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Expertenbeitrag: Rechtsanspruch

Die Ganztagsbetreuung wirft vergaberechtliche Fragen auf

Ab dem 1. August 2026 wird der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Kinder im Grundschulalter schrittweise bis zum Schuljahr 2029/30 eingeführt. Dies wirft vergaberechtliche Fragen auf, insbesondere wenn die Zusammenarbeit mit Trägern der freien Wohlfahrtspflege oder anderen Kooperationspartnern erforderlich wird.

Ab August nächsten Jahres haben Eltern einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in der Grundschule.

IMAGO//Image Source)

Nürnberg . Im sogenannten sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis zwischen Leistungsträgern (wie Stadt- und Landkreise), Leistungserbringern (vor allem freie Wohlfahrtspflegeträger) und Leistungsempfängern/-berechtigten (hier Grundschulkinder) kann je nach Fallkonstellation eine reine Zulassung von Dienstleistungen ohne Beschaffungscharakter vorliegen, die keinen vergaberechtlichen Vorschriften unterfallen. Es kann aber auch ein öffentlicher Auftrag nötig sein, der eine Anwendung des Vergaberechts erfordert.

Eine bloße Zulassung ist gegeben, wenn ein öffentlicher Auftraggeber mit jedem interessierten Unternehmen einen Vertrag abschließt, der die Erbringung der betreffenden Leistungen zu im Vorhinein festgelegten Bedingungen vorsieht, ohne eine Auswahl unter den interessierten Wirtschaftsteilnehmern zu treffen (Europäischer Gerichtshof, 2. Juni 2016, Aktenzeichen: C-410/14).

Vergaberechtliche Einzelfallprüfung ist erforderlich

Für Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe haben die Oberverwaltungsgerichte in Münster (18. März 2005, Aktenzeichen: 12 B 1931/04), Berlin (4. April 2005, Aktenzeichen: OVG 6 S 415.04) und München (6. Dezember 2021, Aktenzeichen: 12 CE 21.2846) entschieden, dass das europäische Vergaberecht nicht anzuwenden ist.

Im Gegensatz dazu hält das Thüringer Oberlandesgericht (9. April 2024, Aktenzeichen: Verg 2/20) das EU-Vergaberecht für den Betrieb einer Kindertagesstätte für einschlägig. Das Bundessozialgericht hat hingegen geurteilt, dass der Einsatz von Integrationshelfern an Schulen für Kinder mit Behinderung nicht der Vergabepflicht unterliegt (17. Mai 2023, Aktenzeichen: B 8 SO 12/22/R). Die Richter sind aber der Ansicht, dass in der Regel eine Einzelfallprüfung erforderlich ist, um festzustellen, ob der Leistungsträger gemäß den gesetzlichen Vorgaben eine vergaberechtliche Auswahlentscheidung anhand von Zuschlagskriterien trifft.

Träger zu pluraler Angebotsstruktur verpflichtet

Der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung ist in Paragraf 24 Absatz 4 Satz 1 Sozialgesetzbuch (SGB) VIII geregelt und umfasst eine Betreuung von acht Stunden an fünf Werktagen, einschließlich der Unterrichtszeit. Ganztägige Bildungs- und Betreuungsangebote können hierbei nach dem Willen des Gesetzgebers auch in Zusammenarbeit mit Dritten erfolgen, wie etwa freien Trägern der Kinder- und Jugendhilfe, Sportvereinen, Musikschulen oder anderen geeigneten Kooperationspartnern. Die Ganztagsbetreuung ist einerseits in die allgemeine Struktur der Kinder- und Jugendhilfe integriert: Leistungsträger sind unter anderem verpflichtet, eine plurale Angebotsstruktur zu schaffen, die die Selbständigkeit der freien Jugendhilfe und insbesondere das Wunsch- und Wahlrecht der Leistungsberechtigten achtet.

Kernangebot ist die Unterrichtszeit und die hat Vorrang

Andererseits sprechen plausible Gründe dafür, dass es sich bei Ganztagsbetreuungsleistungen nicht generell um ein einfaches Zulassungssystem handelt, bei dem mit jedem Leistungserbringer ein Vertrag abgeschlossen wird. Denn der Anspruch auf Ganztagsbetreuung gilt im zeitlichen Umfang des Unterrichts und der Angebote der Ganztagsgrundschulen als erfüllt. Nach der Gesetzesbegründung wird dadurch der Vorrang des Kernangebots der Schule, nämlich der Unterrichtszeit, klargestellt.

Zudem wird geregelt, dass der Anspruch durch die Bereitstellung von Angeboten an Ganztagsgrundschulen erfüllt wird. Dieser Anspruch wird nicht an jeder Schule, sondern nur im Gebiet des Zuständigkeitsbereichs des öffentlichen Leistungsträgers abgedeckt. Dadurch dürfte der Leistungsträger vorrangig über Art und Umfang des Ganztagsbetreuungsangebots und darüber entscheiden, ob er dieses mit einem Kooperationspartner umsetzt. Schließlich haben die Erziehungsberechtigten selbst keine Möglichkeit, Ganztagsbetreuungsangebote außerhalb des Zuständigkeitsbereichs des Leistungsträgers auszuwählen.

Anspruch auf Ganztagsbetreuung

Paragraf 24 Absatz 4 SGB VIII in der ab 1. August 2026 geltenden Fassung lautet: „Ein Kind, das im Schuljahr 2026/2027 oder in den folgenden Schuljahren die erste Klassenstufe besucht, hat ab dem Schuleintritt bis zum Beginn der fünften Klassenstufe einen Anspruch auf Förderung in einer Tageseinrichtung. Der Anspruch besteht an Werktagen im Umfang von acht Stunden täglich. Der Anspruch des Kindes auf Förderung in Tageseinrichtungen gilt im zeitlichen Umfang des Unterrichts sowie der Angebote der Ganztagsgrundschulen, einschließlich der offenen Ganztagsgrundschulen, als erfüllt. […]“.

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