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Das Stuttgarter Autoherz setzt immer öfter aus

Bei Porsche war lange nicht einmal der Himmel die Grenze. Inzwischen wird in Stuttgart-Zuffenhausen mit Sportwagen kaum noch Geld verdient.
IMAGO/Arnulf Hettrich)Stuttgart. „Ich sage dazu lieber nichts.“ Am Tor 1 des Bosch-Werks in Stuttgart-Feuerbach verdüstern sich die Mienen, wenn man die Beschäftigten zur Lage im Betrieb befragt. Die meisten drängen lieber kommentarlos weiter. „Halt die Gosch, i schaff beim Bosch“ ist ein Satz, der hier schon seit einem Jahrhundert gilt. Es ist Ausdruck von Stolz. Aber auch einer verschwörerischen Verschwiegenheit. Das beherzigen jetzt besonders viele, streicht der Konzern doch bis zum Jahr 2030 mehr als 24.000 Stellen . Denn der stolze Bosch-Satz kennt eine düstere Fortsetzung: „Hättsch dei Gosch g’halte, hätt‘ dich dr Bosch b‘halte.“
So bekommt man am Tor 1 allenfalls den grummeligen Satz „wie soll die Stimmung schon sein?“ zu hören. Allein in Feuerbach streicht Bosch 3500 Stellen, 1500 davon in der Produktion. Im benachbarten Waiblingen soll ein Standort mit 1400 Stellen schließen. Zudem stellt der größte Autozulieferer der Welt viele Arbeitsplätze in Verwaltung und Entwicklung in Frage. „Bei uns ist die Stimmung auch mies“, hört man aus der Zentrale auf der Gerlinger „Schillerhöhe“ vor den Toren der Landeshauptstadt.
Noch hat Bosch 67 000 Arbeitsplätze in Baden-Württemberg
Im Stuttgarter Stadtteil Feuerbach ist Bosch das mit Abstand prägendste Unternehmen. Seit 1909 steht hier die Stammfabrik des Konzerns, nachdem in der Innenstadt kein Platz mehr für die Expansion mehr war. Hier schlägt das Diesel-Herz von Bosch. Drum herum viele moderne Gebäude, in denen der Konzern unter anderem das Archiv, verschiedene Zentralfunktionen und die Maschinenbau-Tochter Etas angesiedelt hat. Allein in Feuerbach arbeiten mehr als 15 000 Menschen für den Konzern. Insgesamt beschäftigt Bosch im Großraum Stuttgart 37 000 Menschen. In Baden-Württemberg sind es 67 000. Bosch will 22 000 Stellen im Autobereich bis Ende 2030 streichen. Wie viele es in der Region sind, ist derzeit noch offen.
In Stuttgart schlägt seit jeher das Herz der Autoindustrie. Schon 1882 hatte Gottlieb Daimler in seinem Gartenhaus im Stadtteil Cannstatt mit ersten Versuchen begonnen. Dort unten im Neckartal ist die Heimat von Mercedes-Benz. Hier herrscht ebenfalls Verunsicherung . Im Sommer hat der Konzern mehr als 40 000 Briefe an seine Mitarbeiter verschickt. Die Zentrale in Untertürkheim will abklopfen, wer bereit wäre, das Unternehmen zu verlassen. Wie viele es sein sollen, verrät Vertriebsvorständin Britta Seeger nicht. Man habe 600 Millionen Euro für Abfindungen bereitgestellt. „Die werden wir bis März komplett verwenden.“
Immer öfter setzt das Stuttgarter Autoherz aus. Noch vor zwei Jahren haben die Beschäftigten von Mercedes eine Rekordprämie von 7300 Euro kassiert. Für das nächste Jahr droht sogar ein Ausfall der Sonderzahlung. Ebenfalls in Cannstatt ist Mahle angesiedelt. Der viertgrößte Autozulieferer der Welt fertigt vor allem Kühler und Kolben. Der Konzern hat bereits 7600 Stellen abgebaut und richtet die Produkte mehr und mehr auf Elektro- und Wasserstoffantriebe aus. Doch der Markt will nicht anziehen. Entsprechend ist dort die Stimmung ebenfalls angespannt. Jetzt sollen weitere 1000 Beschäftigte gehen – vor allem in Stuttgart .
