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Interview

Thomas Berger: „Wir brauchen Menschen, die den Mut haben, nicht zu gefallen“

Thomas Berger ist Präsident des Präsidiums Technik, Logistik, Service der Polizei. Er versteht seine Behörde als Dienstleister - für die Polizei und für die Bürger. Er fordert Sonderrechte im digitalen Raum und neue Mindsets. Letztere werden im Innovation Hub der Polizei - einer Art Reallabor - bereits gelebt.
Ein Polizist in Uniform steht in einem Raum mit grüner Wand und gelben Sofas.

Thomas Berger setzt sich dafür ein, dass die Polizei auch im digitalen Raum Sonderrechte erhält. Und dass die Polizei auf dem neuesten Stand der Technik ist.

Jennifer Reich)

Staatsanzeiger: Herr Berger, Sie ermuntern dazu, die richtigen Fragen zu stellen. Was ist für die Polizei die richtige?

Thomas Berger: Wie können wir bei dem gesellschaftlichen Wandel Menschen so beschützen, dass sie Sicherheit als selbstverständlich erleben?

Dazu braucht es digitale Tools, staatliche Institutionen sind eher zögerlich.

Da ist viel in Bewegung, dies hängt aber meist von Einzelnen ab. Wir haben keine durchgängige Innovationskraft im Staat. Jeder, der mal einen neuen Ausweis gebraucht hat, kennt das. Mir fehlt die Innovationskraft, die aus der Mitte der Gesellschaft, aus Bund, Land und Kommunen kommt.

Aus Ihrer Sicht sollte sich die Polizei personell auch ein Stück weit öffnen.

Auf jeden Fall. Hier bei uns im Innovation Hub arbeiten Polizisten und Experten verschiedenster Professionen zusammen. Das ist spannend. Wir haben lange Zeit Souveränität mit Autarkie verwechselt, haben alles selber gemacht, haben Polizisten zu IT-Experten ausgebildet. Das ist nicht erfolgreich. Die innere Sicherheit wird zunehmend auch von Menschen gemacht, die keine Polizisten sind.

Das stößt nicht nur auf Gegenliebe.

Das ist ein Prozess, daran müssen wir uns gewöhnen. Das Entscheidende dabei ist das Mindset. Viele Menschen haben dieses und ich frage mich, warum wir das nicht in die Institutionen transformiert bekommen.

Steht der Staat sich da auch selber im Weg mit den vielen Regelungen?

Da kommt es auf die Definition von Staat an. Der Staat sind wir alle. Wenn wir aber von staatlichen Institutionen sprechen – diese stehen sich nicht selten im Weg. Hier ein Praxisbeispiel: Wir wollen einen hochqualifizierten IT-Experten verbeamten beziehungsweise einstellen und keines der arrivierten Modelle passt auf diese Berufsgruppe und es klappt letztlich nicht. Dann darf uns doch der Gedanke nicht zufrieden machen, dass wir zumindest formal alle Verfahrensregeln eingehalten haben. Zumal diese nicht selten Jahrzehnte auf dem Buckel haben und auf das Onboarding in solchen Berufsgruppen nie ausgelegt waren. Verfahren müssen dem Erreichen von Zielen dienen und nicht umgekehrt. Tun sie dies nachweislich nicht mehr, müssen diese angepasst oder gestrichen werden.

Ist der Datenschutz Teil des Problems?

Wir haben Bereiche, dazu gehört auch der Datenschutz, da haben wir veraltete Rechtsgrundlagen. Ich streite gerne über das Thema Datenschutz, aber da möchte ich für den Landesdatenschutzbeauftragten eine Lanze brechen. Er kann nur das Recht anwenden, das ihm zur Verfügung steht.

Also sollte man sich die Regeln anschauen und prüfen, ob die Stellung des Datenschutzes im Kontext anderer zu schützender Güter noch in Balance ist?

Ja. Und das ist typisch Deutsch: Wenn wir es machen, dann richtig. Über Jahrzehnte hat man den Datenschutz stiefmütterlich behandelt und jetzt geht es ins andere Extrem. Menschen sind privat sehr freigiebig mit ihren Daten. Sobald aber der Staat Daten will, fühlen sie sich bedroht.

Das passt nicht zusammen.

Überhaupt nicht. Ich denke, der Datenschutz muss seinen Platz im Reigen der Grundrechte noch finden. Früher hat er gar keine Rolle gespielt, jetzt spielt er eine zu dominierende. Das muss man wieder einsortieren. Bei der Polizei kommen eben die Grundrechte zusammen, da gibt es dann automatisch Konflikte.

