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Funktional ausschreiben wie einst Napoleon

André Siedenberg, Vergaberechtler aus Düsseldorf hat ein Faible für historische Zusammenhänge im Vergaberecht.
Privat)Düsseldorf . Nach dem Sturz Robespierres und dem Ende des Terrors in Frankreich übernimmt im Jahr 1795 das französische Direktorium die Macht. Es ist die Zeit Napoleon Bonapartes, der damals noch als kommandierender General der sogenannten Heimatarmee agiert. General Napoleon Bonaparte kennt die Tücken der Armeeverpflegung und weiß allzugut, dass die Soldaten seiner Armee nur so weit marschieren, wie ihr Magen es zulässt.
General Bonaparte und die funktionale Leistungsbeschreibung
Aufgrund der Versorgungsprobleme, mit denen seine großen Armeen regelmäßig zu kämpfen haben, lobt Napoleon um 1795 ein beachtliches Preisgeld von 12.000 Goldfranken aus. Diese Summe soll den Erfinder einer Methode belohnen, die ein Problem der Militärlogistik löst: Lebensmittel so haltbar machen, dass die Truppen auf langen Feldzügen nicht mehr hungern. Bonaparte nutzt hierfür eine funktionale Leistungsbeschreibung, die einerseits positiv den Bedarf definiert (Verfahren, mit dem man Nahrungsmittel haltbar machen kann) und gleichzeitig unerwünschte Lösungsansätze wie Plünderungen ausschließt.
Die Lösung lässt jedoch auf sich warten. Erst 14 Jahre später kann der Konditor Nicolas Appert den Durchbruch präsentieren. Er füllt gekochte Speisen in luftdicht verschlossene Glasgefäße und erhitzt sie. Auf diese Weise bleiben Suppen, Gemüse und Marmeladen lange genießbar – Apperts Methode erfüllt damit die Ausschreibungsanforderungen. Appert gewinnt schließlich den Wettbewerb.
Das Preisgeld wird ihm 1810 ausbezahlt, nachdem seine Konserven bei der Marine getestet worden waren. Die Bedingung: Er muss sein Verfahren veröffentlichen – was er 1810 in einem Buch tut. Kurze Zeit später wird in England die Konservendose aus Blech patentiert, doch Apperts luftdichtes Einmachglas markiert den entscheidenden ersten Schritt der Lebensmittelkonservierung.
Für die öffentliche Hand zeigt diese Episode, welche Wirkung eine funktionale Leistungsbeschreibung haben kann. Statt eine technische Lösung vorzuschreiben, definierte der Auftraggeber lediglich das Ziel – die Versorgung der Truppe – und vertraute auf den Wettbewerb der Ideen. Das Ergebnis war eine neuartige Methode, die ohne diese Offenheit wohl nie entstanden wäre.
Parallelen zur modernen Vergabepraxis
Auch heute gilt: Wer funktional ausschreibt, schafft Raum für kreative Lösungen. Verfahren wie der wettbewerbliche Dialog knüpfen daran an – sie ermöglichen es, mit den Bietern die beste Umsetzung für komplexe Bedarfe zu entwickeln.
Beide Ansätze widersprechen sich nicht, sondern ergänzen einander. Die funktionale Leistungsbeschreibung liefert den Zielkorridor, der wettbewerbliche Dialog eröffnet den Weg dorthin. So beflügelt ein klug gestaltetes Ausschreibungsdesign den Innovationsgeist der Bieter – im Sinne Napoleons, dessen Armee nicht nur mit Kanonen, sondern dank Apperts Erfindung auch mit Konserven marschieren konnte.
André Siedenberg ist Fachanwalt für Vergaberecht