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Siedlungsräume als Biotope

Die Dörfer und Städte im Land werden wilder

Immer mehr Wildtiere siedeln sich in direkter Nachbarschaft zum Menschen an. In Dörfern und Städten finden sie einen komfortablen Lebensraum mit Nahrung im Überfluss.

Was für eine Bescherung: Wenn Waschbären in die Wohnung eindringen, kann es zum Chaos kommen.

dpa/imageBROKER)

Stuttgart. Ein Fuchs in der Stuttgarter Disko, ein Waschbär hängt in Rudersberg am Blitzableiter fest, in Balingen sitzt ein Uhu im Betonmischer und Wildschweine randalieren in Bretzfeld vor dem Supermarkt – die Meldungen der vergangenen Jahre lassen keinen Zweifel: Dörfer und Städte im Land werden wilder. Die Gründe sind vielfältig, warum es immer mehr Tierarten in bebaute Gebiete zieht. So können einige von ihnen sich recht gut anpassen. Ihnen bieten menschliche Siedlungen dank ihrer Strukturvielfalt ein breites Spektrum an Räumen die ihren natürlichen Lebensstätten ähneln.

Die Nähe zum Menschen bietet Nahrung in Hülle und Fülle

Es gibt Parks und Friedhöfe in denen der Anteil alter Bäume und von verwitterndem Holz laut BUND Bundesverband deutlich höher ausfällt als im Wirtschaftswald. Kleintiere wie der streng geschützte Juchtenkäfer oder die Rauhautfeldermaus profitieren davon. Refugien bieten Wiesen, Teiche, Brachen, Industrieareale und alte Häuser. Unter ihrem Dach und im Mauerwerk finden Arten wie Hausrotschwanz, Turmfalke, Mauersegler oder Zwergfledermaus genügend Nischen und Ritzen, um sich zu verstecken und fortzupflanzen, so die Naturschutzorganisation.

Städte sind oft Hotspots der Biodiversität

Gerade Städte sind Hotspots der Biodiversität, sagt Ilse Storch von der Universität Freiburg. Laut der Expertin für Wildtierökologie und Wildtiermanagement ist die Artenvielfalt dort sogar oft größer als im Umland. Bestes Beispiel ist der Fuchs. Während nach Angabe des bayerischen Wildtierportals in der Stadt zehn bis 15 Füchse pro Quadratkilometer leben, sind es auf dem Land gerade mal bis zu drei. Neben sicheren Ruheplätzen und Aufzuchtmöglichkeiten bietet die Nähe zum Menschen das ganze Jahr energiereiches Futter.

Konflikte zwischen Mensch und Tier werden alltäglich

„Einige Arten schätzen zudem das im Vergleich zu natürlichen Lebensräumen mildere Stadtklima“, weiß Peter Menzendorf. „Außerdem geht vom Menschen meist keine Gefahr aus, weil es in Kommunen keine reguläre Jagd gibt wie draußen in Wald und Flur.“ Der Wildtierbeauftragte vom Landratsamt Ostalbkreis weiß: „Je kleiner die angestammten Lebensräume von Wildtieren durch wachsende Städte, Gemeinden und Infrastrukturentwicklung werden, desto größer werden die Flächen, die sie gemeinsam mit dem Menschen nutzen.“ Konflikte sind programmiert.

Fuchs jagt Dackel durch den Garten

So haben zum Beispiel Waschbären im Dachstuhl eines Firmengebäudes in Bissingen/Teck einen 10 000 Euro teuren Sachschaden verursacht. Mitten in Karlsruhe prallt ein Wildschwein gegen zwei fahrende Autos, während in Stuttgart-Frauenkopf der Fuchs einen Rauhaardackel durch den Garten hetzt und beißt.

Koexistenz bringt immer mehr Fragen mit sich

Auf die Frage, wie die Koexistenz von Mensch und Wildtier in bebauten Gebieten gelingen kann, ohne dass große Schäden oder Krankheiten auftreten, müssen Kreis- und Lokalverwaltungen laut Peter Menzendorf immer öfter eine Antwort finden. Ein Wildtiermanagement speziell für Siedlungsräume beinhalte Konzepte und Maßnahmen die nicht nur akute Probleme pragmatisch und nachhaltig zu lösen, sondern darauf ausgerichtet sind Konflikte vorbeugend zu vermeiden und in ihrer Wirkung abzumildern.

Methoden aus der freien Landschaft sind nicht so einfach übertragbar

Ähnlich sieht es Ilse Storch: „Bewährte Strategien und Methode aus der freien Landschaft lassen sich nicht einfach auf Bereiche übertragen, wo viele Menschen auf engem Raum leben und kleinräumige Besitzstrukturen eine Bejagung auf Populationsebene erschweren.“ Laut der Expertin müssen für Siedlungsräume kreative Ansätze entwickelt werden, die über jagdliche Mittel hinausgehen.

Beste Lebensbedingungen in der Stadt

Essensreste, Abfall, Kompost, Früchte in Gärten, gut erreichbares Haustierfutter oder Bürger, die Wildtiere füttern – all das sorgt laut Ilse Storch dafür, dass Arten wie Steinmarder, Dachs oder Waschbär im Siedlungsraum in höheren Dichten vorkommen. Um satt zu werden und einen Unterschlupf zu finden, kämen sie, anders als auf dem Land, mit weit weniger Fläche aus. Laut dem Wildtier-Kataster der Uni Kiel durchstreifen Füchse in Wald und Flur 400 bis 3000 Hektar große Gebiete. In der Stadt sind es laut bayerischem Wildtierportal 50 bis 70 Hektar. Britischen Studien zufolge müssen Stadtfüchse dank des Ressourcenangebots in der Stadt nicht so stark um Nahrung konkurrieren und können in der City in Familienverbänden leben, statt alleine oder zu zweit wie auf dem Land.

In Siedlungsgebieten kommen immer häufiger Füchse vor.
Daniela Haußmann

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