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50 Jahre Kreisreform

Das Ziehen neuer Kreisgrenzen verlief nicht ohne Widerstände und Blessuren

Vor 50 Jahren teilte sich Baden-Württemberg neu ein. Mit dem „Ersten Gesetz zur Verwaltungsreform“ zog das Land 1973 neue Kreisgrenzen und verwandelte 63 überkommene in 35 neue Gebietskörperschaften. Ohne Widerstände und Blessuren ging das aber nicht ab.
Das Schloss Ortenberg steht inmitten von Weinreben während im Hintergrund die Stadt Offenburg und die Ortenau zu sehen sind

Schloss Ortenberg ist ein Symbolort für den Ortenaukreis. 1973 bildeten vier alte Landkreise diesen neuen Verwaltungsraum für Mittelbaden.

dpa/ Philipp von Ditfurth)

STUTTGART. In einem rund fünf Jahre dauernden Prozess mit Kommissionen und Gutachten aus Ministerien, Verwaltung und Parlament zog das Land Grenzlinien neu – die Kreisreform von 1973. Sie war ein Ergebnis der Großen Koalition im Land, ein Pakt, den Kiesinger-Nachfolger Hans Filbinger (CDU) sowie SPD-Innenminister Walter Krause von 1968 bis 1972 schlossen.

„Die Kreisreform war ein Thema der Sozialdemokraten,“ sagt der Tübinger Kreisarchivar Wolfgang Sannwald. Zwar habe es auch CDU-Abgeordnete gegeben, die für die Verringerung der Kreise waren, „die waren aber zunächst alleine in ihrer Fraktion“. Dennoch hat die CDU die Reform mitgetragen – und zwar auch dann noch, als sie 1972 die absolute Mehrheit hatte. Das lag wohl auch an ihrer Einbettung in ein großes Ganzes.

So reduzierte das Land die Zahl der 3379 Kommunen ab 1968 innerhalb von sechs Jahren auf 1107. Parallel zu dieser Gemeindereform wurde die Kreisreform diskutiert. Sie sollte Lebensverhältnisse zwischen Stadt und Land angleichen, die Verwaltung an Lebensgewohnheiten anpassen, leistungsstärker und preiswerter machen und bürgernäher. Die Bürgernähe sollte, so ein juristischer Aufsatz von 1975, durch die Delegierung von Verwaltungsaufgaben nach unten gelingen.

Auf die erste Denkschrift folgt sogleich der Gegenentwurf

Ähnlich formulierte es 1969 die Denkschrift des SPD-geführten Innenministeriums, die den Ausgangspunkt der Reform bildete. Das Werk sah 25 Landkreise, fünf kreisfreie Städte und eine Eingliederung der Fachbehörden in die Landratsämter vor. Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. Die Unionsfraktion im Landtag legte 1970 ein Gegengutachten vor, das „Alternativmodell“, das 38 Landkreise vorsah. Daneben haben zwei Kommissionen Aufgaben und Zuschnitte der Kreise diskutiert. 1970 sah deren Schlussgutachten in Sondervoten einerseits 36 und andererseits 38 Kreise vor.

Am Ende legte sich die Koalition auf 35 Kreise fest, wobei der SPD die Zahl, der CDU bestimmte Landkreise wichtig waren. Das machte einige Kreise zum Spielball der politischen Verhandlungen. Oft war nicht klar, welche Gebietskörperschaft die Reform überlebte oder in anderen Gebilden aufging. Der Kreis Nürtingen kämpfte lange um die Kreiseigenschaft, dann um den Sitz des gemeinsamen Landratsamtes mit Esslingen. Das verlor Nürtingen ebenso, wie eine Klage vor dem Staatsgerichtshof. „Iss und trink, solang Dir`s schmeckt, schon wieder ist ein Kreis verreckt“, das habe man sich in der Landtagsgaststätte zugerufen.

Sitz des Landratsamts war umstritten

Der Kreis Emmendingen dagegen sollte mit Lahr fusionieren. Nachdem der Südbadener Filbinger erst den Lahrern das Landratsamt versprochen hatte, gab er der Hartnäckigkeit aus Emmendingen nach. „Gott bewahr’ uns vor drei Dingen: Hunger, Pest und Emmendingen“, lautete die Reaktion, mit der die Lahrer sich Offenburg zuwandten. Der Kreis Emmendingen blieb bis auf drei Orte, von denen zwei mit der Gemeindereform zuwuchsen, unverändert.

Nach der Gebietsreform stockte das Vorhaben, die Funktionalreform traf auf die Ministerialbürokratie, so Kreisarchivar Sannwald, und damit auf Widerstand. Der kam auch in der Bevölkerung auf. „Das waren bewegte Zeiten,“ sagt Sannwald, „es gab den Kampf gegen das Atomkraftwerk Wyhl, und die technokratische Euphorie war verflogen. Der Vertrauensvorschuss in die Politik war aufgebraucht.“
Den gab es erst wieder Anfang der 2000er-Jahre, als Ministerpräsident Erwin Teufel (CDU) die Funktionalreform quasi am Wochenende zu Hause in Speichingen plante, so Sannwald. Fachbehörden gingen in Landratsämtern auf, die Idee des Denkmodells von 1969 wurde 2005 verwirklicht – mit über 30 Jahren Verspätung.

Was die Kreisreform für den Südwesten bedeutet

Vor 50 Jahren trat die Kreisreform in Kraft. Sie setzte das Land neu zusammen und schuf 35 neue Landkreise. Einzig drei Kreise überdauerten die Reform ohne nennswerte Veränderungen. Auch die kreisfreien Städte waren kaum von der Reform betroffen.

In einer Serie befasst sich der Staatsanzeiger mit den Voraussetzungen, Wirkungen und der Geschichte der Kreisreform.

Peter Schwab

Peter Schwab kümmert sich um verschiedene Journale der Zeitung und arbeitet außerdem im Crossmediateam und im Ressort Kreis und Kommune. Schon während seines Jura-Studiums hat er für verschiedene Zeitungen geschrieben, später volontiert und als Lokalredakteur gearbeitet. Nach seiner Zeit als Pressesprecher hat er erneut die Seiten gewechselt und ist 2022 zum Staatsanzeiger gegangen – und damit zum guten alten Journalismus zurückgekehrt.

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