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Milliarden-Projekt

Bahn verschiebt Start von Stuttgart 21 erneut

Erst vor wenigen Monaten verkündete die Bahn, dass Stuttgart 21 Ende 2026 nur teilweise in Betrieb gehen soll. Nun ist klar: Auch das wird nicht klappen.

Stuttgart 21: Wie die Deutsche Presse-Agentur aus Kreisen der Projektpartner und des Bahn-Aufsichtsrates erfuhr, soll der Tiefbahnhof nicht mehr wie geplant im Dezember 2026 eröffnen.

dpa/Bernd Weißbrod)

Stuttgart Die Ungewissheit rund um das Milliarden-Bauprojekt Stuttgart 21 geht weiter. Selbst die für Ende des kommenden Jahres geplante Teileröffnung des Tiefbahnhofs will die Bahn nun vollständig absagen, wie die Deutsche Presse-Agentur aus Kreisen der Projektpartner und des Aufsichtsrats erfuhr. Alle Züge sollen demnach auch 2027 ausschließlich im oberirdischen Hauptbahnhof halten. Wann der neue Bahnhof eröffnen wird, ist demnach völlig offen. Zuvor hatten mehrere Medien berichtet. 

Die Deutsche Bahn teilte auf Anfrage mit, sie habe den Aufsichtsrat im September und den Lenkungskreis im Oktober bereits darüber informiert, dass für das Bauvorhaben inklusive des sogenannten Digitalen Knoten Stuttgarts (DKS) weiterhin Terminrisiken bestünden. „Diese haben sich insbesondere im Bereich Entwicklung und Zulassung bei unserem Auftragnehmer sowie bei der Freigabe von Planungen ergeben“, hieß es. 

Technische Probleme bei der Digitalisierung

Diese Risiken hätten sich weiter erhärtet. Eine Entscheidung sei aber noch nicht getroffen, teilte die Bahn weiter mit. Das Thema solle demnach im Aufsichtsrat besprochen werden. Die nächste Sitzung des Kontrollgremiums ist für den 10. Dezember geplant. 

Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur sind technische Probleme bei der Digitalisierung und beim Bau des Bahnhofs Grund für die erneute geplante Verschiebung. Im Juli hatte die Bahn noch angekündigt, Stuttgart 21 im Dezember 2026 zumindest teilweise in Betrieb nehmen zu wollen. 

Der Fernverkehr und ein Teil des Regionalverkehrs sollten ab dann in den neuen Tiefbahnhof fahren, ein Teil des Regionalverkehrs dagegen bis Juli 2027 weiter im alten oberirdischen Kopfbahnhof enden, wie die Bahn (DB) damals mitteilte. Zuvor war geplant gewesen, den Tiefbahnhof im Dezember 2026 vollständig zu eröffnen und den Betrieb im alten Kopfbahnhof einzustellen.

Zwei Projektpartner fordern Sondersitzung mit Bahnchefin

Aufgrund der Verzögerungen wollen zwei Projektpartner Bahnchefin Evelyn Palla nach Stuttgart zitieren. „Gemeinsam mit dem Verband Region Stuttgart fordere ich die unverzügliche Einberufung eines Sonderlenkungskreises gemäß der Geschäftsordnung“, teilte der Stuttgarter Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) mit. Vom Verband Region Stuttgart hieß es weiter: „Wir erwarten, dass bei dieser Sitzung entsprechend der Ministerpräsident und die Bahnchefin, als dem Lenkungskreis angehörende Mitglieder, den Vorsitz führen“.

Verkehrsminister Hermann: „Fatale Nachricht“

Nach Berichten über eine mögliche Verschiebung der Eröffnung von Stuttgart 21 auf unbestimmte Zeit hat Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) scharfe Kritik an der Deutschen Bahn geübt. Die Entwicklung sei für Region, Stadt und Land „eine fatale Nachricht“, sagte Hermann. Vor allem die Fahrgäste ächzten seit Jahren unter den Einschränkungen durch die Großbaustelle – ein Ende sei nicht absehbar.

