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Fehlende Lehrerstellen: Noch viele Fragen offen

Die aufgrund einer langjährigen Datenpanne unbesetzten 1440 Lehrerstellen sollen nun zum kommenden Schuljahr besetzt werden.
IMAGO/Pond5 Images)Stuttgart. Dem Kabinett haben Kultusministerin Theresa Schopper und Finanzminister Danyal Bayaz (beide Grüne) schon gemeinsam Bericht erstattet darüber, was bis heute bekannt ist zur Fehlerfassung von Stellen durch das Landesamt für Besoldung. Am vorletzten Plenartag vor der landespolitischen Sommerpause springt Bayaz der Parteifreundin auch öffentlich bei, erläutert, dass so viele Fragen zur Entstehung des Fehlers und dem weiteren Hergang noch nicht zu klären sind, weil „wir frühzeitig informiert haben“. Bewusst sei in Kauf genommen worden, mit Hypothesen zu arbeiten.
Außerdem appellierte der frühere Bundestagsabgeordnete, „nicht dauernd über positive Fehlerkultur nur zu sprechen und dann in der Praxis davon nichts wissen zu wollen und gleich dem dysfunktionalen Staat das Wort zu reden“. Gerade mit Blick auf die anstehende Digitalisierung würden Menschen nicht motiviert, wenn sie jedes Mal bei Problemen mit einer „ganz großen politischen Debatte“ rechnen müssten. „Man kann jeden Quatsch umdeuten, statt Verantwortung zu übernehmen und zurückzutreten wegen Überforderung mit der Amtsführung“, erklärte dagegen für die AfD Rainer Balzer.
FDP droht mit Untersuchungsausschuss
Der Bildungsexperte der CDU-Fraktion Albrecht Schütte erklärte, es gebe offensichtlich verschiedene IT-Systeme und „offensichtlich weiß ein System schon, dass die Lehrkräfte nicht da waren“. Auch die Regierungspräsidien hätten das gewusst, weil sie ja nie einen davon zugeteilt hätten. „Das heißt“, so Schütte, „wir haben eine IT-Landschaft, die ein wenig divers ist, und das kann in Zukunft nicht so bleiben.“ Die Fehler seien „gravierend und mehr als peinlich“, die wichtigsten Konsequenzen aber, „diesen Staat steuerbar zu machen und eine saubere IT-Landschaft mit sauberen Prozessen aufzubauen“. Deshalb sei es wenig sinnvoll, dass „wir unsere Zeit damit verbringen zu sagen, wer seit 2005 an was schuld war“.
Die Opposition ist anderer Meinung. FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke droht sogar mit einem Untersuchungsausschuss, denn der Skandal schreie danach. Wie der Schulexperte der SPD-Fraktion Stefan Fulst-Blei argumentiert auch Rülke mit den vielen Fragen, die in der Sitzung des Bildungsausschusses vom Vortag offengeblieben waren. Tatsächlich machte Kultusministerin Schopper zwar klar, wann ihr Haus über die 1440 unbesetzten Stellen informiert wurde, nicht aber über die Erkenntnisse in den Wochen und Monaten davor.
Kontrollsoftware programmiert wegen vieler einzelner Erfassungsfehlern
Immerhin hatte der Amtschef im Finanzministerium Heiko Engling öffentlich gemacht, dass sogar eine eigene Kontrollsoftware programmiert worden ist, weil viele einzelne Erfassungsfehler aufgetaucht sind . Inoffiziell heißt es, dass bereits im Herbst 2024 die Situation als entsprechend gravierend bewertet wurde. Details werden auch auf Nachfrage nicht genannt. Und unbeantwortet ist auch weiterhin die Frage, wann die Überprüfung durch die Programmierung einer Kontrollsoftware startete, die die Diskrepanzen in der Folge ans Tageslicht brachte.
