Baden-Baden: Krisenmodus statt Glamourfaktor

Schwarzwaldberge, historische Altstadt, bestes Wetter: Das ist Baden-Baden von seiner Schokoladenseite.
dpa/Daniel Kalker)Baden-Baden . Kaiserin Sissi oder Victoria Beckham, die Reichen und Schönen steigen in Baden-Baden ab, die größten Namen stehen auf den Gästelisten: von Adenauer bis Obama. Die Bäderkultur Baden-Badens ist Weltkulturerbe. Hier treibt die Roulettekugel das Adrenalin hoch, das Thermalwasser entspannt die Muskeln, im Festspielhaus tost der Applaus. Und nebenan die Fachwerkidylle der Altstadt. Glamour, Gemütlichkeit und ein bisschen Größenwahn – das ist Baden-Baden. Und außerdem ist Baden-Baden pleite.
Die Stadt schreibt ein Defizit von 43 Millionen Euro. Zur Handlungsfähigkeit will das Rathaus 32 Millionen Euro Schulden aufnehmen, so Oberbürgermeister Dietmar Späth (parteilos) Mitte April. Seither wurde viel gestritten, insbesondere mit dem Land. Knackpunkt war die Frage, ob das Innenministerium der klammen Kurstadt helfen solle, was es ablehnte.
Daraufhin kam es zu einem Wutausbruch. Der SPD-Oberbürgermeister von Karlsruhe, Frank Mentrup, im Nebenjob Präsident des Städtetags und selbst von einer Haushaltssperre in seiner Stadt betroffen, beschimpfte den für Kommunen zuständigen Innenminister Thomas Strobl (CDU) als „Totalausfall“. Mittlerweile hat sich Mentrup dafür entschuldigt, für Späth, dessen Kommune Anlass des Streits war, hatte der Ausbruch eine Weckfunktion. „Ich will die Sache aber nicht zu hoch hängen“, sagt er.
In Baden-Baden lodern zwei politische Brandherde
Viel wichtiger ist, den Bürgern den Sparkurs zu vermitteln, zumal ein zweiter Brand lodert: Der Bürgerentscheid zum geplanten Zentralklinikum in Rastatt. Am 29. Juni entscheidet Baden-Baden über den Standort. Eine Initiative hat das Quorum von knapp 3000 Unterschriften übererfüllt. Finanzkrise, Zentralklinikum – das schreit nach Kommunikation.
Einwohnerversammlung in der Ooser Festhalle. 300 Bürger hören, was die Bürgermeisterriege auf der Bühne zur Finanzkrise zu sagen hat. Die Zahlen haben sich laut Späth abrupt verändert. Das Regierungspräsidium hatte den alten Haushalt noch genehmigt, doch dann kam das Defizit. Die Gewerbesteuer schrumpft seit 2018, vor der Pandemie, inflationsbereinigt um 13 Millionen Euro, Einkommensteuer minus drei Millionen, Umsatzsteueranteil zwei Millionen Euro weniger, so Stadtkämmerer Thomas Eibl. Dagegen steigen die Sozialausgaben, von Bund und Land auferlegt, teils um das Doppelte, etwa die Kitabetreuung – Baden-Baden kann den Rechtsanspruch erfüllen – oder die Eingliederungshilfe, die der Stadt zufällt, weil sie kreisfrei ist.
Tarifabschlüsse und Asylkosten
Folie um Folie präsentiert das Fünfergespann auf dem Podium. Tarifabschlüsse treiben Personalkosten hoch. Asylkosten streckt die Stadt vor, bis der Bund seinen Anteil bezahlt. Baden-Baden habe nicht über seine Verhältnisse gelebt, freiwillige Leistungen verteuerten sich weniger als die Pflichtaufgaben. Planungsstopps und Streichung von Sozialleistungen verlangt das Regierungspräsidium.
Die Liste der Grausamkeiten trägt der Oberbürgermeister vor. Alles käme auf den Prüfstand. Gewerbe- und Grundsteuer dürften bald steigen. Die Leistungen für die vier Ortschaften, Kultur, Verwaltung, Weltkulturerbe, nichts sei ausgenommen. Allerdings dürfe die Besonderheit der Stadt nicht leiden: „Baden-Baden lebt davon, außergewöhnlich zu sein.“
Die Streichliste beflügelt die Fantasie der Bürger: Einer will wissen, ob man nicht auf ein Flüchtlingsheim verzichten könne, das in seiner Nachbarschaft gebaut werde – nein, der Auftrag sei schon erteilt. Ein anderer fragt, warum keine gewinnbringenden Windkraftanlagen auf den Schwarzwaldhöhen stehen. Applaus und Buh-Rufe mischen sich, OB Späth wiegelt ab: Windräder seien mit dem Welterbe schwer vereinbar.

Zweifel am vierten Dezernat
Das vierte Dezernat, vor einem Jahr für Querschnittsaufgaben wie Personal, IT oder Recht eingeführt, hinterfragen Bürger. Späth verteidigt die Verwaltungseinheit mit der Aufgabenfülle einer kreisfreien Stadt. Am Rande kommt die Klinik zu Sprache, eine Dame verlangt die Privatisierung, was sie schon häufig mit dem OB diskutiert hat. „Sie machen mich nicht mehr katholisch“, sagt Späth.
