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Vergabetag 2025

Vergabestellen und Auftragnehmer kämpfen um Erleichterungen im Vergaberecht

Es scheint wie Don Quijotes Kampf gegen Windmühlen. Das Vergaberecht wird entgegen allen politischen Beteuerungen immer komplexer. Vergabestellen und Auftragnehmer kämpfen um Erleichterungen, wie der Vergabetag der Ingenieurkammer Baden-Württemberg am vergangenen Freitag vor 600 Teilnehmern in Stuttgart zeigte.

Die Baubranche ist hochgradig ineffizient, wir brauchen eine friedliche Revolution“, erklärte Stefan Leupertz, Bauberater und ehemaliger Richter am Bundesgerichtshof.

Wolfgang Leja)

Stuttgart . „Wir haben eine Menge Aufgaben vor der Brust“, berichtete Bernd Düsterdiek, Dezernent für Vergaberecht beim Deutschen Städte- und Gemeindebund. Der Jurist verwies auf das KfW-Kommunalpanel, nach dem der Investitionsstau aktuell bei 186 Milliarden Euro liegt. Dem gegenüber stehe eine strukturelle Unterfinanzierung. „Wir sprechen in den kommunalen Kernhaushalten über ein Defizit von aktuell rund 20 Milliarden Euro“, so Düsterdiek. Um die großen Investitionen in Straßen, Brücken und die energetische Gebäudesanierung zu tätigen, sei es umso wichtiger, „dass wir im Vergaberecht keine Steine in den Weg legen, sondern sie wegräumen“, forderte er.

So sucht sich der Städte- und Gemeindebund bei der EU-Kommission Gehör zu verschaffen. Denn die hat die Novelle der EU-Vergaberichtlinien auf ihre Agenda gesetzt. Betroffen sind die Richtlinie 2014/24/EU, die Richtlinie für Sektorenauftraggeber 2014/23/EU sowie die Richtlinie für die Vergabe von Konzessionen 2014/25/EU. Düsterdiek zeigte sich alarmiert angesichts der von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vorgelegten Leitlinien. Danach sei das Beschaffungswesen ein Hebel, um „innovative Waren und Dienstleistungen zu entwickeln und Leitmärkte für saubere und strategische Technologien zu schaffen“, zitierte Düsterdiek. Er machte keinen Hehl daraus, dass Vergabeverfahren damit weiter verkompliziert werden. „Die Frage ist, ob das Vergaberecht der richtige Platz ist, um politische Ziele zu verfolgen“, sagt er.

Höhere EU-Schwellenwerte für Planungsleistungen

„Die weitere Einbeziehung von Kriterien für den grünen, nachhaltigen und sozialen Einkauf ist in der Zielrichtung nicht verkehrt. Sie gehört aber nicht ins Vergaberecht“, sagte Düsterdiek. Der Dezernent für Vergaberecht sprach sich zudem für eine Erhöhung der EU-Schwellenwerte aus: für Planungsleistungen müssten sie auf mindestens 750 000 Euro netto angehoben werden.

Für Unzufriedenheit bei Vergabestellen wie Auftragnehmern hat die EU-Kommission auch auf einem anderen Feld gesorgt. Nämlich durch die Additionspflicht von Planungsleistungen bei der Schätzung des Auftragswerts, die in der Streichung von Paragraf 3 Absatz 7 Satz 2 Vergabeverordnung (VgV) mündete. Sie war erneut Thema auf dem Vergabetag. Karin Baumeister, Justiziarin der Ingenieurkammer Baden-Württemberg, warb für das von Martin Burgi entwickelte alternative Beschaffungskonzept. Der Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität München fordert in einem Gutachten die „gemeinsame Vergabe von Bau- und Planungsleistungen als Bauauftrag mit anschließender losweiser Vergabe“. „Das Konzept ist top“, sagte Baumeister. „Wir möchten Sie ermutigen, es anzuwenden.“

Obwohl selbst die Bundesregierung das Konzept als Lösungsansatz ins Spiel gebrachte habe, würden derzeit in der Regel alle Planungsleistungen addiert, berichtete Baumeister und wies dabei auf die Folgen hin: „Planungsleistungen werden damit deutlich häufiger europaweit ausgeschrieben.“ Es gebe zehn Mal mehr VgV-Verfahren. Das bedeute mehr Aufwand und zusätzliche Kosten für die öffentlichen Auftraggeber, da VgV-Verfahren deutlich formeller als wettbewerbliche Verfahren seien. Dabei rechnet die Kammer vermehrt mit Generalübernehmer-Vergaben.

Die Ingenieurkammer hofft, dass Burgis Konzept eine Chance erhält. So habe die gescheiterte Ampel-Regierung in ihrem Vergabetransformationspaket bereits bestätigt, dass sie es für rechtskonform und in der Praxis anwendbar erachte, und zwar bereits schon heute, so Baumeister.

