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Kribbeln auf der Haut: ASMR in den Sozialen Medien

Seit Ende 2019 ist die gebürtige Münsterländerin in den Sozialen Medien aktiv. Heute lebt sie am Bodensee.
IMAGO/Christoph Hardt)Friedrichshafen. Sie sitzt flüsternd vor ihrem rosa Mikrofon. Auf ihrer Wange ist ein kleines Herz gemalt, die Fingernägel leuchten in bunten Farben. In der Hand hält sie einen Lipgloss, den sie mit einem schmatzenden Geräusch öffnet. Das Mikrofon fängt jeden Laut ein und gibt ihn verstärkt an ihre Zuschauer weiter.
Unter ihrem Künstlernamen Miss Mi stellt die geborene Münsterländerin Videos in die Sozialen Medien, in denen sie ASMR-Geräusche erzeugt. ASMR steht für „Autonome sensorische Meridianreaktion“. Gemeint ist damit ein angenehm kribbelndes Gefühl auf der Haut, so ähnlich wie die „Gänsehaut“. Fast zwei Millionen Menschen schauen sich ihre Videos auf YouTube an. Über vier Millionen auf TikTok: „Die ASMR-Bubble auf Social Media ist, glaube ich, die netteste Community der Welt“, sagt die 34-Jährige. Seit 2019 stellt sie Videos ins Netz. Dabei ist ihr nicht nur wichtig, dass sie ihre Zuschauer unterhält: „Ich biete ihnen einen Mehrwert. Einen Safe Space zur Entspannung.“
Es gab keinen „radikalen Cut“ in die Selbstständigkeit
In einem früheren Leben war sie Medienberaterin mit einem ganz normalen Büroalltag, erzählt sie. Ein Arbeitskollege hielt sie eines Tages auf und spielte ihr ein YouTube-Video vor, in dem eine Frau mit einem Mikrofon etwas aß: „Das hat mich total geflasht. Dass man wirklich so doll die Geräusche hören kann, als wäre man im Mund der Person.“
Zu Hause hat sie dann mehr ASMR-Videos geschaut und sich inspiriert gefühlt: „Ich wollte mich selbst kreativ ausleben.“ Also lieh sie sich ein Mikrofon von ihrem Mann und drückte selbst das erste Mal auf „Aufnahme“.
Ein Video, wie sie sich nach dem Duschen die Haare kämmte, brachte ihr die ersten Follower ein. Mit ihnen kamen auch die ersten Kommentare: Die Leute wollten mehr sehen – und vor allem hören. Der erste Erfolg, bei dem eines ihrer Videos mehr als 15.000 Aufrufe erhielt, kam aber erst noch. Der erste große Schub an Abonnenten kam hinzu, als sie das erste Video auf Deutsch veröffentlichte: „Ich dachte, in Deutschland kennt das niemand, weil ich selbst auch nur auf Englisch solche Videos konsumiert habe.“ Heute macht die Influencerin nur noch Content auf Deutsch.
Ihren Job als Medienberaterin hat sie 2021 aufgegeben. Das ging Schritt für Schritt und ohne „radikalen Cut“. Sie reduzierte erst ihre Stunden: „Dann war ich nur noch zwei Tage die Woche auf der Arbeit, aber meine Community brauchte mich noch mehr.“ Also machte sie sich mit ihrer Arbeit in den Sozialen Medien selbstständig.
ASMR ist eine Art Meditation
Ihre Zuschauer kommen aus allen Berufsgruppen und sind altersmäßig bunt gemischt. Ihre Videos werden von ganzen Familien geschaut oder von Einzelpersonen. Sie erhalte auch Rückmeldungen von Soldaten aus der Bundeswehr und Krankenschwestern im Schichtdienst, denen sie beim Einschlafen helfen kann: „ASMR ist eine Art moderne Meditation“, erklärt die Influencerin selbst.
Leider, sagt Miss Mi, gebe es aber viele Menschen, die ASMR vorverurteilen: „Ich glaube, jeder Mensch findet irgendeinen Sound gut. Demnach müsste jeder Mensch auf der Welt ASMR mögen, ohne es vielleicht zu wissen.“
Deshalb versuche sie, eine positive Botschafterin zu sein. Immerhin reiche die Bandbreite von Regengeräuschen bis hin zu raschelndem Laub und endet nicht bei schmatzendem Lipgloss. Menschen, die ASMR nicht kennen, sollten es nicht direkt abstempeln, sondern häufiger umdenken, so Miss Mi. Dann achte man auch im Alltag viel mehr auf all die Geräusche.
In ihren Videos bezieht sie auch Zuschauer mit ein, die aufgrund ihrer körperlichen Voraussetzungen nichts sehen können. Dann beschreibt sie die Gegenstände wie farbenfrohe Pinsel und bunte Spielzeuge, bevor sie ihre Geräusche mit dem Mikrofon einfängt: „ASMR schafft es, Menschen auf allen Ebenen anzusprechen.“
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