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Wahlkampf

Oberbürgermeister-Wahl: Ein ungleiches Duell in Pforzheim

Amtsinhaber Peter Boch gegen Dimitrij Walter: Die einzige Oberbürgermeisterwahl in einer Großstadt in diesem Jahr findet am 4. Mai statt und hat einen klaren Favoriten. Im Wahlkampf setzt Boch auf Sachlichkeit, Walter auf Angriff.

Dimitrij Walter (links) fordert Amtsinhaber Peter Boch heraus.

Fotos: Rudolf/Collage: Herrgoss)

Pforzheim. Im Schaufenster des Wahlkampfbüros steht Pforzheim als Miniatur aus Legosteinen: sauber, sicher, quirlig. Drinnen sitzt Oberbürgermeister Peter Boch , Ex-Polizist, CDU-Mitglied, und wartet auf Gesprächspartner. Zwei Frauen vom Familieninfodienst kommen an diesem Morgen zur Tür herein. Sie fühlen sich in ihrer neuen Dienststelle nicht sicher und sprechen damit ein wichtiges Thema von Boch an. In der Legostadt im Schaufenster befindet sich das Hauptquartier des neuen kommunalen Ordnungsdiensts extra in der ersten Reihe. Der 44-Jährige betont stets, dass Pforzheim zwar die sicherste Großstadt in Baden-Württemberg sei, allerdings würden das viele Bürger anders empfinden.

Im Inneren des früheren Ladengeschäfts hängen Hochglanzplakate, eine Tischtennisplatte steht bereit, gerahmte Fotos an der Wand. „Die Leute kommen hier herein und reden mit mir über die Stadt der Zukunft“, sagt der Gastgeber. Der hat eine steile Karriere hingelegt: Vom ausgebildeten Balletttänzer, Streifenpolizist, Personenschützer der Ministerpräsidenten Mappus und Oettinger zum Bürgermeister in Epfendorf (Kreis Rottweil). 2017 bewarb er sich in der Goldstadt und löste den damaligen Amtsinhaber ab. Mit 37 wurde er Oberbürgermeister der sechstgrößten Kommune im Land.

Jetzt zieht er seinen Wahlkampf durch – professionell, wie im vergangenen Jahr geplant, obwohl der Ansturm an aussichtsreichen Gegenkandidaten ausgeblieben ist. Nur ein Herausforderer wird noch auf dem Stimmzettel stehen: Dimitrij Walter.

Zersplitterter Gemeinderat, geschrumpfte AfD

Walter hat kein Wahlkampfbüro und seine Plakate hängen längst nicht so zahlreich in der Innenstadt wie die seines Kontrahenten. Er lädt in einem Restaurant am Sedanplatz zum Gespräch ein. Wie läuft der Wahlkampf? „Schleppend“, sagt er bei einem Cappuccino. Viele Bürger wüssten nicht, dass gerade eine OB-Wahl anstehe. Dabei seien viele unzufrieden. „In acht Jahren unter Boch wurde nichts vorangebracht.“

Nun müsse er als Migrant in den Ring steigen, weil es ja sonst kein anderer macht. Walter bleibt kämpferisch und realistisch zugleich: „Wenn es zehn Prozent werden, wäre es super“, betont er.

Im Jahr 1998 kam er mit seinen Eltern aus Moskau nach Pforzheim, lernte Elektrotechniker, machte seinen Abschluss an der Abendschule, studierte, gründete einen Betrieb. „Wenn ich in den Spiegel schaue, sehe ich gelungene Integration“, sagt er mit markantem russischem Akzent. Im Wahlkampf fordert er deshalb mehr Engagement für Bildung und Vereine – gerade in der Stadt mit dem höchsten Ausländeranteil in Baden-Württemberg.

Integration, sagt Boch, sei für ihn kein Wahlkampfthema – sondern städtische Daueraufgabe. Auch er hat familiäre Wurzeln außerhalb Deutschlands – seine Großmutter stammt aus Luhansk in der Ukraine.

Dass er einen Herausforderer ohne Rückhalt im Gemeinderat hat, ist bemerkenswert, wo es so viele unterschiedliche Gruppierungen und Parteien gibt. Im 41-köpfigen Gremium herrscht politisches Patchwork: 18 Listen sind vertreten – ein Südwest-Rekord. Für Mehrheiten ging Boch auch Kompromisse ein, beispielsweise beim Streit um die Erstaufnahme von Geflüchteten. Die Stadträte wollten keine, die Verwaltung zunächst schon – am Ende lenkte Boch ein.

