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Kommentar

Grenzkontrollen mit Augenmaß

Im Kommentar erklärt Staatsanzeiger-Chefredakteur Rafael Binkowski, warum die Grenzkontrollen einerseits ein politisches Signal senden, andererseits aber Pendler, Wirtschaft und Nachbarn im Elsass und in der Schweiz belasten.
Drei Polizisten gehen auf einem Gehweg, Polizeifahrzeuge im Hintergrund.

Eine Kontrollstelle am deutsch-französischen Grenzübergang bei Kehl.

IMAGO/Philipp André)

Als diese Woche der Ministerpräsident Winfried Kretschmann ins Elsass und in die Schweiz gereist ist, war die Delegation erstaunt, wie verärgert vor allem die Franzosen über die von Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) verhängten Grenzkontrollen sind. Pendler kommen bis zu 30 Minuten zu spät, verpassen Anschlusszüge, das Auftreten der Bundespolizei sei oft barsch, und es gebe zu wenig Kommunikation.

Kretschmann bekannte sich zwar grundsätzlich zu dem Gedanken, mit Grenzkontrollen die irreguläre Migration einzudämmen. Doch vor den Kameras sagte er dann doch deutlich, dies könne kein Dauerzustand sein. Tatsächlich hat auch sein Europa-Staatssekretär Florian Hassler in einem Brief an Dobrindt um mehr „Fingerspitzengefühl“ gebeten.

Und genau darum geht es. Die Grenzkontrollen haben einen hohen symbolischen Wert, nach innen und nach außen. Die Zahl der ankommenden Flüchtlinge ist in diesem Jahr um 70 Prozent gesunken, womit man dem – ohnehin falschen – Narrativ der „unkontrollierten Masseneinwanderung“ der AfD Zahlen entgegensetzt. Und die Kommunen real entlastet. Und nach außen in Richtung Schleuser setzt es das Signal: Es ist riskant, die Grenze zu überqueren. Denn es gibt natürlich Pullfaktoren wie das Bürgergeld für Ukrainer oder generell höhere Leistungen, die Binnenwanderungen in der EU erzeugen.

Wichtig ist aber, diese Grenzkontrollen mit Augenmaß zu vollziehen. Zwischen Kehl und Straßburg oder Weil am Rhein und Basel überqueren jeden Tag Zehntausende Pendler die Grenze. Warum kann man deren Kennzeichen nicht digital erfassen und sie durchlassen? Kontrolleure könnten schon vor der Grenze in den Zug einsteigen, so dass dieser nicht halten muss. Und man könnte die Hauptverkehrszeiten weniger streng kontrollieren. Das würde kein Jota an der Botschaft ändern, dass Deutschland nicht jeden reinlässt, aber im Alltag für viel Erleichterung sorgen. Nicht zuletzt leidet die Wirtschaft in den Grenzregionen unter den Beschwernissen.

Die hohe Intensität der Überprüfungen mit vielen Überstunden kann die Bundespolizei ohnehin nicht dauerhaft leisten. Stichproben und unregelmäßige Auftritte reichen auf Dauer, abriegeln lassen sich 3867 Kilometer Außengrenze sowieso nicht. Im Oberrhein und zur Schweiz liegen wirtschaftsstarke Regionen nebeneinander, in denen irreguläre Migration kaum eine Rolle spielt. Es bleibt zu hoffen, dass bei allem Verständnis für politische Signale auch in Berlin die Einsicht reift, dass man mit etwas Pragmatismus viele Verstimmungen mit den Nachbarn beseitigen könnte. Nachbarn, die wir in Europa gerade in diesen schwierigen Zeiten dringend benötigen.

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