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Gericht setzt umstrittene Bürgermeisterin in Niederstetten wieder ein

Der Verwaltungsgerichtshof Mannheim hat die Dienstenthebung der Niederstettener Bürgermeisterin Heike Naber durch den Main-Tauber-Kreis aufgehoben. Die Richter bescheinigen dem Verfahren formelle Mängel. Sie geben aber auch Hinweise, wie das mit dem Disziplinarverfahren funktionieren könnte.

Verwaltungsgerichtshof in Mannheim

DPA/ Uwe Anspach)

NIEDERSTETTEN. Seit 2020 wird die gut 4800 Einwohner zählende Stadt Niederstetten im Nordostzipfel Baden-Württembergs vom Streit zwischen dem Gemeinderat und der seit Mai 2018 amtierenden Bürgermeisterin beherrscht. Heike Naber (parteilos) soll Kompetenzen überschritten haben, weil sie Grundstückskäufe getätigt sowie Architektenaufträge unterschrieben hat. Im Einzelfall ging es um Beträge von mehreren Hunderttausend Euro, ohne dass der Gemeinderat zugestimmt hatte. Die Hauptsatzung limitiert die Bürgermeisterin auf Geschäfte ohne Ratsplacet im Wert von bis zu 25 000 Euro. Am Ende drehte es sich um sieben Verträge ohne Legitimation, so das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs, das sich streckenweise wie ein Krimi liest.

Demnach soll Naber ein Ratsprotokoll so umgeschrieben haben, dass der Rat ihr das Placet zum Abschluss eines Grundstücksgeschäfts gegeben hätte, obwohl es anders im Protokoll vermerkt war – und zwar neun Monate nach Unterzeichnung des Protokolls. Diese Angelegenheit beschäftigt seit November 2020 die Ellwanger Staatsanwaltschaft.

Die anderen Vorwürfe schaute man sich im Landratsamt Main-Tauber-Kreis auf Basis zweier Dienstaufsichtsbeschwerden des Gemeinderats an, darunter der Leiter des Kommunal- und Rechnungsamtes. Als von Disziplinarverfahren noch keine Rede war, hatte dieser der Presse erklärt, in Niederstetten gebe es Kompetenzüberschreitungen – ein Fehler, wie sich später zeigte.

Landratsamt bricht Anhörungsfrist vorzeitig ab

Im April 2021 überschlugen sich die Ereignisse in Niederstetten. Noch im alten Jahr hatten zwölf von 15 Rathaus-Mitarbeitern einen Protest gegen den Führungsstil Nabers unterschrieben. Unterdessen kam das Landratsamt zum Schluss, dass Kompetenzverstöße vorliegen, die eine vorläufige Suspendierung der Bürgermeisterin rechtfertigten. Dies teilte das Landratsamt Naber am 23. April 2021 mit und forderte die Bürgermeisterin auf, sich bis zum 10. Mai zu äußern. Unterdessen endete eine längere Krankschreibung Nabers, sie wollte am 26. April ihren Dienst wieder antreten – doch die Schlösser im Rathaus waren ausgetauscht.

Tags darauf enthob das Landratsamt die Bürgermeisterin vorläufig ihres Amtes. Es habe quasi Gefahr im Verzug geherrscht, die Verwaltung in der Kleinstadt könnte kollabieren. Deshalb habe man die Anhörungsfrist nicht abgewartet. Naber klagte vor dem Stuttgarter Verwaltungsgericht. Sie monierte den Abbruch der Frist und die Befangenheit der Verwaltung, bewiesen durch das Interview des Amtsleiters.
Zu Recht, so das Urteil der ersten Instanz, gegen das der Landkreis Berufung einlegte. Der Verwaltungsgerichtshof bestätigte die Stuttgarter Kollegen, wenn auch mit abweichender Begründung. Er betonte, wie sehr das Amtsleiter-Interview die Besorgnis der Befangenheit nähre, was einen Verfahrensfehler begründe. Außerdem hätte das Landratsamt die Bürgermeisterin vor deren Suspendierung anhören müssen. Die brenzlige Situation der Verwaltung Niederstettens herrschte schon vor dem Auswechseln der Schlösser im Rathaus – also kein Grund zur Eile.

