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Jahresbilanz im Nahverkehr 

Deutschlandticket bringt Chancen und Sorgen

Die im Mai 2023 eingeführte Flatrate hat zu deutlich mehr Fahrgästen in Bus und Bahn geführt. Doch für die Verkehrsbetriebe und -Verbünde ist das Deutschlandticket nach wie vor nicht durchfinanziert, warnt nicht nur der Verband der Verkehrsunternehmen.

Das Deutschlandticket ging vor einem Jahr an den Start und es hat, so ein Experte, den öffentlichen Nahverkehr revolutioniert. Allerdings hapert es noch bei der Finanzierung.

IMAGO/Arnulf Hettrich)

Ravensburg. Mehr als doppelt so viele Abo-Kunden wie vor Einführung der Flatrate kaufen sich in der Region Bodensee-Oberschwaben ein Deutschlandticket. Das wurde vor einem Jahr eingeführt. Für monatlich 49 Euro in ganz Deutschland Bus und Bahn fahren: „Das hat den öffentlichen Nahverkehr revolutioniert“, sagt Bernd Hasenfratz, Geschäftsführer des Verkehrsverbunds Bodo. Er freut sich über viele neue Kunden auch im Bodo-Gebiet, das den Bodenseekreis sowie die Landkreise Ravensburg und Lindau umfasst. Doch mit dem D-Ticket und immer mehr Fahrgästen im öffentlichen Nahverkehr (ÖPNV) wachsen auch die Herausforderungen.

Nach dem ersten Jahr zieht auch der Verband der Verkehrsunternehmen (VDV) eine zwiespältige Bilanz. Das Deutschlandticket sei ein Erfolg auf der Nachfrageseite, auf der Einnahmeseite jedoch nicht. Im Durchschnitt nutzen es bundesweit monatlich 11,2 Millionen Menschen. Zwar sind 95 Prozent zufrieden mit dem Angebot; drei von vier Ticketinhaber wollen dauerhaft in dem Tarif bleiben. Damit das Deutschlandticket langfristig ein Erfolg bleibe, müsse es aber „vollständig und zuverlässig durchfinanziert“ sein, warnt der VDV, der im Auftrag von Bund und Ländern regelmäßig Daten zur Nutzung des Tickets erhebt.

Bund und Länder steuern jährlich jeweils 1,5 Milliarden Euro bei

Zwar ist die grundsätzliche Finanzierung gesichert. Bund und Länder haben jährlich jeweils 1,5 Milliarden Euro zugesagt, um die mit dem Ticket verbundenen Ausfälle der Verkehrsunternehmen zu finanzieren. Streit gibt es aber über die Übernahme der Kosten, die darüber hinausgehen. Außerdem sei die „strukturelle Unterfinanzierung“ der Branche durch das Deutschlandticket verfestigt worden, erklärte der VDV. Die wirtschaftliche Lage des öffentlichen Nahverkehrs sei insgesamt dramatisch und steigende Kosten bei Personal und Material stellten Länder und Kommunen vor große Probleme.

Diese Sorge treibt auch den Bodo-Chef um. Das Deutschlandticket ist für ihn „eine finanzielle Blackbox“. Die Aufteilung der Einnahmen unter den Verbünden sei immer noch nicht geregelt, erklärt Bernd Hasenfratz. Nach wie vor gebe es nur Abschlagszahlungen, um den Verkehrsbetrieben Löhne oder Treibstoff zu bezahlen. „Das bringt uns an Grenzen“, klagt er.

Für die Kunden macht das Deutschlandticket den Nahverkehr über Verbundgrenzen hinweg viel einfacher. Die Verkehrsverbünde hätten damit aber „die Hoheit über unsere Tarife weitgehend verloren“, sagt Bernd Hasenfratz. Eine Folge davon ist, dass die Schere zwischen Flatrate und Einzelticket im Nahverkehr weit auseinanderklafft. Für Gelegenheitsfahrer sei der Fahrpreis unattraktiv geworden.

Verbund ist Vorreiter beim elektronischen Ticket

Denn während der Preis fürs D-Ticket politisch festgelegt wurde, sind Verkehrsverbünde nach wie vor gezwungen, sämtliche Kosten auf die Fahrpreise umzulegen, erklärt der Bodo-Chef. Auf Dauer funktioniere solch eine Preispolitik aber nicht. Mit dem weiteren Ausbau des Nahverkehrs werde wohl die öffentliche Hand einspringen müssen, um den ÖPNV solide zu finanzieren.

Doch Geld allein reicht nicht. Der Ausbau des Angebots in Bus und Bahn scheitere an der Verfügbarkeit an Busfahrern und Lokführern. Dazu kommen eine überlastete Infrastruktur vor allem auf der Schiene und teils massive Qualitätsprobleme.

Trotz aller Schwierigkeiten sei Bodo dabei, sich moderner und breiter aufzustellen. So ist der Verkehrsverbund beispielsweise Vorreiter beim elektronischen Ticket, das bundesweit aktuell nur drei Verbünde anbieten – alle in Baden-Württemberg. Über 25 000 Bodo-Kunden nutzen die bereits 2017 eingeführte E-Card. Die gewährt auf jede Fahrt 25 Prozent Rabatt. „Wir machen mittlerweile rund eine Million Euro Umsatz mit der Karte“, so Bernd Hasenfratz.

Das Thema Digitalisierung hat es dem Bodo-Chef angetan

Doch auch diese Chipkarte ist nur eine Übergangstechnologie. In der zweiten Jahreshälfte wollen Bodo und der Nachbarverbund Ding eine neue App an den Start bringen, in der das Ticket integriert ist. Dann brauchen sich Fahrgäste beim Aussteigen auch nicht mehr auszuchecken. „Das Smartphone erkennt das von allein“, so Hasenfratz.

Das Thema Digitalisierung hat es dem Bodo-Chef ohnehin angetan. Er ist Mitglied im Beirat Mobilitätsdaten beim Landesverkehrsministerium. So sollen die Daten, die ohnehin gesammelt werden, dazu dienen, die Qualität im ÖPNV messbar zu machen. Damit könnten beispielsweise die Pünktlichkeit von Bus und Bahn überprüft oder Bruchstellen in Reiseketten sichtbar gemacht werden.

Wer das Deutschlandticket nutzt

Durch das Deutschlandticket nutzen laut dem Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) 53 Prozent der Besitzer den Nahverkehr häufiger als vorher. 16 Prozent fuhren mit dem Ticket über Verkehrsverbundgrenzen hinweg. Außerdem nutzten sie seltener das Auto. Hier lag der Rückgang laut VDV bei 16 Prozent. Insgesamt wären nach Berechnungen des Verbands 25 Prozent der Fahrten mit dem Deutschlandticket ohne dieses Angebot nicht gemacht worden.

Die Nutzenden sind dabei eher jung: 35 Prozent sind zwischen 14 und 29 Jahren alt. Mit jeweils 50 Prozent ist die Besitzquote unter Geringverdienenden und Vielverdienenden ausgeglichen. Allerdings kamen zuletzt nur 21 Prozent der Nutzer aus dem ländlichen Raum.

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