Sonderrechte, also Blaulicht, sind in der analogen Welt selbstverständlich. Im digitalen Raum nicht. Wieso nicht?

Ich weiß es nicht und ich verstehe es auch nicht. Die analoge Welt ist keine schlechte Welt, die Digitalisierung basiert auf deren Werten. Die Anleihen aus der analogen Welt lassen sich also gut in die digitale übernehmen. Man braucht Sonderregelungen für den Staat – unter juristischer Kontrolle – die es ermöglichen, die gleichen Rechte zu bekommen, wie die, die sich nicht an Recht und Gesetz halten. Der Bankräuber, der sich auf der Flucht an die Straßenverkehrsordnung hält, ist noch ni cht erfunden. Da dürfen wir mit Blaulicht hinterher. In der digitalen Welt verlangt man aber von der Polizei, dass wir einhalten, was die Täter nicht einhalten und dazu noch zehn Prozent Sicherheitspuffer. Das ist eine Analogie, die es trifft, und das macht uns die Arbeit schwer und manchmal unmöglich.

Sie warnen, dass ohne ein Umdenken die Demokratie gefährdet wird.

Der Staat, das sind wir. Wir nehmen ihn aber durch die Institutionen wahr.

Das heißt, wir geben Verantwortung ab.

Genau, Sie zahlen Steuern und haben eine gewisse Dienstleistungserwartung an den Staat. Das ist ok. Sie bezahlen mein Gehalt und haben bei der Sicherheit eine Erwartungshaltung. Es gibt vier Bereiche, die funktionieren müssen, das ist die absolute Grundlage. Es braucht ein Bildungssystem, das seinen Namen verdient und nicht vom Geldbeutel abhängt. Die Infrastruktur muss funktionieren. Wohnen muss bezahlbar sein. Und Menschen wollen in Sicherheit leben, und zwar in einer äußeren Sicherheit, die die Bundeswehr gewährleistet und in einer inneren, die die Polizei gewährleistet. Wankt nur eine dieser Säulen, nehmen Bürger das als Staatsversagen wahr. Vielleicht wankt gerade mehr als eine Säule.

Also was tun?

Ich habe gelernt, dass man Probleme nur löst, wenn man sich eingesteht, dass man welche hat. Diese vier Säulen sollen die Menschen nicht bewusst wahrnehmen, tun sie das, ist das meist kein gutes Zeichen. Ich werde übrigens oft kritisiert, viele sagen, ich überzieh das Thema. Das mag sein, dass es überspitzt klingt, aber ich bin der Meinung, dass das unsere Prämisse sein muss. Der Staat hat für die elementaren Grundfesten zu sorgen. Das können die Bürger erwarten.

Sie verstehen also den Staat als Dienstleister, genauso wie das PTLS.

Ja. Wenn der Bürger hier reinkommt, muss er spüren, dass sein Steuergeld gut angelegt ist. Das, was wir hier machen, ist nicht billig.

Sie meinen das Innovation Hub?

Auch, aber auch die Polizei insgesamt. Der durchschnittliche Bürger hat zwei, drei Mal in seinem Leben Kontakt mit der Polizei, da wäre es cool, wenn wir das nicht versauen.

Für ein neues Mindset braucht es Führungsstärke. Gibt es die ausreichend?

Es gibt überall mutige Menschen, die Themen ansprechen. Aber es ist nicht flächendeckend Usus, dass Streit um die besten Dinge als gut angesehen wird. Wir haben in der gesellschaftlichen Entwicklung eine recht konformistische Grundhaltung. Konformismus ist für gute Lösungen immer schlecht. Nur aus einer zivilisierten Streitkultur kommen gute Lösungen raus, erwächst Kreativität. Mir fehlt der konstruktive Streit.

Sie sagten mal, dass Sie viele Diskussionen als schräg empfinden. War das bei der Debatte um Palantir auch so?

Ja, denn im Prinzip wird die Ambivalenz zu einer Person auf ein Produkt übertragen. Würde man das bei jedem Produkt, das wir nutzen, machen, wäre das einfach eine schwierige und blöde Debatte. Niemand würde doch ernsthaft auf die Idee kommen, ein Produkt, das einen echten Nutzen hat, nach der Persönlichkeit des Gründers zu bewerten. Die Diskussion ist verzerrt. Um was geht es denn im Grunde? Es geht um Souveränität. Wir wollen nicht abhängig sein von Mächten, die nicht durch uns gesteuert werden. Es ist doch völlig egal, welche Meinung Peter Thiel privat teilt. Palantir ist deswegen nicht böse. Wir tun alles dafür, dass die Software in dem Setting, in dem wir sie einsetzen, sicher ist. Fakt ist, sie schließt eine wichtige Befähigungslücke, damit wir die Menschen beschützen können. Mir wäre es wichtiger, wir würden in der Sache debattieren. Brauchen wir die Software? Ja. Weil wir die Menschen beschützen wollen und sie führt uns dazu. Wollen wir dauerhaft abhängig sein? Nein. Das heißt, wir müssen unsere Unabhängigkeit wiederherstellen.