Hermann warf der Bahn vor, erst vor wenigen Wochen den Eröffnungstermin für 2026 erneut bestätigt zu haben – auch auf Nachfrage des Landes. „Diese Zusagen waren offensichtlich windig oder falsch. Wir fühlen uns getäuscht“, so der Minister.

Der Grünen-Politiker sieht in dem Projekt ein Muster aus „Vertröstungen, Beschönigungen und Verzögerungen“, begleitet von stetig steigenden Kosten. Stuttgart 21 zeige, dass die Bahn mit dem komplexen Vorhaben überfordert sei – sowohl beim Bauen als auch bei der Digitalisierung. Letztere gelte aktuell als Hauptproblem, obwohl seit Jahren klar sei, dass der Bahnknoten Stuttgart digitalisiert werden müsse.

Eine Verschiebung auf unbestimmte Zeit könne nicht akzeptiert werden, betonte Hermann. Er forderte von der neuen Bahnchefin Evelin Palla „echte Transparenz“ und keine weiteren „Termine ohne Substanz“. Zudem dringt das Land auf die Einberufung eines Sonderlenkungskreises zu Stuttgart 21.

Hans Dieter Scheerer (FDP/DVP): „Verkehrsminister Winfried Hermann äußert sich unangemessen“

Der Sprecher für den ÖPNV der FDP/DVP-Fraktion im Landtag von Baden-Württemberg, Hans Dieter Scheerer, hat die jüngsten Äußerungen von Verkehrsminister Winfried Hermann zur erneuten Verzögerung bei Stuttgart 21 kritisiert. Hermann habe sich „unangemessen und nicht ministrabel“ geäußert, sagte Scheerer. Die Wortwahl erinnere an die Zeit der Auseinandersetzungen um das Bahnprojekt vor der Volksabstimmung und hinterlasse „einen fahlen Beigeschmack“.

Scheerer warf dem Minister zudem vor, eigene Versäumnisse auszublenden. Beim Tausch der Triebfahrzeuge habe Hermann „ein unzureichendes Management“ an den Tag gelegt. Die FDP/DVP-Fraktion habe frühzeitig davor gewarnt, die Doppelstockwagen durch einstöckige Fahrzeuge zu ersetzen, sei dafür jedoch „belehrend zurückgewiesen“ worden. „Nun wird genau dieser Schritt vollzogen“, so Scheerer.

Mit Blick auf die aktuelle Diskussion riet der FDP-Verkehrspolitiker dem Minister zu mehr Gelassenheit und dazu, seinen früheren „S-21-Bekämpfungsmodus“ abzulegen. Für die Fahrgäste sei die erneute Verzögerung des Projekts „äußerst ärgerlich“.

SPD: „Interessen der Fahrgäste müssen wieder im Mittelpunkt stehen“

Nach den neuen Berichten über eine weitere Verzögerung von Stuttgart 21 hat der verkehrspolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, Jan-Peter Röderer, die Deutsche Bahn scharf kritisiert. „Neuer Vorstand, altes Lied: Stuttgart 21 wird erneut verschoben“, sagte Röderer. Entscheidend sei nun, „dass der Bahnhof endlich fertiggestellt wird. Daran wird die Bahn gemessen.“

Röderer forderte die neue Bahnchefin Evelin Palla auf, alle Probleme des Projekts „transparent und nachvollziehbar“ offen zu legen. Im weiteren Verlauf müsse stärker auf die Bedürfnisse der Fahrgäste geachtet werden. „Die Interessen der Fahrgäste müssen endlich wieder im Mittelpunkt stehen – und nicht weiter bloße Eröffnungstermine“, so der SPD-Politiker.

