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Interview Ralf Broß: „Kita-Träger können Anträge für Konzepte stellen“ 

Das Kabinett hat den Gesetzesentwurf für einen Erprobungsparagrafen für Kitas beschlossen. Er geht auf eine Initiative des Städtetags zurück. Ralf Broß erklärt, was für kommunale Träger möglich sein soll.
Tagesmutter mit Kind

Bis 2030 fehlen alleine in Baden-Württemberg 41 000 Erzieherinnen. Um das auszugleichen, möchte das Kabinett den Kommunen mehr Spielraum geben.

dpa/Jan-Philipp Strobel)

Staatsanzeiger: Warum braucht es den Erprobungsparagrafen?

Ralf Broß: Zunächst begrüßen wir es sehr, dass der Erprobungsparagraf kommt. Das war unserer Forderung aufgrund der offenen Betreuungsplätze und des Personalmangels in den Kitas. Wir gehen davon aus, dass im Land bis 2030 insgesamt 41 000 neue Erzieherinnen benötigt werden. Wir müssen neue Wege gehen.

Nun sollen Träger Konzepte erproben können. Wie könnten diese aussehen?

Die kommunalen Kita-Träger wissen am besten, wie sie mit den Eltern und den Beteiligten ein Angebot schaffen können, das dem Bedarf vor Ort entspricht. Diesem Wunsch nach mehr Gestaltungsspielraum ist jetzt das Land gefolgt. Damit können die Kita-Träger einen Antrag stellen für ein neues Konzept, das von den bestehenden Regularien abweichen kann: bei den Öffnungszeiten, bei der Gruppenstärke, beim Betreuungspersonal, den Räumlichkeiten und der grundsätzlichen Konzeption der Kita. Vor Ort gibt es eine Beteiligung von denjenigen, die von dieser Konzeption tangiert sind. Sie sollen im Vorfeld involviert werden: Erzieherinnen, Betreuerinnen, Eltern, Vereine oder Volkshochschulen können dabei eine Rolle spielen. Dies fließt in das Konzept, das dann nach dem Gesetzesentwurf vom Landesjugendamt zu genehmigen wäre.

Sind solche Modelle wie in Offenburg denkbar, wo nachmittags Ehrenamtliche die Kinderbetreuung übernehmen?

Ja. Alles, was vor Ort als sinnvoll und funktionierend erachtet und erarbeitet wird, ist möglich – auch eine ergänzende Betreuung durch Vereine und Initiativen. In der einen Stadt gibt es beispielsweise einen Musikverein, der mit der Musikschule kooperiert und frühkindliche Bildung anbietet, in der anderen Stadt ist es der Sportverein. So kann man fehlendes Personal im Erziehungsbereich durch andere Angebote kompensieren.

Ralf Broß, geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Städtetags Baden-Württemberg

Leidet darunter nicht die Qualität?

Die Qualität der Betreuung muss sichergestellt werden. Wie diese zusätzlichen Angebote auf die Qualität Einfluss nehmen – das kann ja auch eine Qualitätssteigerung sein – wird vor Ort beantwortet. Hierbei können auch im Sinne einer Arbeitsteilung andere Personen als pädagogische Fachkräfte eine Rolle spielen – aber immer als Ergänzung zum pädagogischen Angebot. Es werden weiterhin in allen Gruppen Fachkräfte arbeiten. Es gibt bei der Betreuung auch Bundesrecht und das ist von der Änderung auf Landesebene nicht berührt und muss auf jeden Fall gewährleistet werden.

Was heißt das für die Gruppenstärke?

Man könnte die Gruppengröße abweichend von der derzeit einschlägigen Kita-Verordnung variieren und damit erweitern, oder andere Räumlichkeiten nutzen und damit andere Angebote schaffen.

Gewerkschaften betonen, dass man den Erzieherberuf durch eine Vergrößerung der Gruppen unattraktiver macht.

Die Erzieherinnen nehmen auch Aufgaben wahr wie Dokumentationspflichten und bürokratische Aufgaben. Wenn es uns mit dem Erprobungsparagrafen gelingt, dass diese Verrichtungen andere Personen übernehmen könnten, dann entlasten wir damit auch die Erzieherinnen. Diese Entlastung kann wiederum in die Weiterbildung des erzieherischen Personals fließen. Darüber hinaus bleibt es selbstverständlich Daueraufgabe, zusätzliches pädagogisch ausgebildetes Personal für die Kitas zu gewinnen.

Der Beschluss geht nun in das Anhörungsverfahren. Was ist noch wichtig?

Die Genehmigung der Konzepte durch das Landesjugendamt sollte nur pro forma ohne inhaltliche Prüfung sein. Die inhaltliche Prüfung erfolgt ja durch die Verantwortlichen vor Ort. Für kritisch halten wir, dass es beim Erprobungsparagrafen eine Befristung auf drei Jahre gibt. Diese kurze Zeitspanne könnte die kreative Arbeit und Initiativen vor Ort bremsen. Eine Forderung von uns ist zudem, dass jeder Antrag mit der jeweiligen Kommune abgestimmt sein muss. Die Städte und Gemeinden sind für die Kindergartenbedarfsplanung verantwortlich. Letztlich könnte man mit dieser neuen Möglichkeit grundsätzlich die Struktur der Kita-Finanzierung in den Blick nehmen.

In welchen Bereichen bräuchte es noch einen Erprobungsparagrafen?

Es braucht in allen Bereichen den Mut, neue Wege zu gehen. In allen Bereichen, in denen wir merken, dass wir mit den bestehenden Regularien und Standards nicht mehr weiterkommen. Hier setze ich auf die Vereinbarung der Entlastungsallianz, die wir Mitte Juli mit weiteren Verbänden und dem Land unterzeichnet haben. Der Erprobungsparagraf könnte dafür eine Blaupause sein.

Verdi wünscht sich Landesjugendamt als Korrektiv

Die Gewerkschaft Verdi kritisiert die Forderung der Kommunen, dass die Konzepte nur formal geprüft werden sollten, aber nicht inhaltlich.

„Der Druck vor Ort aufgrund fehlender Kitaplätze ist so enorm, dass ohne das Korrektiv Landesjugendamt eine komplette Aufweichung der Qualitätsstandards droht“, so Sabine Leber-Hoischen, ehrenamtliche Vorsitzende der Verdi Landesfachgruppe Erziehung, Bildung und soziale Arbeit.

Das Gespräch führte Philipp Rudolf

Philipp Rudolf

Redakteur Kreis und Kommune

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