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Essay

Karlsruhe verliert die Geduld

Die Beamtenbesoldung gehört endlich richtig reformiert. Die Politik muss vor die Welle kommen.
Ein Mann mit Glatze und Bart schaut nachdenklich, Hände gefaltet.

Finanzminister Danyal Bayaz plagen viele Sorgen.

Bernd Weißbrod)

Es gab schon Zeiten, da war es vergnüglicher, Finanzminister von Baden-Württemberg zu sein. Seit Jahren stottert die Konjunktur, und die für Danyal Bayaz (Grüne) überraschend erfreuliche Herbststeuerschätzung darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Lage prekär bleibt. Die Stimmung in der Wirtschaft, vor allem in der Automobil- und Zuliefererbranche, die jahrzehntelang das ökonomische Rückgrat des Landes bildeten, ist alles andere als gut. Darunter leiden nicht nur die betroffenen Kommunen, sondern mittelfristig auch der Landeshaushalt.

Tarifabschluss kurz vor der Landtagswahl?

Dazu kommen die am Mittwoch gestarteten Tarifverhandlungen. Die Gewerkschaften haben im April einen ordentlichen Abschluss bei Bund und Kommunen erreicht und werden nicht lockerlassen, bis die Länder im kommenden Frühjahr nachziehen. Die dritte und möglicherweise letzte Verhandlungsrunde fällt in die Endphase des baden-württembergischen Landtagswahlkampfs. Zwar sitzt Danyal Bayaz nicht am Verhandlungstisch. Doch Hamburgs Finanzsenator Andreas Dressel (SPD), der die Länder vertritt, weiß auch, dass er in einem Jahr mit fünf Landtagswahlen nicht im luftleeren Raum operiert. Ein allzu hartes Einsteigen könnte die in den Ländern regierenden Parteien – also allen außer der AfD – Wählerstimmen kosten.

Daneben haben Bayaz und seine Kollegen im Bund und in den Ländern aber noch ein Problem, dessen Tragweite sich kaum einschätzen lässt. Rund 70 Verfassungsbeschwerden in Sachen Beamtenbesoldung stehen derzeit in Karlsruhe zur Entscheidung an. Und allmählich scheint das Bundesverfassungsgericht die Geduld zu verlieren.

Es ist ja auch einiges passiert. Ob exorbitante Kinderzuschläge, fiktive Partnereinkommen oder Beförderungen, die nicht dazu führen, dass einer anschließend mehr verdient – das Besoldungsrecht verkommt zunehmend zum Flickwerk. So ist das, wenn man sich jahrzehntelang weigert, eine Sache richtig anzugehen. Wenn man auf die Urteile aus Karlsruhe nur reagiert, statt zu agieren. Wenn anstelle echter Reformen bloß Schadensbegrenzung betrieben wird.

Beamten-Bashing kommt nicht von ungefähr

Eine Folge davon ist das Beamten-Bashing. Wenn ein baden-württembergischer Beamter ab dem dritten Kind 1000 Euro pro Stammhalter mehr verdient, sorgt dies natürlich für Neid und entsprechende Schlagzeilen, nicht nur in der Boulevardpresse. Dabei bekommt der Beamte diesen Kinderzuschlag ja nur, weil der Dienstherr kalkuliert, dass ihn das immer noch günstiger kommt als eine grundlegende, am Leistungsprinzip orientierte Reform der Beamtenbesoldung.

Ähnlich verhält es sich mit dem fiktiven Partnereinkommen. Man kann ja mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass es in einer vierköpfigen Beamtenfamilie einen Partner gibt, der etwas zuverdient. Doch liegt es am Gesetzgeber, dies auch empirisch zu belegen. Dann wird aus dieser Berechnungsgröße ein Schuh. Die Frage ist, ob ein Mikrozensus dafür ausreicht. Damit hat das baden-württembergische Finanzministerium 2024 bei der Einführung des fiktiven Partnereinkommens argumentiert.

2026 könnte das Jahr der Entscheidung werden. In Karlsruhe könnten all jene Urteile fallen, auf die Beamte und Richter seit Langem warten. Zuletzt mehren sich die Anzeichen, dass die Politik das Problem erkannt hat, zumindest in Baden-Württemberg. Andreas Schwarz, Fraktionschef der Grünen, betonte kürzlich mehrfach bei einer Veranstaltung des Beamtenbunds, wie wichtig eine verfassungs- und amtsangemessene Besoldung sei. Auch die Vertreter von CDU, SPD und FDP unterstrichen die Wichtigkeit des Berufsbeamtentums.

Wer widerspricht, muss nicht klagen

Bayaz‘ Finanzministerium hat nach dem jüngsten Urteil aus Karlsruhe zur Besoldungspraxis in Berlin die vor einiger Zeit unterbrochene Praxis wieder aufgenommen, Widersprüche ruhend zu stellen. Das heißt, dass Beamte, die seit der Einführung des fiktiven Partnereinkommens im November 2024 Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit ihrer Bezüge hegen, den Dienstherrn nicht mehr verklagen müssen, um ihre Ansprüche zu wahren. 4000 Widersprüche sind eingegangen.

Das ist schon einmal ein Anfang. Noch besser wäre es allerdings, wenn auch alle, deren Widerspruch bereits negativ beschieden wurde, von dieser Regelung profitierten. Punkt drei ist, sich nun endlich einmal über ein zukunftsweisendes Besoldungsrecht Gedanken zu machen. Auch wenn das teuer wird.

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