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Künstliche Intelligenz im Bewerbungsprozess

KI im Recruiting: Wie gerecht es zugeht, hängt vom Menschen ab

Künstliche Intelligenz (KI) kann Personalern dabei helfen, den Ablauf von Bewerbungen effizienter zu machen. Doch viele Bewerber befürchten, dass sie dem Algorithmus zum Opfer fallen. Was wirklich dran ist und wie Bewerber ihre Chance mit KI sogar selbst erhöhen können.

dpa/ Westend61 | Andrew Brookes)

„Unpersönlich, nicht gut und komisch“ – das kommt den meisten als erstes in den Sinn, wenn sie an KI im Bewerbungsprozess denken. Das ist ein Ergebnis einer Studie aus dem Jahr 2022, die von der IU Internationalen Hochschule mit Sitz in Erfurt durchgeführt wurde. 1005 Personen zwischen 16 und 65 Jahren wurden nach ihren Ansichten zu KI im Recruiting befragt. 43 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass künstliche Intelligenz den Bewerbungsablauf für sie verschlechtert. Sind die Befürchtungen berechtigt?

„Die Risiken für die Bewerbenden sind groß“, warnt Bettina Dürr. Sie arbeitet bei Algorithmwatch, einer gemeinnützigen Forschungs- und Advocacy-Organisation in der Schweiz, die Systeme automatisierter Entscheidungsfindung und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft beobachtet und analysiert.

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KI-Modelle werden vom Menschen mit Daten gefüttert

„Der Arbeitsmarkt ist bereits jetzt ein Umfeld, in welchem verschiedene Gruppen diskriminiert und schlechter gestellt werden“, sagt Dürr. Dies zeige sich in den Erwerbsverläufen und Daten der Bewerber. „Wenn diese Daten verwendet werden, um ein algorithmisches System zu trainieren, kann es dazu führen, dass diskriminierende Muster erkannt und verstärkt werden.“

Algorithmische Systeme und Machine Learning könnten also nur zu mehr Gerechtigkeit im Bewerbungsprozess führen, wenn alle relevanten Bewerberdaten in das System einfließen können und Ungleichheiten nicht bestärkt werden. „Ob ein System diskriminiert oder für mehr Gerechtigkeit sorgt, liegt weniger an der Technologie selbst als an diesen menschlichen Entscheidungen“, so Dürr.

Laut Claudia Heß, Professorin für digitale Transformation an der IU Internationalen Hochschule, wird KI mit historischen Daten trainiert, etwa welche Personen das Unternehmen in der Vergangenheit eingestellt hat. „Dadurch besteht die Gefahr, dass wir der KI die eigenen Vorurteile und Stereotype mitgeben und sie letztlich verstärken“, erklärt Heß. Darin bestehe aber wiederum eine Chance, vorausgesetzt, das KI-Tool wird verantwortungsbewusst entwickelt und getestet: Vorurteile werden für die Personalverantwortlichen sichtbar. Dies könne beim weiteren Trainieren und Fine-Tuning der KI-Tools dann angepasst werden, sodass die KI-Tools faire und objektive Entscheidungen unterstützen.

“ Es besteht die Gefahr, dass wir der KI die eigenen Vorurteile und Stereotype mitgeben und sie letztlich verstärken.“

Claudia Heß, Professorin für digitale Transformation an der IU Internationalen Hochschule

KI im Recruiting kann Diskriminierung verstärken

„Grundsätzlich kann man sagen, dass KI am Ende des Tages nur so gut ist, wie die Menschen, die diese geschaffen haben“, ergänzt Alexander Brem, Direktor am Institut für Entrepreneurship und Innovationsforschung (ENI) der Universität Stuttgart. „Wenn diese also irgendwelche bewussten oder unbewussten Vorurteile haben, können sich diese natürlich auch in den KI-Tools widerspiegeln.“

Foto: Ludwig Olah

„Grundsätzlich kann man sagen, dass KI am Ende des Tages nur so gut ist, wie die Menschen, die diese geschaffen haben.“