Ernüchterung herrscht auch im Stadtteil Zuffenhausen. Wer dort bisher bei Porsche gearbeitet hat, gehörte selbst unter den gut verdienenden Beschäftigten der Stuttgarter Autoindustrie zu den Spitzenverdienern. Hohe vierstellige Prämien waren lange Zeit die Regel.
Jetzt vollzieht der Vorstand der Sportwagenschmiede eine Vollbremsung. Bis 2029 sollen 1900 Stellen wegfallen. Dabei verlängert Porsche schon seit einem Jahr keine Zeitverträge mehr. Mehr als 2000 Frauen und Männer sind bereits aus dem Unternehmen verschwunden. Selbst die Beschäftigungssicherung bis 2030 wackelt. Dann könnte Porsche sogar betriebsbedingt kündigen.
Stellenabbau ist auch ein Dauerbrenner bei Daimler Truck, dem Lkw-Hersteller mit Sitz in Leinfelden-Echterdingen vor den Toren Stuttgarts. „Wir haben Regelungen für mehr Effizienz und Flexibilität mit dem Unternehmen vereinbart. Das Management strebt auch einen Stellenabbau an. Es ist aber noch nicht absehbar, wie viele Arbeitsplätze letztlich auf dem Prüfstand stehen“, erklärt Gesamtbetriebsratschef Michael Brecht. Doch jetzt müsse der Vorstand aber auch sagen, wie das Unternehmen wieder an die Spitze kommen kann. „Da haben wir in den vergangenen Jahren an Boden verloren.“ Mit Kostensenkungen alleine werde die Krise nicht gelöst.
„Die eigentlichen Folgen des Stellenabbaus sind noch gar nicht abzusehen. Das macht den Leuten Sorgen“, beschreibt Brecht die allgemeine Verunsicherung in der Region. Die ist längst über die Werkstore hinaus angekommen. Nicht nur in der Feuerbacher Tankstelle vor Tor 1 gehen die Umsätze zurück, weil die Leute sparen. Einzelhandel, Gastronomie und Dienstleister bekommen die Verunsicherung bei Bosch, Porsche oder Mercedes zu spüren.
„Früher kamen die Kunden alle zwei Wochen. Jetzt sind sie erst nach vier Wochen wieder da“, berichtet Simona Bajoriuniene. Bei der aus Litauen stammenden Friseurangestellten schütten viele Kunden, die bei Bosch oder Porsche arbeiten, ihr Herz aus. „Die Stimmung ist nicht gut“, bestätigt sie. Die meisten würden abwarten. Nur ein Kunde habe bisher die Abfindung von Porsche angenommen. „Der ist jung. Ob das so eine gute Idee war?“, zweifelt die Friseurin, die selbst von den Gehältern ihrer Kunden nur träumen kann.
„Ich bin seit 33 Jahren dabei und habe schon viele Krisen erlebt. Mal sehen was wirklich kommt“, erklärt Damir, der zusammen mit seinem Kollegen Zlatko dann doch vor dem Tor 1 stehen bleibt. Die beiden Bosch-Mitarbeiter wollen ihre Nachnamen aber lieber nicht in der Zeitung lesen. Sie repräsentieren jedoch die unterschiedliche Gemütslage vieler Beschäftigter in der Stuttgarter Autowelt. „Ich habe einen Antrag gestellt“, bestätigt Zlatko. Der 57-Jährige meint damit den Einstieg in Altersteilzeit mit Abfindung. Wenn die Konditionen passen, sei er weg. Die Bundesagentur für Arbeit rechnet damit, dass viele Ältere die Option wählen. Einen Überblick habe man aber nicht.