Fahrgast-Verbands Pro Bahn: „Verschiebung ist eine Riesen-Blamage“

Aus Sicht des Fahrgast-Verbands Pro Bahn ist die erneute Verschiebung eine Riesen-Blamage. „Die Verschiebung schadet erneut dem Image der Bahn“, sagte der Pro-Bahn-Chef Detlef Neuß der „Rheinischen Post.»“Der Baden-Württembergische Landesverband des Verkehrsclubs Deutschland (VCD) forderte, dass neuerliche Planungen „endlich realistische zeitliche Puffer“ berücksichtigen müssten und den bestehenden Kopfbahnhof für mehrere Jahre weiterhin in Betrieb hielten. 

Inbetriebnahme bereits mehrfach verschoben 

Gebaut wird an dem Projekt bereits seit 2010. Die Inbetriebnahme war bereits mehrfach verschoben worden, zuletzt auf Dezember 2026. Bei Abschluss der Finanzierungsvereinbarung im Jahr 2009 war man von einer Eröffnung 2019 ausgegangen. 

Die Gründe für die mehrmaligen Verschiebungen sind laut Bahn unterschiedlich: Klagen gegen das Projekt und geänderte Auflagen etwa beim Brandschutz. Weitere Faktoren für die Verzögerungen seien der „geologisch anspruchsvolle Untergrund im Stuttgarter Stadtgebiet“ oder aufwendige Genehmigungsverfahren durch geänderte Gesetze beim Artenschutz.

Das Projekt Stuttgart 21 steht nicht nur für den Bau des neuen Hauptbahnhofs in der Landeshauptstadt , sondern für die komplette Neuordnung des Bahnknotens Stuttgart. Gebaut werden neue Bahnhöfe – etwa ein neuer Fernbahnhof am Flughafen -, Dutzende Kilometer Schienenwege und Tunnelröhren, Durchlässe sowie Brücken. 

Das Bahnprojekt Stuttgart-Ulm schließt neben Stuttgart 21 auch den Neubau der bereits 2022 eröffneten Schnellfahrstrecke Wendlingen-Ulm ein. Herzstück von Stuttgart 21 ist der neue unterirdische Hauptbahnhof, der im Gegensatz zum bisherigen Kopfbahnhof ein Durchgangsbahnhof sein wird.

Arbeiten komplizierter als gedacht

Im Rahmen von Stuttgart 21 wird der Bahnknoten in Stuttgart zugleich als erster bundesweit komplett digitalisiert. Züge des Fern- und Regionalverkehrs sowie S-Bahnen sollen dann mit dem digitalen Zugsicherungssystem ETCS fahren – und zwar nur damit. Klassische Lichtsignale werden im Stuttgarter Bahnknoten nicht mehr verbaut. 

Die Arbeiten gestalten sich aber komplizierter als gedacht, in der Präsentation für die jüngste Sitzung des Lenkungskreises hieß es, die Arbeiten seien weiterhin abgespannt. Die umfangreichen Arbeiten für die Digitalisierung führte die Bahn auch als Grund für die vorletzte Verschiebung der Inbetriebnahme auf Dezember 2026 an.

Kosten steigen von Jahr zu Jahr 

Auch die Kosten für das Projekt haben sich über die Jahre steil nach oben entwickelt. In einem Finanzierungsvertrag aus dem Jahr 2009 ist nur die Verteilung von Kosten bis zu einer Höhe von gut 4,5 Milliarden Euro geregelt.

Bis vor Kurzem bezifferte die Bahn die derzeitigen Kosten auf rund 11 Milliarden Euro, eingeplant ist zudem ein Puffer von 500 Millionen Euro. Dieser ist inzwischen schon fast aufgebraucht: In der Mai-Sitzung des Lenkungskreises informierte die Bahn die Projektpartner darüber, dass sich die Kosten inzwischen auf rund 11,3 Milliarden Euro summierten. 

Im August hatte der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH) entschieden, dass die Bahn die milliardenschweren Mehrkosten alleine tragen muss . Das oberste Verwaltungsgericht des Landes lehnte einen Antrag auf Zulassung der Berufung der Bahn gegen ein entsprechendes Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart ab. Die bundeseigene Bahn kündigte Ende Oktober an, nicht weiter gegen das Urteil vorzugehen. (dpa/lsw/sta)

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