Alexander Brem, Direktor am Institut für Entrepreneurship und Innovationsforschung (ENI) der Universität Stuttgart

KI könne Diskriminierung also fördern – aber auch verhindern. „Wenn zum Beispiel ein Bewerber Legasthenie hat, kann ihm ein KI-Tool helfen, sich professionell auszudrücken. Vielleicht bewirbt er sich dann auch bei Stellen, wo er das ohne KI nicht getan hätte“, so Brem. Natürlich müsse er beim Gespräch offen damit umgehen. Im Endeffekt kann KI also auch die Chancen erhöhen, zum Bewerbungsgespräch eingeladen zu werden.

Gerade Schülern könnte KI beim Trainieren von Bewerbungsgesprächen helfen. So kann die KI zum Beispiel ihre Körpersprache und Rhetorik analysieren. „Wer schüchtern ist, und lieber erstmal vor einer KI üben will, für den kann das sehr hilfreich sein“, sagt Heß.

Vorteile von KI im Recruiting

Brem sieht weitere Vorteile in KI beim Recruiting: Als Bewerber verbringe man weniger Zeit mit aufwändigen Recherchen und Formulierungen. Damit könne man sich mehr auf die Inhalte konzentrieren, und wie man sich präsentieren will. Neue KI Tools ermöglichten zum Beispiel, dass man aus einem PDF Dokument eine Powerpoint-Präsentation erstellen kann, und andersherum. Das sei eine sehr große Arbeitsersparnis.

Personaler auf der anderen Seite können Bewerbungen automatisiert erfassen und haben mehr Zeit für die Bewerbungsgespräche. Die Firma Siemens zum Beispiel nutzt KI-Tools bei der Suche nach passenden Bewerbern. Besonders bei hohem Bewerberaufkommen können die Recruiter schneller relevantere Profile sichten und an die Führungskräfte weiterleiten, heißt es vonseiten des Unternehmens. „Natürlich werden weiterhin alle Bewerbungen gesichtet und die Entscheidungen werden immer noch von Recruitern und einstellenden Führungskräften getroffen“, sagt Pressesprecherin Evelyn Necker.

Ein weiteres KI gestützes Tool kommt bei der Formulierung von Stellenanzeigen zum Einsatz. Psychological AI hilft laut Necker den Recruitern dabei, „mit Wortvorschlägen unsere Stellenanzeigen genderinklusiv und attraktiv zu gestalten.“

Nachteile von KI im Recruiting

Nachteile für Bewerber seht Brem darin, dass diese zu sehr auf die KI vertrauen. „Je mehr Menschen diese nutzen, desto ähnlicher werden die Bewerbungen werden.“ Insofern werde auch weiterhin die menschliche Kreativität gefragt sein, zum Beispiel bei der Formulierung von griffigen und an das Unternehmen angepasste Anschreiben.

Das sieht Detlef Gerst, Ressortleiter Zukunft der Arbeit in der IG Metall Vorstandsverwaltung in Frankfurt, ähnlich. „Die meisten Nachteile hängen mit dem Glauben zusammen, dass Technik vergleichbar gut wie Menschen Personal auswählen kann. Eine Personalabteilung, die sich allzu sehr auf diese Technik verlässt, könnte langfristig ihre eigene Beurteilungskompetenz verlieren“, sagt er. Sie könnte auch wertvolle Talente verkennen, die allein aufgrund ihres Geschlechtes, Alters oder aufgrund eines vom Standard abweichenden Lebenslaufes vom technischen System abgelehnt werden.

