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Wie ehemalige NS-Juristen wieder Staatsdiener wurden

Seit 2019 gibt es im Stuttgarter Landgericht eine Dauerausstellung zur NS-Justiz.
hdbgbw)Stuttgart. Im Jahr 2019 hat das Haus der Geschichte Baden-Württemberg in einem Gemeinschaftsprojekt mit dem Oberlandesgericht und dem Landgericht Stuttgart die Dauerausstellung “NS-Justiz in Stuttgart“ konzipiert und realisiert.
Die Schau umfasst eine Dokumentation im ersten Obergeschoss des Landgerichts sowie Stelen auf dem Vorplatz des Gebäudes. Die Stelen sind 423 Menschen gewidmet, die von 1933 bis 1944 im nördlichen Lichthof des alten Justizgebäudes hingerichtet wurden.
Drei NS-Richter, die wieder in den Staatsdienst eingestellt wurden
Die Ausstellung beleuchtet zudem die Biografien von Richtern und Staatsanwälten, die an Todesurteilen mitgewirkt haben. Einer davon war Adolf Schreitmüller, seit 1933 Mitglied der NSDAP und der SA. Er war als Landgerichtsrat beim Sondergericht Stuttgart und beim Volksgerichtshof tätig. Ein anderer hieß Edmund Wetzel, der zwischen 1942 und 1945 bei der NS-Militärjustiz tätig war.
Und Walter Eisele, der in Esslingen geboren wurde und als Amtsgerichtsrat während des Dritten Reichs am Sondergericht Prag und am Landgericht Brünn tätig war und dort mehr als 30 Todesurteile verhängte. Doch was haben diese Juristen noch gemeinsam? Alle drei wurden nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wieder als Richter eingestellt.
„Ab dem Jahr 1949 stellte das Justizministerium des neuen Bundeslandes Württemberg-Baden zwei Drittel der Juristen wieder ein, die an den Todesurteilen des Sondergerichts Stuttgart mitgewirkt hatten“, sagt Sabrina Müller vom Haus der Geschichte und Kuratorin der Ausstellung am vergangenen Donnerstag bei einem Vortrag im Oberlandesgericht.
Nach 1945 wurde Schreitmüller bis zu seiner Pensionierung 1968 Landgerichtsdirektor in Stuttgart. Edmund Wetzel wurde 1958 als Präsident an das Landgericht Ulm berufen, um den Ulmer Einsatzgruppen-Prozess zu leiten. Dieser gilt als der erste große Prozess gegen nationalsozialistische Täter vor einem deutschen Strafgericht. Und Walter Eisele konnte am Oberlandesgericht Stuttgart erneut eine Tätigkeit als Oberlandesgerichtsrat ausüben.
Schier unglaublich ist die Tatsache, dass alle drei von Richard Schmid wieder in den Staatsdienst übernommen wurden. Schmid war selbst wegen Widerstands von der NS-Justiz verfolgt worden. Er verteidigte nach 1933 Mitglieder der Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP) und trat der Partei auch selbst bei.
„Schmid war einer der wenigen unbelasteten Richter“, betont Müller. Nach einer Denunziation der Freiburger SAP-Gruppe wurde Richard Schmid 1938 verhaftet und 1940 wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt. Sein Haftrichter war der bereits erwähnte Walter Eisele!
Im Jahr 1941 wurde Schmid unter Anrechnung der bereits verbüßten Zeit aus der Haft entlassen und zunächst mit einem Berufsverbot belegt. Die französische Besatzungsregierung setzte Schmid 1945 zum Generalstaatsanwalt in Stuttgart ein. 1953 wurde er dort Oberlandesgerichtspräsident, in diesem Amt blieb er bis zu seiner Pensionierung 1964. Als Generalstaatsanwalt und Oberlandesgerichtspräsident Stuttgart war er bis 1964 am Neuaufbau der Justiz und Ermittlungen gegen belastete Juristen beteiligt.
Personalmangel als Grund für die Wiedereinstellung
Doch wie konnte es passieren, dass so viele NS-Juristen wieder eingestellt wurden und Schmid selbst seinen eigenen Haftrichter wieder im Staatsdienst unterbrachte? „Schmid wollte zwar entnazifizieren, aber wegen Personalmangel handelte er vermutlich pragmatisch“, sagt Müller.
Im Jahr 1960 begann die Aufarbeitung und Schmid wurde vom baden-württembergischen Justizminister Wolfgang Haußmann gemeinsam mit Hans Neidhard und Max Silberstein in eine Dreierkommission berufen. Diese untersuchte Vorwürfe gegen Richter und Staatsanwälte, die als Mitglieder von Sondergerichten oder in ähnlicher Funktion an NS-Unrecht mitgewirkt hatten. Allerdings wurde daraufhin nur Eisele vom Dienst suspendiert, während Schreitmüller und Wetzel Karriere machten.
Die nationalsozialistische Strafjustiz
Der Volksgerichtshof und die Sondergerichte waren Terrorinstrumente des NS-Staates. Sie fällten mehr als 16 000 Todesurteile. Die NS-Strafjustiz zielte zunächst auf die Ausschaltung politischer Gegner und die Verfolgung religiöser Gruppen. Das Sondergericht Stuttgart verkündete 60 Prozent der mehr als 400 gefällten Todesurteile nach Beginn des Zweiten Weltkriegs in Strafverfahren wegen Eigentums- und Wirtschaftsdelikten, heißt es in der Dauerausstellung.