Bürgermeisterin Naber hofft auf gegenseitiges Wohlwollen

Noch im Prozess betonte Heike Naber, dass Mitarbeiter sie nicht auf die Notwendigkeit von Ratsbeschlüssen für die Aufträge und Grundstückskäufe hingewiesen habe. Nun bietet Naber einen Neuanfang an, im Rathaus wie im Gemeinderat. Sachliche Zusammenarbeit und Wohlwollen sollen im Mittelpunkt stehen. Einen Rücktritt des Rates würde sie bedauern, die Zusammenarbeit mit Amtsverweser Simon Michler begrüßen. Die strafrechtlichen Vorwürfe seien unbegründet, auch für sie, so Naber, gelte die Unschuldsvermutung.

Doch der Verwaltungsgerichtshof machte auch deutlich, dass anfangs die Voraussetzungen für eine vorläufige Amtsenthebung wohl bestanden hätten. Doch das Landratsamt hätte sich im Verlauf des Verfahrens stets versichern sollen, dass die Verwaltungsarbeit gefährdet sei. Daran habe es gehapert. Für ein neues Disziplinarverfahren müsse das Landratsamt von vorne die Beweise erheben, bisher nicht vernommene Zeugen hören und den befangenen Amtsleiter vom Verfahren fernhalten.

Monatsfrist bis zur Gültigkeit des Urteils läuft

Ob es dazu kommt, ist unklar, das Landratsamt prüft das Urteil. Die Richter hatten zu ihrem Spruch keine Revision zugelassen. Die einmonatige Frist, dagegen Beschwerde einzulegen, läuft, auch diese Option werde geprüft, teilt die Behörde in Tauberbischofsheim mit.

Derweil bereitet sich Naber auf ihre Rückkehr vor. „Dann würde die Verwaltung auseinanderbrechen“, urteilt Bürgermeisterstellvertreter Ulrich Roth (AWV). Nabers Führungsstil werde als krankmachend beschrieben.

Jetzt herrsche gute Stimmung im Rathaus unter Amtsverweser Simon Michler. Dieser müsste bei der Rückkehr Nabers als Hauptamtsleiter arbeiten, so das Arrangement. Damit das nicht passiert, verlässt sich der Rat nicht mehr auf das Landratsamt und lässt durch einen Juristen die Dienstenthebung der Bürgermeisterin selbst prüfen. Weiterer Prüfauftrag sei, ob ein Rücktritt aller Gemeinderäte als ein Zeichen des Protests gegen Nabers Rückkehr rechtmäßig sei.

Meinungen unserer Redakteure

Pro Abwahl: Bitte keine Wahlmonarchen mehr

Peter Schwab

„Eigentlich ist es in Baden-Württemberg nicht vorgesehen, dass Bürgermeister vor Ablauf der Wahlperiode aus dem Amt scheiden, außer sie treten selbst zurück. Dabei können Vorwürfe noch so begründet sein, noch so deutliche Belege der Inkompetenz vorliegen: Hierzulande sind Bürgermeister ein bisschen die Wahlmonarchen auf Zeit. Das ist undemokratisch. Abhilfe schafft das Recht, dass Bürgermeister abgewählt werden können.
Acht Jahre dauert eine Bürgermeister-Amtszeit, eine lange Zeit. Das verschärft die Gefahren, die mit einer Fehlbesetzung im Amtssessel einhergehen. Streiten erst Gemeinderat, später der Staat mit Amtsträgern über Verfehlungen und Disziplinarrecht, können so bis zu acht Jahre ins Land gehen – verlorene Jahre, in denen die Gemeinde in ihrer Entwicklung geblockt ist. Am Ende ist im politischen Nahfeld das Staatsvertrauen der Bürger erschüttert. Das so genährte Misstrauen strahlt auf die „große Politik“ aus.
Daran ändert auch das Verfahren nichts: Im Streit um die Amtsenthebung mögen Behörden und Gerichte Interessen von Bürgermeistern noch so fair gegen die des Staates abwägen, einen Makel beseitigen sie nicht: Sie arbeiten sich an einer Personalie ab, ohne deren Urheber einzubeziehen, das Wahlvolk. Diese typisch süddeutsche Konstellation wirkt, als ob der Staat lieber einen Schutzmantel über Wahlbeamte legt, statt seinem Souverän vor Ort zu vertrauen – völlig zu Unrecht.
Warum sollen Bürgermeister in ihrer Entscheidungsfreiheit gehemmt sein, bloß weil sie für ihre Politik geradestehen müssen? Mit dem Argument ließe sich jede Wahl, ob regulär oder im Abwahlverfahren, wegdiskutieren. Wir haben das Leitbild eines Rathausleiters, der gute Entscheidungen rechtmäßig trifft und die strittigen plausibel vermittelt. Solche Persönlichkeiten brauchen Abwahlverfahren nicht zu fürchten, selbst wenn ihnen im Gemeinderat der Wind ins Gesicht bläst.
Und gegen die Anderen hilft das Modell, das nördlich des Weißwurstäquators gilt. Dort wird das Einmaleins des Volksentscheids auf Bürgermeister angewandt, mit Quoren zur Einberufung und Gültigkeit. Das vereitelt populistische Abwahlkampagnen. Angegriffene Amtsträger können öffentlich um ihren Posten kämpfen. Und der Souverän kann seine eigene, vielleicht nicht ganz so weise Entscheidung selbst korrigieren.“

