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Jörg Röber: „Eine Verwaltungsreform ist ein Langstreckenlauf“

Staatsanzeiger: Parteien in Baden-Württemberg haben die Abschaffung von Verwaltungsebenen als Wahlkampfschlager entdeckt. Die FDP möchte die Regierungspräsidien abschaffen. Welche Verwaltungsebene würden Sie streichen?
Jörg Röber: Man kann über Gebietsreformen, ob funktional oder territorial, nachdenken. Gerade im Osten gab es Landkreisreformen. Sachsen hat nur noch eine Regierungsdirektion statt der Präsidien. Für Baden-Württemberg halte ich das nicht für sinnvoll.
Warum nicht?
In einem großen Flächenland brauchen wir eine vermittelnde Instanz zwischen den Ministerien und dem nachgeordneten Bereich. Die Aufgaben der Regierungspräsidien sind relevant und müssten nach deren Auflösung von den Ministerien oder den Landkreisen übernommen werden. Daher fordert FDP-Chef Hans-Ulrich Rülke, die Landkreise zu vergrößern. Dass sich daraus aber Skaleneffekte ableiten ließen, sehe ich eher nicht. Man kann stattdessen in einzelnen Politikfeldern und Verwaltungsverfahren über Konzentration oder Dezentralisierung zwischen den Verwaltungsebenen nachdenken. Das ist eine sinnvolle Debatte. Doch es hat Gründe, warum die großen Flächenländer diese Verwaltungsebene behalten und warum diese nur mittelgroße und kleine Länder diese abgeschafft haben.
Die FDP sieht das Ende der Regierungspräsidien als mittelfristiges Projekt. Sehr schnell aber will sie die Regionalverbände beseitigen.
Das ist eine naheliegende Forderung, weil sie den wenigsten Widerstand in der Bevölkerung hervorruft. Diese Planungsverbände sind aber Formen der interkommunalen Zusammenarbeit – also gar nicht so verkehrt. Und sie funktionieren mit wenigen Mitarbeitern ganz gut. Skaleneffekte durch Personaleinsparungen sind also eher gering.
Wie sieht es bei den Landkreisen aus? Die FDP will sie auf Regionalverbandsgröße zusammenlegen – berechtigt?
In den ostdeutschen Ländern brachte die Zusammenlegung Einsparungen, aber nicht im erwarteten Maß. Die negativen Effekte etwa bei Bindewirkung und Partizipationsmöglichkeiten wurden teilweise überschätzt, und man kann eine professionellere Verwaltung aufbauen. Aber wir reden hier über Baden-Württemberg. Zwölf unserer Landkreise zählen nach ihrer Bevölkerungszahl zu den größten in Deutschland. Wir haben also sehr leistungsfähige Verwaltungskörper, die der ehemalige Ministerpräsident Teufel durch seine Reform noch gestärkt hatte. Ich habe Zweifel, ob wir durch noch größere Landkreise Effizienzrenditen erzielen. Mit vergrößerten Landkreisen muss ihre Autonomie wachsen, sonst konzentrieren wir die Aufgaben bloß oder verschieben sie. Das verbessert nichts. Und ich frage mich, ob übergroße Landkreise für die Legitimation und Bindungswirkung sinnvoll sind. Für Baden-Württemberg halte ich das für die falsche Debatte.
Was wäre die richtige Debatte?
Von den 1101 Gemeinden sind viele sehr klein, während es nur zehn freiwillige Fusionen in den vergangenen 50 Jahren gab und besonders die Kleinst- und Kleingemeinden Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit erreicht haben. Da müsste man ansetzen, aber hier fehlen die Mehrheiten, weil man bei einer Gemeinde- oder Verwaltungsreform die Vorteile erst mittel- und langfristig sieht.
Warum diskutieren wir noch über Gemarkungsgrenzen, wenn diese durch die Digitalisierung an Bedeutung verlieren?
Wir sind weder in Baden-Württemberg so weit, noch in den anderen Flächenländern. Aber es stimmt, Servicecenter könnten die publikumsintensive Verwaltungsdienstleistungen unabhängig von der Ebene nah am Bürger anbieten, etwa über Bürgerbüros, die digitalisiert sind. Den Backoffice-Bereich könnte man zentralisieren, während der Bürgerkontakt auf der Gemeindeebene läuft.