Erleichterungen bei der Vergabe sucht auch die Staatliche Vermögens- und Hochbauverwaltung. Die Landesbehörde, die im vergangenen Jahr 3100 Vergaben für freiberufliche Leistungen durchführte, will mit Rahmenverträgen ihren Aufwand reduzieren. „Erste Versuche mit solchen Verträgen starteten bereits im Jahr 2020“, berichtete Ritva Hößler, Leiterin des Referats Vergabe und Recht bei Vermögen und Bau Baden-Württemberg. „Wir schreiben neue Rahmenverträge mit Gesamtbaukosten von 80 Millionen Euro im Frühjahr aus“, kündigte die Juristin an.

„Bei kleinteiligen Vergaben steht der Aufwand oftmals in einem Missverhältnis zum Auftragswert“ erklärte Hößler das Motiv. Und auch der Wegfall des Paragrafen 3 Absatz 7 Satz 2 VgV mit dem „Additionsgebot“ spiele eine Rolle, wodurch Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb deutlich zunehmen würden. „Durch Rahmenvereinbarungen könnten diese Verfahren entfallen oder abgekürzt werden“, sagte Hößler und wies auf die Zeitersparnis hin: „Die Dauer der Vergabeverfahren ist im Verhältnis zur Gesamtprojektlaufzeit zu lang, insbesondere bei kleineren und mittleren Projekten.“

Erwartungen an Rahmenverträge sind gemischt

Dennoch sind die Erkenntnisse von Vermögen und Bau aus den Pilotausschreibungen gemischt. Der Zeitaufwand für die Vergabe von Rahmenverträgen sei auf Auftraggeberseite vergleichbar mit einem Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb, sagte Hößler. Auch der Zeitaufwand für die Vorbereitung sei hoch, zudem sei es schwierig, den Auftragswert zu schätzen, denn die Zukunft sei ungewiss.

Rahmenvereinbarungen kommen bei der Vergabe von Planungsleistungen bislang eher selten zum Einsatz, erklärte Beatrice Fabry, Fachanwältin für Vergaberecht bei Menold Bezler. Durch die Pflicht zur Addition von Planungsleistungen rückten sie aber als „effizientes und ressourcenschonendes Beschaffungsinstrument in den Fokus“. Sie würden sich allerdings nur für „wiederkehrende beziehungsweise gleichartige Leistungen bei kleineren und mittleren Baumaßnahmen mit ähnlichen Planungsanforderungen“ eignen, nicht aber bei einmaligen und komplexen Bauvorhaben mit hoher Planungsindividualität. Für die Praxis sieht Fabry daher folgendes Problem: „Es wird eher selten wirklich wiederkehrende beziehungsweise gleichartige Planungsleistungen bei Baumaßnahmen geben.“ Denn in der Regel mache der Grundstückszuschnitt die Gebäudeplanung und die Gebäudetechnik sehr individuell.

Zudem warnte die Vergaberechtlerin davor, Rahmenvereinbarungen über Planungsleistungen bei geförderten Projekten einzusetzen. Jeder Vergabefehler könne zu einer Rückforderung der Fördermittel führen.

Zu einer „friedlichen Revolution“, rief Stefan Leupertz, Geschäftsführer der 3D2L GmbH in Köln und ehemaliger Richter am Bundesgerichtshof auf. Der Jurist machte sich für einen grundlegenden Wandel in der Bauprojektkultur stark: „Die Baubranche ist hochgradig ineffizient, wenn man sich die Produktivitätszahlen anschaut. Und sie ist innovationsfeindlich. Das müssen wir ändern.“

Sein Vorschlag zielt darauf ab, die Effizienz und Nachhaltigkeit von Bauvorhaben zu steigern, indem alle Projektbeteiligten frühzeitig und kooperativ zusammenarbeiten. Sein Prinzip nennt er „Best for Project“. Der Jurist hält Werkverträge für die Ursache allen Übels. Für „hochkomplexe, ökonomische und technische Bauabläufe sind Werkverträge völlig unzureichend“, sagte Leupertz. „Denn nachdem der Vertrag geschlossen ist, arbeiten sich die Vertragspartner daran ab, wie man mit den Verstößen gegen die darin festgelegten Leistungsversprechen umgehen will.“

Leupertz zufolge sei die Trennung von Planung und Ausführung in Bauprojekten „der größte Blödsinn“. Sie müsse überwunden werden, da sie Ineffizienzen und Konflikte verursache. Stattdessen sollten alle Planer, Bauunternehmen und Auftraggeber von Beginn an gemeinsam agieren, um iterative Prozesse und lösungsorientierte Entscheidungen zu ermöglichen.

Jochen Fritz vom VBI-Landesvorstand stellte eine Handreichung zur Erleichterung der Vergabe unterhalb der EU-Schwellenwerte vor. Foto: Ingenieurkammer/Buenger

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