Contra Abwahl: Amt in der Krise nicht schwächen

Philipp Rudolf

„Eine Abwahlmöglichkeit würde das Bürgermeisteramt massiv schwächen und weitere Probleme nach sich ziehen. Zugegeben, die starke Position von Rathauschefs in Baden-Württemberg ist bundesweit einzigartig: lange Amtszeiten, unabhängig vom Gemeinderat gewählt und hohe Hürden für ein unfreiwilliges vorzeitiges Aus-dem-Amt-Scheiden. Doch all das ist mitnichten Selbstzweck für Egoshooter: Diese starke Stellung trägt auch dazu bei, dass es den Südwest-Kommunen im Bundesvergleich finanziell so gut geht. Zu diesem Ergebnis kommen Politologen der Uni Freiburg, die die Haushaltssituation von deutschen Kommunen verglichen haben. Ihre These: Starke Bürgermeisterinnen und Bürgermeister haben es leichter, ihren Gemeinderäten zu widersprechen, die eher dazu tendieren würden, mehr Geld auszugeben. Eine Abwahlmöglichkeit würde dazu führen, dass Rathauschefs womöglich so manchem Konflikt mit den Räten aus dem Weg gehen. Das ist kein gutes Vorzeichen für umstrittene Entscheidungen, die in der Dauerkrise künftig immer häufiger anstehen: zu neuen Wohngebieten, Windrädern, zur Flüchtlingsunterbringung oder einfach nur zum Sparen.
Zudem würden Abwahlen das Amt für gut ausgebildete Verwaltungsfachleute unattraktiver machen und in der Folge den Bewerbermangel verschärfen. Schon jetzt plagen viele Gemeinden Nachwuchssorgen und so mancher Gemeinderat sucht händeringend nach geeigneten Kandidaten bei Bürgermeisterwahlen. Eine Abwahlmöglichkeit würde dazu führen, dass es sich gute Bewerber künftig zweimal überlegen, ob sie dieses fordernde Amt übernehmen wollen.
Der dritte Grund, warum Abwahlen in die Irre führen, ist, dass die absolute Mehrzahl der Rathauschefs überhaupt keinen Anlass dazu gibt, warum man sie etablieren sollte. Fälle wie in Niederstetten sind zwar katastrophal, aber sie kommen in den 1101 Kommunen des Landes selten vor. Und viertens machen es andere Bundesländer nicht besser: Das hat das Beispiel in Brandenburg gezeigt, als Rathauschefs in den 90er-Jahren bloß wegen Steuererhöhungen aus dem Amt gekegelt wurden. Mittlerweile wurden dort die Hürden für Abwahlen erhöht. Das Beispiel zeigt, dass das Instrument durchaus zum politischen Druckmittel werden kann.“

Peter Schwab

Peter Schwab kümmert sich um verschiedene Journale der Zeitung und arbeitet außerdem im Crossmediateam und im Ressort Kreis und Kommune. Schon während seines Jura-Studiums hat er für verschiedene Zeitungen geschrieben, später volontiert und als Lokalredakteur gearbeitet. Nach seiner Zeit als Pressesprecher hat er erneut die Seiten gewechselt und ist 2022 zum Staatsanzeiger gegangen – und damit zum guten alten Journalismus zurückgekehrt.

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