abs. 1 S. 1 2. Alternative GG mit der Besonderheit, dass eine diesbezügliche Zustimmungskompetenz die Auslösung von einzelnen Rechtsvorschriften vorsieht. Der Bündnisfall nach Art. 80a Abs. 3 GG stellt auf den Beschluss eines internationalen Organs im Rahmen eines Bündnisvertrages ab, worunter vornehmlich der Nordatlantikvertrag zu verstehen ist. Dieser hat als Handlungsgrundlage nach Art. 5 ebenfalls das Erfordernis eines bewaffneten Angriffs gegen einen Bündnispartner, denen hybride Bedrohungen nicht entsprechen.

Die Frage, ob ein äußerer Notstand durch hybride Bedrohungen ausgelöst werden kann, ist von zentraler Bedeutung, da in diesem Fall besondere gesetzliche Befugnisse aktiviert werden können, um einer drohenden oder eingetretenen Schädigung nationaler Interessen entgegenzuwirken. Im Verteidigungsfall erhält die Exekutive erweiterte Handlungsspielräume. So kann gemäß Art. 115f Abs. 1 Nr. 2 GG i. V. m. Art. 80a Abs. 1 GG die Bundesregierung gegenüber Landesregierungen und -behörden Weisungen erteilen, um die Funktionsfähigkeit der Verwaltung über föderale Ebenen hinweg zu sichern.

Darüber hinaus können durch Feststellung eines äußeren Notstands verschiedene einfachgesetzliche Vorschriften und Verordnungen entsperrt werden, namentlich die Vorsorge- und Sicherstellungsgesetze. Diese ermöglichen tiefgreifende Eingriffe in verschiedene Infrastrukturbereiche zur Gewährleistung der Grundversorgung der Bevölkerung – etwa im Bereich Wasser, Energie oder Telekommunikation – sowie zur Aufrechterhaltung der militärischen Einsatzfähigkeit.

Anpassung von Vorsorge- und Sicherstellungsgesetzen

Hybride Bedrohungen verbleiben unterhalb der Schwelle des bewaffneten Angriffs. Aus verfassungsrechtlicher Perspektive bedeutet dies, dass die Regelungen zum äußeren Notstand in der derzeitigen Ausgestaltung in der Regel nicht greifen dürften. Die Reaktion auf solche Bedrohungslagen muss daher weitgehend innerhalb der allgemeinen sicherheitsrechtlichen Zuständigkeiten erfolgen. Zugleich entsteht hierdurch ein rechtlicher Graubereich, in dem die Bedrohungslage signifikant sein kann, die verfassungsrechtlichen Schwellenwerte für Notstandskompetenzen jedoch nicht erreicht werden. Dies betrifft nicht nur hybride Bedrohungen, sondern auch die Maßnahmen, die zur Abschreckung bereits außerhalb des äußeren Notstandes stattfinden, wie etwa die Versorgung von NATO-Truppen, die im Rahmen einer frühzeitigen und friedenszeitlichen Verlegung an die Ostflanke des NATO-Gebietes durch Deutschland reisen.

Zur Überwindung dieser verfassungsrechtlichen Ambivalenz werden verschiedene Möglichkeiten diskutiert. Mit Blick auf eine zeitnahe Umsetzung scheint eine harmonisierte Anpassung der Vorsorge- und Sicherstellungsgesetze zugunsten einer vorverlagerten Anwendung vorzugswürdig. Dies würde der Verwaltung neue Handlungsspielräume eröffnen, um den gegenwärtigen und künftigen Bedrohungslagen zu begegnen.

In eigener Sache:

Beim BOS-Tag am 11. November spricht Desirée Bychara-Hahn über rechtliche Aspekte, die mit der Umsetzung von Maßnahmen in der Zivilen Verteidigung eingehen. Weitere Infos unter: https://akademie.staatsanzeiger.de/bos-tag-2025

Zur Person

Desirée Bychara arbeitet im Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. Im Referat Koordination Zivile Verteidigung / Zivil-Militärische Zusammenarbeit beschäftigt sich die Volljuristin damit, wie sich aktuelle sicherheitspolitische Fragestellungen auf die rechtlichen auswirken. Inwiefern diese die Umsetzung und Vorbereitung von Maßnahmen in der Zivilen Verteidigung betreffen, erläutert sie am 11. November beim BOS-Tag des Staatsanzeiger in Ludwigsburg.

Desiree Bychara-Hahn
Privat)

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