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Für diese Erfindung gab es zwei Nobelpreise: Die Geschichte des Ammoniakreaktors

Der Ammoniakreaktor im Mannheimer Technoseum stammt aus dem Jahr 1922.
Technoseum/Luginsland)Mannheim. Stickstoffatome gelten in der Chemie als „reaktionsträge“, weil sie nur ungern Verbindungen mit anderen Elementen eingehen. Doch im Außenbereich des Mannheimer Technoseums steht eine Erfindung, die den allzu bequemen Teilchen Beine gemacht hat: ein zwölf Meter hoher Ammoniakreaktor. Gäbe es ihn nicht, würde sich die weltweite Zahl der Hungernden vielleicht vervielfachen.
„Der Reaktor stellt aus Stickstoff und Wasserstoff Ammoniak her“, sagt Sammlungsleiter Alexander Sigelen vom Technoseum. „Aus dem gewonnenen Ammoniak lassen sich dann stickstoffhaltige Dünger für die Landwirtschaft produzieren.“
Die Bevölkerung wuchs stark an und das Militär drängelte
Die Geschichte der Chemiemaschine reicht zurück bis in die Zeit um 1900. Im Zuge der Industrialisierung war die Bevölkerung stark angewachsen. Der Ertrag der Felder musste gesteigert werden, doch Kompost und tierische Ausscheidungen konnten die Nachfrage nach Pflanzenfutter nicht mehr decken. Zudem drängelte das Militär, denn der Erste Weltkrieg zeichnete sich bereits ab. „Ammoniak ist auch in vielen Sprengstoffen enthalten“, weiß Sigelen. „Meist nutzte man damals Salpeter aus Chile, allerdings ahnte die Heeresleitung, dass die Seemacht England im Konfliktfall die Lieferungen blockieren würde.“
Also war die Forschung gefragt. Fritz Haber (1868-1934) von der Technischen Hochschule Karlsruhe leistete ab 1904 die experimentelle Grundlagenarbeit zur Synthese des Ammoniaks. Aber erst der Wahlheidelberger Carl Bosch, der in Diensten der Ludwigshafener BASF stand, machte Habers Idee 1913 industrietauglich.
Bosch entwarf eine Konstruktion aus verschiedenen Stählen, die den für die Ammoniaksynthese erforderlichen Bedingungen standhalten konnten. „Im Reaktorinneren“, erläutert Sigelen, „herrschen Temperaturen um 500 Grad Celsius und ein Druck von 300 Bar.“ Letzteres entspricht etwa der Wassersäule bei einer Meerestiefe von 3000 Metern.
Da Stickstoff zu den natürlich in der Erdatmosphäre vorkommenden Gasen gehört, stand die Düngemittelrevolution unter dem Motto „Brot aus der Luft“. Im heutigen Ludwigshafener Stadtteil Oppau errichtete die BASF eine eigene Produktionsanlage für das neuartige Verfahren.
Das Exemplar im Technoseum zählt zu den ältesten überhaupt
„Von dort stammt auch unser Reaktor“, sagt Sigelen. „Er ist Baujahr 1922 und zählt damit zu den ältesten erhaltenen Exemplaren aus dem Oppauer Werk.“ Die erste Generation von Ammoniakreaktoren sei 1921 bei einem Chemieunglück mit 500 Toten zerstört worden.
Museumsbesucher halten laut Sigelen das Brotkraftwerk oft für ein senkrecht gestelltes Kanalrohr. „Umso überraschter sind die Leute, wenn sie erfahren, dass dieses Objekt gleich zwei Chemie-Nobelpreise in den Südwesten geholt hat.“ 1919 bekam Fritz Haber die prestigeträchtige Auszeichnung, zwölf Jahre später dann auch Carl Bosch.