Einigermaßen positiv sind die Reaktionen auf die vom Kultusministerium beschlossene Verteilung der Geisterstellen mit einem Schwerpunkt auf die Sonderpädagogischen Beratungs- und Betreuungszentren im Land, die früheren Sonderschulen, an die 485 Stellen gehen. Die Grundschulen sollen 350 Stellen erhalten, Gemeinschafts- und Realschulen sowie Gymnasien bekommen jeweils 50 Stellen. Da das neunjährige Gymnasium im Endausbau in einigen Jahren zusätzliche Lehrkräfte braucht, wird eine Vorsorge aus 300 Stellen gebildet. Die Lehrkräfte kommen vorläufig aber an anderen Schularten zum Einsatz, 100 an beruflichen Schulen, 50 an den Gemeinschaftsschulen und 150 an den Real- und Werkrealschulen. Außerdem wird die Krankheitsreserve um 155 statt um 55 Stellen ausgebaut. Für alle Entscheidungen gilt, dass die sogenannte Monetarisierung möglich ist, wonach Schulen Geld bekommen, wenn keine Interessenten zu finden sind und eingestellt werden.
Transparente Aufarbeitung notwendig
Für den Philologenverband freut sich die Landesvorsitzende Martina Scherer vor allem, dass weitere 300 junge Lehrkräfte von Beginn des nächsten Schuljahres an gleich als Gymnasiallehrkräfte eingestellt werden sollen. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) lobt die Einstellungen als „einen Schritt in die richtige Richtung“. Die Landesvorsitzende Monika Stein verlangt aber, noch einmal zurückzublicken. Notwendig seien eine „transparente Aufarbeitung und eine Entschuldigung der Landesregierung“. Grüne und CDU hätten „den offensichtlichen Mangel an den Schulen ignoriert und in vielen Gesprächen mit der GEW bestritten“. Notwendig sei eine Bildungspolitik, die endlich ernst nehme, „was pädagogische Profis sagen“.
Im Wesentlichen geklärt ist, jedenfalls zwischen Finanz- und Bildungsministerium, das weitere Vorgehen. Schopper sagte im Landtag wie schon im Ausschuss in Richtung Opposition: „Auch wenn Sie es nicht gern hören, haben wir den Fehler jetzt Gott sei Dank entdeckt, aber wir haben ihn nicht verursacht.“ Eingerichtet wurde eine Arbeitsgruppe, die unter Einbeziehung des Rechnungshofs, alle offenen Fragen klären soll.
Einzelfall oder Ausdruck tiefliegender struktureller Defizite?
Für Andreas Sturm (CDU) ist eine der zentral zu klärenden Fragen, ob es sich bei dem Fehler um einen Einzelfall gehandelt habe „oder das Ganze Ausdruck tieferliegender struktureller Defizite ist in der Personal- und Stellenverwaltung, im Haushaltscontrolling und nicht zuletzt in der digitalen Infrastruktur“.
Sein Fraktionskollege Schütte brachte dazu noch einen ganz anderen Gedanken ins Spiel und sprach Bayaz direkt an: „Herr Finanzminister, wir waren beide bei derselben Unternehmensberatung.“ Dass ein Konzern das Controlling an seine verschiedenen Fachabteilungen delegiert, könne nicht sein. Eine Landesregierung müsse ebenfalls schauen, „wer kann das zentral controllen“. Das gebe es aber nicht über Nacht „und auch nicht für umsonst“.
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Aufwändiges Verfahren
Die SPD-Bildungsexpertin Katrin Steinhülb-Joos, früher jahrelang Schulleiterin, kennt das aufwendige Verfahren zur Erfassung von Pensionierungen, Schwangerschaften, Versetzungen oder Teilzeitwünschen „nur zu gut“. Es startet für das nächste Schuljahr jeweils vor Ostern. Abgeschlossen ist es nach einer zweiten Schleife immer im Herbst. Steinhülb-Joos kann sich „nur schwer vorstellen“, dass zumindest Fehlerfassungen nach Tarifverträgen, die es seit 2005 nicht mehr gab, nicht viel früher auffielen. Dabei beruft sie sich auf die Informationen, die in den Listen zum Einsatz der Lehrkräfte zusammengefasst sind, und sieht vor allem das Landesamt für Besoldung „als Schwachstelle“.