Foto: IG Metall

„Die meisten Nachteile hängen mit dem Glauben zusammen, dass Technik vergleichbar gut wie Menschen Personal auswählen kann.“

Detlef Gerst, Ressortleiter Zukunft der Arbeit in der IG Metall Vorstandsverwaltung in Frankfurt

Die Grenzen von KI

Neben den vielen Vorteilen, habe KI aber auch ihre Grenzen, merkt Claudia Heß an. „Die Entscheidung, ob jemand neben seiner Kompetenz auch persönlich gut ins Team passt, sollte letztendlich ein Mensch treffen.“ Das sieht auch Kai Burmeister, Landesvorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes, so. „Bei der KI-basierten Personalauswahl ist die Gefahr offensichtlich, dass Menschen leicht Opfer des Algorithmus werden können“, sagt er. „Dies betrifft insbesondere Menschen, die einer Minderheit angehören. Entscheidungen des maschinellen Lernens müssen für Personaler wie für Betriebsräte nachvollziehbar und beeinflussbar sein.“ KI könne also unterstützen, aber das letzte Wort sollten stets die Menschen im Betrieb haben.

Foto: Anna_Sieger_Fotografie

„Bei der KI-basierten Personalauswahl ist die Gefahr offensichtlich, dass Menschen leicht Opfer des Algorithmus werden können.“

Kai Burmeister, Landesvorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes

So schafft man mehr Akzeptanz für KI im Recruiting

Laut der anfangs genannten Studie lehnt ein Großteil der Bewerber KI ab. Wie akzeptiert die neuen Möglichkeiten sind, hängt laut Claudia Heß stark davon ab, wie sehr man schon mit KI in Berührung kam und wofür sie konkret eingesetzt wird. Es macht zum Beispiel einen deutlichen Unterschied, ob Bewerbende einen KI-Chatbot nutzen können, um schnell und unkompliziert Termine zu vereinbaren und den Status der Bewerbung zu erfragen oder ob KI in der Analyse von Bewerbungsgesprächen genutzt wird.

Es sei aber auch wichtig, transparent im Bewerbungsprozess zu sein und den Bewerber zu informieren, welche Anwendungen genutzt werden und ab wann ein Mensch im Spiel ist. Auch lohnen sich aus ihrer Sicht freiwillige Zertifikate, die angeben, dass die KI-Tools im Recruiting verantwortungsbewusst trainiert wurden und eingesetzt werden.

Der „AHA“-Effekt

Brem erlebt immer wieder den „AHA-Effekt“: „Menschen, die KI durchaus kritisch gegenüberstehen, sind begeistert nach der ersten Nutzung. Sie sehen aber auch schnell die Limitationen, dessen man sich bewusst sein muss.“ Auf der Unternehmensseite werde sich KI massiv durchsetzen, weil die Vorteile einfach überwiegen: „sehr einfach zu nutzen, sehr kostengünstig, immer verfügbar.“

Tipps für Bewerber: Die Chance auf ein Bewerbungsgespräch erhöhen

Künstliche Intelligenz (KI) kann sowohl Personalern als auch Bewerbern viel Arbeit abnehmen. Bei KI-Tools unterscheidet man zwischen generativen und transformativen Einsatzmöglichkeiten. Generativ bedeutet, dass die KI selbst aktiv Text generiert. Im Transformativen geht es dann eher um die Analyse und das semantische Verstehen.

Personaler können zum Beispiel Stellenausschreibungen erstellen und optimieren, sie im Hinblick auf Tonalität verändern. Bewerbungsunterlagen können nach vorher festgelegten Keywords durchsucht werden und dadurch eine Vorauswahl der Bewerber treffen.

Für Bewerber sind generative Sprach- und Transformermodelle wie ChatGPT und Google Bard spannend. Die KI kann ein Anschreiben erstellen und der Bewerber kann sie anpassen. „Auf beiden Seiten ist hier auch ein gewisses Know-how und Training gefragt, damit diese Ergebnisse wirklich gut werden, sagt Alexander Brem, Direktor am Institut für Entrepreneruship und Innovationsforschung der Uni Stuttgart.

Bei Anschreiben lohnt es sich, nicht die erste Standardantwort zu nutzen, sondern durch Anpassung der Anfragen an die KI ein individuelles Ergebnis zu erzielen. Auch gibt es bereits Tools, die aus einer kleinen Anzahl selbst geschossener Fotos professionell aussehende Bewerbungsfotos generieren können.

Pia Hemme

Online-Redaktion

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