Die Finanzkrise betrifft auch das Zentralklinikum. Der Rastatter Landrat Christian Dusch (CDU) hat angemahnt, dass die Pläne nicht leiden dürften. Das könnte aber der Fall sein. Die Krankenhausgesellschaft nimmt die Kredite für den Bau des Klinikums selbst auf. Bürgen müssten die beiden Gesellschafter, der Landkreis Rastatt und die Kurstadt. „Die Bürgschaft der Stadt Baden-Baden kann nur mit der Unterstützung des Landes abgegeben werden“, sagt Späth.
Vorerst allerdings geht es weniger um Bürgschaften, sondern um eine Bringschuld gegenüber dem Kreis Rastatt: Baden-Baden muss ja sagen zum Standort am Rastatter Münchfeldsee. Eine Initiative um die örtliche FDP namens „Für Baden-Baden“ hat einen Bürgerentscheid erzwungen. Sie will wissen, ob die Bürger einen Klinikstandort in der Kurstadt wollen und ob sie den Gesellschaftervertrag mit dem Nachbarlandkreis ablehnen. Dazu müsste man nur ja sagen. „Ein Zentralklinikum lehnen wir nicht ab“, sagt Matthias Hirsch, Gastronom und Gewährsmann des Bürgerentscheids, es sollte nur in Baden-Baden stehen.
Kritik am Standortgutachten
Kritik übt er am Standortgutachten zugunsten des Münchfeldsees. Es blende die fehlende Verkehrsanbindung aus, mache falsche Angaben zu Grundstückskosten und Umweltproblemen. Dass die gemeinsame Klinik bei einem erfolgreichen Entscheid gefährdet sei, glaubt Hirsch nicht. Baden-Baden dürfe ebenso abstimmen wie damals Rastatt (siehe unten).
Klar ist sich Hirsch über die Verhältnisse im Wahlkampf: „Das ist ein Kampf von David gegen Goliath.“ Er hat fast alle Fraktionen des Gemeinderats plus die Rathausspitze gegen sich. Sogar die einst skeptische CDU stellt sich hinter das Projekt, obwohl ihr favorisierter Standort am Bahnhof verworfen wurde. Das ist die ganz große Koalition der Nein-Sager: Die Fragestellung zwingt die Befürworter der Zentralklinik zur Ablehnung des Bürgerentscheids.
Sachliche Argumente oder doch bloß Stimmungsmache?
Das und die Vorteile des Projekts stehen im Mittelpunkt einer Kampagne. OB Späth und Vertreter von SPD, Linkspartei, Grünen, Freien Wählern und der CDU starten sie in der Fußgängerzone und geben eine Pressekonferenz. Auf Plakaten stehen rhetorische Fragen wie „Stillstand statt Fortschritt?“ oder „Länger warten auf ein modernes Krankenhaus?“. Zwischen Brunnenplätschern und Paketdienstlieferwagen betont Späth die historische Chance auf das Klinikum angesichts der Förderung. Er spricht von der roten Null, die er vom Betrieb des Zentralklinikums erwarte. Jetzt schlägt das Krankenhaus mit 10,8 Millionen Euro zu Buche. Räte verweisen auf die bessere medizinische Versorgung oder auf moderne Arbeitsplätze für Ärzte und Pfleger.
Behauptungen, die Kreisfreiheit sei in Gefahr, wie sie auf den Flyern der Konkurrenz zu finden sind, geißeln sie als Stimmungsmache. Um die Meinungshoheit zu sichern, wollen Räte verschiedener Fraktionen an den gemeinsamen Ständen auf die Bevölkerung zugehen und so alle Wählergruppen erreichen. Doch ein Spaziergang wird das nicht, auf eine Prognose lässt sich niemand ein – turbulente Zeiten also? Dietmar Späth nickt nur vielsagend.
Lesen Sie hier einen Bericht über die Planung des Zentralklinikums .
Streitpunkt Zentralklinikum
Seit fünfeinhalb Jahre läuft die Diskussion um das Zentralklinikum, in dem die bisherigen Krankenhäuser der Klinikumsgesellschaft Mittelbaden in Rastatt, Bühl und Baden-Baden aufgehen sollen. Besonders der Standort war umstritten. So gab es im Mai 2023 einen Bürgerentscheid in Rastatt, ob das Gebäude am Münchfeldsee nahe der Baden-Badener Gemarkung errichtet werden sollte – mit einer großen Zustimmung für den von Kreis und Kurstadt favorisierten Standort. Kreistag und Gemeinderat stimmten Ende November 2024 mit deutlichen Mehrheiten für den Bau, nachdem die Anteile am Gesellschaftervertrag der Kurstadt auf 29,5 Prozent reduziert, der Name auf „Klinikum Baden-Baden/Rastatt“ und der Boden unter dem Kreißsaal als Baden-Badener Gemarkung deklariert wurde, damit es weiter gebürtige Kurstädter gibt. Mit dem Bürgerentscheid in Baden-Baden verzögert sich die Planung um sieben Monate, jeder Monat koste die Klinikumsgesellschaft laut Stadt zwei Millionen Euro.