Themen des Artikels
Um Themen abonnieren und Artikel speichern zu können, benötigen Sie ein Staatsanzeiger-Abonnement.Meine Account-Präferenzen
Die „Gastarbeiter“ haben das Wirtschaftswunder erst ermöglicht

Die „Gastarbeiter“ kamen nach der deutsch-italienischen Vereinbarung von 1955 mit Zügen und Koffern am Hauptbahnhof Stuttgart an.
Hauptstaatsarchiv)Stuttgart. Zwei Koffer liegen in einer Vitrine, eine Gondel aus Venedig als Gastgeschenk auch. Dazwischen sind viele Dokumente aufbewahrt, vom deutsch-italienischen Anwerbeabkommen bis hin zu einem Handelsvertrag zwischen dem deutschen Zollverein und dem Königreich Italien aus dem Jahr 1866.
Aus Anlass des 70-jährigen Bestehens widmet das Hauptstaatsarchiv Stuttgart den Italienerinnen und Italienern, die sich von den 1950er bis in die 1970er-Jahre auf den Weg nach Baden-Württemberg machten, eine Ausstellung. „Das ist ein aktuelles brandheißes Thema“, sagt Archivleiter Peter Rückert. Schließlich geht es um Migration und Zuwanderung, die wirtschaftlich, aber auch kulturell Deutschland bereichert hat. „Ohne dieses deutsch-italienische Abkommen wäre der wirtschaftliche Aufschwung in der Nachkriegszeit nur schwer vorstellbar gewesen“, sagt Kurator Stefan Holz.
In Baden-Württemberg leben heute rund 250 000 gebürtige Italiener, „das ist die größte italienischstämmige Gemeinde“, betont Holz. Die Ausstellung erzählt mit vielen Bildern, Fernseh- und Radiosendungen unendlich viele Geschichten. „Wir haben aber bewusst jetzt keine Einzelschicksale dargestellt, sondern den Fokus auf das Gesamte gelegt“, ergänzt Holz.
Italiener halfen schon beim Eisenbahnbau mit
Obwohl einige Italiener schon im 19. Jahrhundert in Deutschland arbeiteten und beispielsweise den Bau der Eisenbahn erst möglich machten, sorgte das Anwerbeabkommen dafür, dass seit 1955 vier Millionen Italienerinnen und Italiener nach Deutschland kamen. Eines ihrer Hauptziele war Baden-Württemberg. Manche kehrten als Rentner wieder zurück in die ursprüngliche Heimat, Hunderttausende blieben und bereicherten das Land nachhaltig.
„Wir haben die Ausstellung in mehrere Bereiche gegliedert wie etwa Ankommen, Arbeit, Wohnen, Mobilität und Unterstützung“, erläutert der Kurator. Zu sehen sind italienische Fließbandarbeiter bei Porsche und Mercedes-Benz, Männer mit Presslufthämmern in der Hand auf den Straßen, ghettoähnliche Baracken als Unterkünfte, aber auch karge Firmenzimmer mit Doppelbetten, Arbeiter im Fiat-Autuhaus in Stuttgart oder Nonnen, die im Stuttgarter Caritashaus Don Bosco Familien unterstützen oder Frauen am Wochenbett versorgen.
„Einführend werden die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Hintergründe des Anwerbeabkommens beleuchtet“, sagt Kurator Holz. Anschließend werden die Reisewege, die Wohnverhältnisse, die Arbeitsbedingungen und das soziale Umfeld in den ersten Jahren nach der Ankunft behandelt. „Und es stehen natürlich der Einfluss auf und die Beziehungen der italienischen Gemeinschaft zur baden-württembergischen Gesellschaft im Fokus“, betont Holz.
In einem Grußwort aus dem Jahr 1971 anlässlich der Gründung der italienischen Wochenzeitung „La Settimana“ (Die Woche) in Stuttgart schreibt der damalige Ministerpräsident Hans Filbinger (CDU): „Industrie, Handel und Gewerbe, aber auch der öffentliche Dienst sind dankbar für ihre Mithilfe am wirtschaftlichen Wachstum und der gedeihlichen Fortentwicklung unseres Landes.“ Worte von einem rechtskonservativen Politiker, die man heute nur noch selten aus diesen Reihen so hört angesichts der aktuellen Debatten um Zuwanderung.
Zweisprachige Schau zur beidseitigen Beziehung
Die Ausstellung ist zweisprachig in Deutsch und Italienisch gestaltet worden. „Die Ausstellung ist auch eine großartige Gelegenheit, die engen deutsch-italienischen Beziehungen zu leben“, sagt Archivleiter Rückert. Schon seit mehr als einem Jahr arbeitet das Archiv eng mit dem italienischen Generalkonsulat in Stuttgart zusammen.
„Wir erinnern hier an ein großes Ereignis“, sagt Generalkonsulin Laura Lamia. „Damals kamen zwei Nationen zueinander, die kurz zuvor noch verfeindet waren“, betont Lamia. Für Rückert und Lamia steht das deutsch-italienische Anwerbeabkommen für den damaligen Traum und Beginn eines zusammenwachsenden Europas.
Schließlich trugen die italienischen Arbeiter nicht nur zum Wohlstand Deutschlands und vor allem Baden-Württembergs bei, sie bereicherten auch das kulturelle und sportliche Leben. Und das Abkommen selbst war Vorreiter für weitere etwa mit Griechenland oder der Türkei.
Die Landeszentrale für politische Bildung bietet ein umfangreiches Online-Dossier an. Darin ist aber auch zu lesen, wie Deutschland durch die Zuwanderung zum ersten Mal mit Spaghetti, Auberginen, Zucchini und Artischocken in Berührung kam.
Öffnungszeiten
Die Ausstellung „Ankommen und bleiben? 70 Jahre deutsch-italienisches Anwerbeabkommen“ im Hauptstaatsarchiv Stuttgart ist bis zum 30. Januar 2026 zu sehen. Die Öffnungszeiten sind montags bis mittwochs von 8.30 bis 17 Uhr, donnerstags bis 19 Uhr und freitags bis 16 Uhr. Der Eintritt ist frei. Kooperationspartner der Ausstellung sind das Consolato Generale d’Italia (italienisches Generalkonsulat) und das Italienische Kulturinstitut Migrations- und Integrationsforum.