„Für mich kommt das nicht in Frage“, betont Damir. „Wer nimmt mich denn noch mit 50? Und auch noch zu den gleichen Konditionen wie beim Bosch?“ Er habe mit seiner Frau schon mal ausgerechnet, was an Abfindung zusammenkommen müsste, um sich ein Leben in der bosnischen Heimat leisten zu können. „Da komme ich derzeit noch nicht hin.“ Doch der 50-Jährige gibt sich gelassen. „Vielleicht ändern sich die EU-Vorgaben doch noch. Dann geht es ja auch mit dem Diesel weiter.“
Neben Stuttgart trifft die Autokrise die ganze Region. Von Heilbronn im Norden über Ludwigsburg, Sindelfingen, Waiblingen, Esslingen bis nach Reutlingen im Süden. Neben den großen Adressen wie Mercedes, Porsche, Audi, Bosch oder Mahle hängt eine Vielzahl von Mittelständlern am Auto. Insgesamt arbeiten 240 000 Frauen und Männer in der Branche. Das ist jeder fünfte Beschäftigte in der Region – in Baden-Württemberg jeder Siebte. Das Auto hat die Region Stuttgart zu einer der reichsten Europas gemacht.
Es gab auch früher schon Krisen, doch diese ist anders
Über Generationen galt: Ein Arbeitsplatz in der Branche ist eine Lebensstellung. Jetzt bekommt diese Gewissheit Risse. Dies gilt gerade für das enge Band bei Bosch zwischen Firma und Beschäftigten. Bei Krisen hielt man zusammen. „Das ist ein Kulturbruch“, urteilt Helmut Meyer, stellvertretender Gesamtbetriebsratschef. Das Management könne vor allem nicht sagen, was denn nach dem Stellenabbau nachhaltig besser werden soll. „Mit welchen Produkten soll es denn künftig weitergehen?“, will Meyer wissen. Eine Antwort bleibt die „Schillerhöhe“ bisher schuldig.
Heftige Krisen gab es in der Stuttgarter Autoindustrie schon früher. In den 1990er-Jahren hing Mercedes tief in den Seilen und Porsche drohte sogar das Aus. Auch bei den Zulieferern herrschte Alarmstimmung. Gleichwohl spürt man in der Region, dass es diesmal um grundsätzliche Zukunftsfragen geht. Welche Technologie ist die richtige? Und welche Qualifikation muss man mitbringen, um in der Autoindustrie oder im ebenfalls von der Krise betroffenen Maschinenbau arbeiten zu können?
Diese Ungewissheit treibt viele Menschen derzeit um. Die Leute sparen, obwohl sie eigentlich keine Entlassung befürchten müssen. Die Stellen sind durch Betriebsvereinbarungen gesichert – noch. Und fürs kommende Jahr erwartet die Bundesagentur sogar eine leichte Zunahme der Beschäftigung von 0,1 Prozent. Allerdings warnt eine Studie, die von der Landesregierung in Auftrag gegeben wurde, dass bis 2030 allein in Baden-Württemberg 66 000 Stellen rund ums Auto wegfallen könnten.
Allerdings sieht Susanne Herre, Hauptgeschäftsführerin der IHK Region Stuttgart, im Fachkräftemangel die größere Herausforderung für die Region: „Bis 2035 könnten über 100 000 Stellen unbesetzt bleiben.“ Daimler-Betriebsrat Brecht bleibt deshalb zuversichtlich: „Wir sollten nicht alles schlecht reden, sondern uns erinnern, wie wir Erfolge erreicht haben. So schlecht waren wir in den letzten 130 Jahren der Unternehmensgeschichte nämlich nicht.“
Länderchefs gegen die EU
Die Ministerpräsidenten der Länder fordern mehr Flexibilität beim Wechsel zum E-Antrieb. Sie pochen auf eine Aufweichung des 2025 greifenden EU-Verbrennerverbots . Die Elektromobilität sehen sie zwar als zentrale Zukunftstechnologie. Jedoch seien auch „ergänzende Lösungen wie hocheffiziente Verbrenner, Plug-in-Hybride und Elektrofahrzeuge mit Range Extender“ erforderlich. Die EU-Kommission hat eine Überprüfung ihres Kurses in Aussicht gestellt.