Warum gibt es das so selten?
Dazu bräuchten wir integrierte Prozesse und gemeinsame Standards. Wenn das gelingt, könnten wir viele Probleme schon durch eine effiziente und effektive Digitalisierung abfangen. Das ist auch deshalb interessant, weil Kommunen Aufgaben eher hinzugewinnen, und nicht abgeben. Wir müssen uns also den Maschinenraum anschauen. Dafür haben wir viele Abstimmungsgremien zwischen den Ländern, teilweise mit dem Bund. Trotzdem gibt es im Verwaltungsvollzug, in der Abstimmung zwischen den Ebenen, noch viel Musik, das wäre eine Aufgabe für das neue Bundesministerium für Digitales und Staatsmodernisierung. Verwaltungsreform ist aber ein Langstreckenlauf. Da braucht man Kondition. Wer auf kurzfristige Gewinne schielt, schielt in die falsche Richtung.
Kommen wir zur Aufgabenkritik: CDU-Innenminister Thomas Strobl definiert sie mit der Frage, „Kann das weg?“. Was muss weg?
Wir sollten die Debatte auf zwei Ebenen führen und uns stets anschauen, wie unsere Regulierungen aussehen: Wo haben sie sich durch den gesellschaftlichen oder technischen Wandel überlebt? Zweitens müssen wir uns fragen, ob es öffentliche Aufgaben gibt, die wir nicht mehr wahrnehmen wollen oder können. Leistungsadressaten würden so bestimmte Dienstleistungen nicht mehr in gewohntem Umfang oder Qualität erhalten.
Das kratzt an der staatlichen Legitimität.
Das stimmt, aber viele öffentliche Aufgaben müssten gar nicht öffentlich organisiert sein, wie das Ausland zeigt. Die materielle Aufgabenkritik ist konfliktträchtig und braucht politische Mehrheiten. Wir haben die Idee von Subsidiarität und Konnexität, aber man merkt bei vielen öffentlichen Aufgaben, dass das nicht mehr funktioniert. Landkreise können aus Geldmangel Aufgaben im ÖPNV oder im Sozialbereich nicht mehr wie bisher leisten. Die Debatte darüber muss die nächste Landesregierung führen.
Gibt es in der Bevölkerung ausreichend Vertrauen in die Politik für eine Reform?
Wenn man mit einer Reformdebatte nicht nur Einsparungen, sondern die Leistungsfähigkeit in den Vordergrund stellt, kann man Bürger überzeugen. Allerdings wird die Diskussion im Vorfeld der Landtagswahl verkürzt – auf Einsparungen und Legitimationsfragen. Das wird dem komplexen Thema nicht gerecht und ich hoffe, dass eine neue Landesregierung das Thema im Dialog mit Fachleuten und Anspruchsgruppen bearbeitet.
Sind radikale Vorschläge aus der Politik Ausdruck von Misstrauen gegenüber der Verwaltung, nach dem Motto: „Die bringt es halt einfach nicht“?
Dass man über Herausforderungen bei knappen Kassen nachdenkt, ist okay. Die Debatte darf nur nicht den Eindruck erwecken, wir hätten eine unfähige Verwaltung – das ist nicht der Fall. Selbst dort, wo von Überlappungen die Rede ist, im Planungsbereich oder den Schulen, funktioniert unsere Verwaltung.
Zur Person
Jörg Röber ist ein Mann aus der Praxis. In Villingen-Schwenningen war er viele Jahre Referatsleiter und Referent des damaligen SPD-Oberbürgermeisters Rupert Kubon, später Leiter der Stabsstelle für Digitalisierung und Projektmanagement, bevor er 2020 in die Lehre wechselte und Professor in Kehl wurde. Der Politik- und Verwaltungswissenschaftler hat zum Thema grenzüberschreitende Zusammenarbeit am Bodensee promoviert. In Kehl unterrichtet Röber den Verwaltungsnachwuchs in Organisationsmanagement.