Ist unsere Debattenkultur krank?

Entscheidend für die Demokratie ist Bildung. Es braucht ein Grundverständnis für Demokratie und das Wissen, dass sie einem auch etwas abverlangt. Das war mal Grundkonsens. Der steht zunehmend in Frage. Lügen ist hoffähig geworden, es wird immer schwieriger, die individuelle Meinung und Wahrheit von der Wirklichkeit zu unterscheiden. Aber nur, wenn Wirklichkeit die Basis der Auseinandersetzung ist, ist ein Streit konstruktiv. Wenn aber Meinung als Wirklichkeit gesetzt wird und man nicht mehr kompromissbereit ist, wird es schwierig. Das nehme ich wahr und ich hoffe, dass wir das wieder hinkriegen.

Dazu braucht es auch Selbstreflexion.

Vor allem müssen wir in Kontakt kommen. Wir müssen Formate finden, darüber zu sprechen. Bei Instagram geht das nicht. Da finden Meinungen mehr oder weniger unreflektiert eine Echokammer für sich selbst. Es braucht aber eine Kultur, in der der Widerspruch positiv erlebt werden kann. So erlebe ich das auch als Chef. Sonst sind Sie nämlich als Chef selber in der Echokammer, weil Menschen immer versuchen, konformistisch zu sein und ihren Vorteil dadurch zu erreichen, dass sie anderen gefallen. People Pleasing. Da braucht es auch mal eine Korrektur von außen. Drei Dinge sind elementar: Der Glaube an die Wissenschaft, eine messbare Wirklichkeit. Die Wissenschaft zu negieren, ist ein riesengroßes Problem für die Demokratie. Zweitens: Eine freie Presse, die versucht, in der Recherche die Wahrheiten zu sortieren, einzuordnen und der Wirklichkeit zuzuführen. Und: Menschen, die den Mut haben, nicht zu gefallen. Also die ihre Ämter dazu nutzen, zu sagen, was ist.

Und Menschen brauchen das Rüstzeug, um in einer Demokratie zu leben.

Demokratie ist für die Bürger mühsamer als Diktatur. Das ist meine Meinung, das können andere anders sehen. Ich habe ja auch meine eigene Wahrheit. Und die Stelle ich zur Diskussion. Auch ich liege mal falsch. Und da müssen wir wieder hinkommen. Wir müssen Meinungen zur Debatte stellen. Egon Bahr hat mal gesagt, Toleranz beginnt da, wo man mal den Eindruck gewinnen könnte, dass der andere auch recht hat. Da müssen wir wieder hin.

Im Innovation Hub wird dies gelebt?

Wir kreieren eine messbare Verbesserung der inneren Sicherheit durch Innovation. Wir arbeiten also nicht direkt für die Demokratie, aber wir arbeiten daran, diese Säule innere Sicherheit so gut zu machen, dass die Menschen spüren: Hey, der Staat ist etwas wert. Wir können das nur machen, weil wir in einer Demokratie leben. Der Mensch hat in seiner Geschichte immer durch die Pluralität profitiert. Und das Innovation Hub ist sowas von Plural. Es steht für Freiheit. Freiheit und Innovation sind siamesische Zwillinge. Ohne Freiheit im Denken, ohne Meinungspluralismus gibt es keine Demokratie. Und keine Innovation. Deswegen fighte ich so für dieses Thema.

Das Gespräch führte Jennifer Reich

Zur Person

Seit fünf Jahren leitet Thomas Berger das Präsidium Technik, Logistik, Service der Polizei mit Sitz in Stuttgart Bad Cannstatt. Der 53-Jährige versteht das Präsidium als Dienstleister für die Polizei. Dort arbeiten nicht nur Polizisten, sondern Experten aus verschiedenen Bereichen. Neben Informations-, Kommunikations- und Einsatztechnik sind Berger und sein Team auch für die Informationssicherheit, den Polizeiärztlichen Dienst und die Arbeitssicherheit zuständig. Seit 2025 gibt es dort auch ein Innovation Hub, quasi ein Reallabor der Polizei.

Thomas Berger im Gespräch mit Redakteurin Jennifer Reich. Foto: Andrea Wagner
Jennifer Reich)

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