„Boch hat viel angekündigt, aber es ist noch viel zu tun“

Die AfD wollte prüfen, ob sie einen eigenen Kandidaten aufstellt. Doch daraus wird nichts. Stattdessen zerlegt sich die Fraktion gerade selbst. Drei Stadträte sind ausgetreten, im Kreisverband gibt es Streit. Mit acht Sitzen ist die CDU wieder stärkste Kraft – Boch sitzt im Landesvorstand der Christdemokraten.

Auch die FDP, die immer wieder Kontroversen mit der Stadtverwaltung ausgefochten hatte, hat sich vergangene Woche öffentlich gegen ihr Parteimitglied Walter und für Boch ausgesprochen, den sie auch schon 2017 unterstützt hatte.

Und selbst die linke Opposition um SPD und Grüne hat keinen Bewerber ins Rennen geschickt, obwohl sie gewollt hätte. „Wir hatten eine Person ins Auge gefasst, aber die Kandidatur hat sich leider aus persönlichen Gründen kurzfristig zerschlagen“, erklärt SPD-Fraktionschefin Annkathrin Wulff.

Zufrieden mit den acht Jahren unter Boch sind die beiden Fraktionen nicht. Bezahlbare Wohnungen und Kita-Plätze fehlen, die Innenstadt veröde, die Digitalisierung der Verwaltung komme nicht voran. „Boch hat viel angekündigt, aber es ist noch viel zu tun“, kritisiert Wulff.

Der Amtsinhaber verweist auf erschwerte Rahmenbedingungen: hohe Baukosten, Fachkräftemangel. Trotzdem, erklärt Boch, habe man 1000 neue Kitaplätze geschaffen, 50 Millionen Euro Schulden abgebaut, eine Bäderstrategie aufgesetzt und die Grund- und Gewerbesteuer gesenkt. Zustimmung für Letzteres kommt von der FDP.

Ein Reizthema für Walter bleibt das Emma-Jaeger-Bad

Walter hatte vor acht Jahren ebenfalls kandidiert, landete aber mit 4,8 Prozent der Stimmen auf dem dritten Platz. Der 42-Jährige hat schon mehrfach versucht, auf einen Chefsessel im Rathaus in seiner Heimatstadt zu gelangen – vergebens.

All das hält ihn nicht davon ab, es jetzt wieder zu versuchen. Seine Themen verknüpft er auch mit seiner Biografie. Unverständnis zeigt Walter für die frühzeitige Werbung Bochs für eine Landesgartenschau in Pforzheim ab 2037. Ein Zuschlag sei längst nicht sicher. „Wenn das nicht funktioniert, haben wir die Plakate umsonst aufgestellt“, sagt er kopfschüttelnd. Er musste sich in seinem Arbeitsleben immer rechtfertigen und Leistung bringen, betont Walter.

Ein Reizthema für Walter bleibt das Emma-Jaeger-Bad. Er will den Jugendstilbau erhalten, den viele Pforzheimer seit Kindheitstagen in Erinnerung haben. Das Thema ist im Gemeinderat aber eigentlich schon abgehakt: Auch die FDP und die SPD wollten den innerstädtischen Schwimmstandort sanieren, doch die Stadtverwaltung setzte sich mit Blick auf die Kosten mit einem Abriss durch. Als Ersatz hat man sich für ein Hallenbad neben dem Wartbergbad entschieden. Zudem will Walter mit innovativen Ideen wie einer Hängebrücke und einer Solaroffensive bei den Wählern punkten.

Auch Boch hat eine Vision: Ein Pforzheim voller Leben – so wie in der Lego-Stadt im Schaufenster seines Wahlkampfbüros. Menschen flanieren, studieren, treiben Sport. Dieses Bild will er Realität werden lassen – mit Bauprojekten, die er in der ersten Amtszeit angestoßen hat. Auch die Wiederbelebung des alten Karstadt-Gebäudes gegenüber zählt zu seinen Vorhaben. Um das zu erreichen, hoffe er „in Demut“ auf einen Wahlsieg und eine zweite Amtszeit am 4. Mai. Dabei konzentriert er sich auf seine Themen: „Ich führe Wahlkampf so, dass die Bürger sehen, wie sehr ich für die Stadt brenne.“

Goldstadt mit Geschichte

Pforzheim ist ein Stadtkreis und eine Großstadt mit rund 135 000 Einwohnern. Die „Pforte zum Schwarzwald“ liegt zwischen Karlsruhe und Stuttgart. Der Name leitet sich von Lateinisch Port(us) ab.

Durch die Schmuck- und Uhrenindustrie wurde Pforzheim weltbekannt und erhielt den Beinamen Goldstadt. Die Wirtschaft ist heute nur noch teilweise auf die Herstellung von Uhren und Schmuck ausgerichtet. Als Oberzentrum verfügt die Kommune über eine der höchsten Industriedichten des Landes.

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