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Letzte Ruhestätte für Roms Reittiere entdeckt

Mehr als 100 Pferdeskelette wurden bei Ausgrabungen in Stuttgart-Bad Cannstatt entdeckt. Das ist der größte gefundene Pferdefriedhof in Süddeutschland.
Landesamt für Denkmalpflege)Stuttgart. Grabfunde zählen zu den wichtigsten Quellen der Archäologie. Ende des vergangenen Jahres teilte das Landesamt für Denkmalpflege mit, dass in Endingen am Kaiserstuhl (Kreis Emmendingen) ein Grabgarten aus der Zeit der Frühkelten (450 bis 250 vor Christus) entdeckt wurde mit 18 Bestattungen.
Anfang dieses Jahres hieß es, dass im Heilbronner Stadtteil Neckargartach bei Rettungsgrabungen eine 500 Meter lange römische Fernstraße und verschiedene Bebauungen gefunden wurden. In einem der Steinbauten kamen zudem Teile einer Merkur-Statue zum Vorschein.
Und nun ist der größte römerzeitliche Pferdefriedhof Süddeutschlands in Stuttgart-Bad Cannstatt entdeckt worden, ein weiterer archäologischer Sensationsfund. Bei einer Grabung des Landesamts für Denkmalpflege kamen über 100 Pferdeskelette aus der Römerzeit ans Licht.
Die Tiere gehörten den Angaben zufolge zu einer Reitereinheit, die im 2. Jahrhundert nach Christus am Hallschlag stationiert war. Die Funde ermöglichen nun einzigartige Einblicke in die Pferdenutzung der römischen Armee.
Bad Cannstatt war ein wichtiger römischer Militärstandort
Bad Cannstatt war in der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts nach Christus einer der wichtigsten römischen Militärstandorte im heutigen Südwestdeutschland. Die hier stationierte Reitereinheit hatte einen Bestand von vermutlich über 700 Tieren. Starb ein Tier, wurde es mit ausreichend Abstand zu Kastell und Siedlung auf einem eigens dafür ausgewählten Areal begraben.
Ein Neubauprojekt der Stuttgarter Wohnungs- und Städtebaugesellschaft mbH (SWSG) in dem Areal zwischen Düsseldorfer Straße und Bottroper Straße machte ab Juli 2024 archäologische Untersuchungen notwendig, die nun die Pferdeskelette ans Licht brachten.
„Beim Bau von Wohnblöcken in den 1920er-Jahren waren erstmals Pferdeskelette in der Nähe des Nastplatzes entdeckt worden“, teilt die Denkmalbehörde dazu mit. Bereits damals wurde das Areal als römerzeitlicher Pferdefriedhof beziehungsweise „Schindanger“ gedeutet. Die nun durchgeführten archäologischen Baubegleitungen an der Düsseldorfer Straße und die im Herbst angeschlossene Rettungsgrabung konnten diese Interpretation bestätigen.
„Die ersten, jetzt entdeckten Pferdeknochen wurden stichprobenartig anhand der Radiocarbon-Methode in das 2. Jahrhundert datiert“, berichtet Sarah Roth, die zuständige Archäologin am LAD.
Pferde lassen sich der Reitereinheit zuweisen
„Aufgrund des archäologisch-historischen Kenntnisstandes zum römischen Bad Cannstatt lassen sich die Pferde der Reitereinheit – einer sogenannten ‚Ala‘ – zuweisen, die von zirka 100 bis 150 nach Christus auf dem Hallschlag stationiert war.
Die Truppe mit knapp 500 Reitern dürfte einen Gesamt-Pferdebestand von wenigstens 700 Tieren gehabt haben, Verluste mussten dabei ständig ersetzt werden“, so Roth. Tote Pferde wurden zirka 400 Meter vom Reiterkastell entfernt und mit einem Abstand von 200 Metern zur Zivilsiedlung begraben. „Man schleifte die Kadaver meist einzeln in flache Gruben, wo sie auf der Seite liegend mit gestreckten oder angewinkelten Beinen begraben wurden“, betont die Archäologin.
Die Stelle wurde vermutlich über der Erde markiert, denn trotz einer teils dichten Belegung gab es laut Sarah Roth nur wenige Überschneidungen de r Gruben. „Die Pferde scheinen nicht alle gleichzeitig bei einem großen Ereignis wie einer Schlacht oder Seuche gestorben zu sein“, sagt Roth. Vielmehr lägen hier die Tiere, die während der Anwesenheit der Ala in Bad Cannstatt entweder durch Krankheit, Verletzungen oder aus anderen Gründen starben oder ihrer Aufgabe als Militärpferd nicht mehr nachkamen.
„Konnte das Pferd noch selbst laufen, wird man es auf den Pferdefriedhof gebracht und vor Ort getötet haben, um den schweren Kadaver nicht transportieren zu müssen“, betont die Archäologin.
Die meisten Tiere wurden laut Roth wohl eher entsorgt als bestattet, mit wenigen Ausnahmen: Einem der Pferde hatte man zum Abschied zwei Krüge und eine kleine Öllampe, typische Grabbeigaben für Menschen, in die Armbeuge gelegt.
Weniger Wertschätzung als diesem Pferd hatte man offenbar einem erwachsenen Mann entgegengebracht. Sein Skelett in Bauchlage und ohne jegliche Beigaben fand sich zwischen den Pferdegräbern, weit weg von dem regulären Bestattungsplatz der römischen Siedlung. Hier dürfte ein „Außenseiter“ der antiken Gesellschaft pietätlos verscharrt worden sein.
Einblicke in die Pferdenutzung der römischen Armee
Nach dem Abschluss der Ausgrabungen bietet die große Anzahl an Pferdeskeletten aus Bad Cannstatt nun die seltene Gelegenheit, einen genaueren Einblick in die Pferdenutzung der römischen Armee zu gewinnen, heißt es weiter. Archäozoologische Untersuchungen sollen Aufschluss zu Geschlecht, Sterbealter und Größe der Pferde sowie ihrer Beanspruchung als Reittiere und der Todesursache geben.