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Kirchen klagten sich nach NS-Zeit selbst an

Kirchenpräsident Martin Niemöller, der spätere Bundespräsident Gustav Heinemann und der EKD-Ratsvorsitzende Otto Dibelius unterschrieben 1945 die Schulderklärung.
dpa/ullstein bild)Stuttgart. Rund sechs Millionen ermordete Juden, Abermillionen Kriegstote weltweit und ein zertrümmertes Land – mit den fürchterlichen Folgen der Nazi-Herrschaft und der eigenen Verantwortung mussten sich in Deutschland auch die evangelischen Kirchen auseinandersetzen.
Eine Konsequenz war die „Stuttgarter Schulderklärung“, die vor 80 Jahren – am 19. Oktober 1945 – von leitenden Kirchenmännern unterschrieben wurde. Historiker sehen das Papier im Rückblick allerdings überwiegend kritisch.
„Durch uns ist unendliches Leid über viele Völker und Länder gebracht worden“, heißt es in der Erklärung, die in der Stuttgarter Markuskirche verabschiedet wurde. „Wir klagen uns an, dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben.“
Bischöfe und späterer Bundespräsident unterzeichnen das Dokument
Zu den Unterzeichnern gehörten amtierende und spätere Landesbischöfe sowie der spätere Bundespräsident Gustav Heinemann. Verfasst wurde das Papier von Mitgliedern des Rats der neu gegründeten Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD): Christian Asmussen, Otto Dibelius und Martin Niemöller.
Die Schulderklärung kam auf Druck hochrangiger Kirchenvertreter aus anderen Ländern zustande: Diese suchten eine Möglichkeit, den deutschen Protestanten einen Weg zurück in die weltweite Kirchengemeinschaft zu ebnen.
Die Münchner Historikerin Claudia Lepp spricht auf der Internetseite der Evangelischen Kirche in Deutschland von „deutlichen Leerstellen“ in der „Schulderklärung“. So wurde der Massenmord an den Juden mit keiner Silbe erwähnt. Die Erklärung enthielt auch keine expliziten Aussagen zur Verfolgung und Ermordung anderer Opfergruppen, wie Lepp schreibt.
Die Schulderklärung traf damals in Deutschland auf Ablehnung und Wut. Menschen sahen sich für NS-Verbrechen in Mithaftung genommen, obwohl sie sich unschuldig fühlten. Der Streit führte am Ende dazu, dass sich nur vier evangelische Landeskirchen – Baden, Hannover, Rheinland, Westfalen – offiziell hinter das Dokument stellten.
Der Theologe Karl Barth sprach positiv über das Papier
Der württembergische Kirchenhistoriker Hermann Ehmer spricht von einem „eigenartigen und einzigartigen“ Dokument. Er erinnert daran, dass der Theologe Karl Barth – einer der Väter der „Bekennenden Kirche“ – zwei Wochen nach Unterzeichnung der Schulderklärung in einem Vortrag in Stuttgart positiv über das Papier gesprochen habe und den Wunsch äußerte, dass ein solches Bekenntnis auch von anderer Seite ausgesprochen würde.
Das 1947 veröffentlichte „Darmstädter Wort“ des Bruderrats der EKD hat dann laut Ehmer die vielfältige Kritik an der Stuttgarter Schulderklärung aufgenommen und etwa den Glauben an eine „besondere deutsche Sendung“ verurteilt. (epd)