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Bürgermeisterin Hannelore Reinbold-Mench: „Ich bin keine Freundin der Frauenquote“

Hannelore Reinbold-Mench will weitere acht Jahre Bürgermeisterin in Freiamt bleiben. Sie könnte damit zur dienstältesten Bürgermeisterin des Landes werden.
Isabelle Godbillon)Staatsanzeiger: Sie kandidieren für die vierte Amtszeit und wären dann eine der am längsten amtierenden Bürgermeisterinnen in Land. Haben wir es mit einer Merkel aus dem Schwarzwald zu tun?
Reinbold-Mench: Ich habe mich mit dieser Idee noch nie befasst, aber wenn ich spontan darüber nachdenke, dann verbindet uns vielleicht die Liebe zu den Menschen und die Freude am Gestalten. Allerdings gibt es einen großen Unterschied zwischen der Verantwortung für 83 Millionen Deutsche und für 4300 Freiämter.
Liebe zu Menschen, Freude am Gestalten, das sagen viele Bürgermeister von sich. Nicht alle aber wollen die 32 Jahre voll machen. Frauen schaffen das noch seltener, warum eigentlich?
Kolleginnen und Kollegen fühlen sich nach zwei Wahlperioden amtsmüde. Das liegt sicher an den steigenden Anforderungen. Ich selbst stelle mich Herausforderungen gerne, deshalb kandidiere ich auch. Andere entwickeln sich weiter wie Christiane Staab, die ehemalige CDU-Bürgermeisterin von Walldorf, die nun Mitglied des Landtags ist.
Verschleißt das Amt Frauen besonders?
Ich denke, das Amt stellt für jeden, der etwas bewegen möchte, eine besondere Herausforderung dar. Das hat vor allen Dingen mit der Organisation zu tun: Wie verbinde ich Familie und Beruf, und welche Verpflichtungen übernehme ich neben dem Amt. Ich habe das Amt in den Vordergrund gestellt. Allerdings ist es etwas völlig Anderes, wenn man als Bürgermeisterin kleine Kinder hat, die viel Aufmerksamkeit verlangen.
Haben wir nur acht Prozent Bürgermeisterinnen wegen den Kindern?
Das sehe ich nicht so, die Mehrheit der Absolvierenden an den Verwaltungshochschulen ist weiblich, wir haben in den Verwaltungen einen Frauenüberschuss, die Rücksichtnahme auf Familie ist da üblich. Ich denke eher, dass es an der Besoldung liegt. Für Frauen ist das Bürgermeisteramt wegen des Zeitaufwandes deshalb einfach nicht attraktiv. Wenn ich in einer Behörde eine 41-Stunden-Woche mit sicherem Feierabend habe, ist das für Frauen mit Familie attraktiver als die zeitaufwendige Aufgabe einer Bürgermeisterin.
Warum suchen Sie das Wahlamt?
Ich möchte gestalten und Verantwortung übernehmen. Schon als Gemeinderätin habe ich erkannt: Wenn man im Ort etwas bewegen will, sich engagiert und Mitstreiter sucht, kann man schnell die Früchte der Arbeit sehen. Damals habe ich als Rechtsanwältin in der streitigen Jurisprudenz gearbeitet. Da hat man immer zurückgeschaut. In der Kommunalpolitik liegt der Fokus auf dem, was kommt.
Worauf lag bei Ihnen der Fokus?
Zu Beginn meiner Amtszeit bestand der Spagat darin, Schulden zurückzufahren und die Infrastruktur weiterzuentwickeln und zu sanieren. Das haben wir mit einem Masterplan geschafft, der die Aufgaben priorisiert hat. Schwerpunkte waren Wasserversorgung, Kanalarbeiten und Straßenbau. Ich hatte in meiner ersten Amtszeit als einziges Hochbauprojekt die Sanierung einer Schule. Aber ich legte es auch nicht auf „tolle“ Bauprojekte an, sondern auf die Sanierung der Infrastruktur.
Hätte ein Mann eher Denkmäler statt unterirdischer Infrastruktur gebaut?
Das kann sein, aber es gibt in der Flächengemeinde Freiamt, die durch Landwirtschaft in der Vorgebirgszone geprägt ist, kaum Flächen, die sich zur Bauentwicklung eigenen.
Viele Bürgermeister rekrutieren sich aus den Gemeinderäten. Doch auch hier liegt der Anteil der Frauen bei 27,4 Prozent.
In Freiamt sind die Hälfte der Gemeinderäte Frauen und mit mir haben die Frauen eine Mehrheit im Rat. Aber es stimmt schon, dass wir in der Kommunalpolitik auch Vorbilder brauchen, an denen sich Frauen orientieren können. Das gilt auch für Bürgermeisterinnen. Ich selbst unterstütze da auch gerne. Mein Vorbild war die Heidelberger Oberbürgermeisterin Beate Weber. Mir hat ihre Arbeitsweise sehr gefallen.
Sie wirken als Mentorin? Wen haben Sie unterstützt?
Das möchte ich nicht sagen, aber es gibt unter uns Rathauschefinnen ein Netzwerk auf Landes- und Bundesebene. In Baden-Württemberg treffen wir uns einmal im Jahr und sind auch sonst in Kontakt.
Baden-Württemberg wurde lange von konservativen Parteien regiert, die Frauenquoten ablehnen. Könnten Quoten einen Impuls für mehr Bürgermeisterinnen setzen?
Ich bin keine Freundin der Frauenquote, weil ich denke, dass die Qualitäten der Kandidatinnen und nicht ihr Geschlecht entscheiden sollten. Es ist auch ein Unterschied, ob es eine Quote für eine Position in der Wirtschaft oder für ein Wahlamt gibt, über das der Souverän entscheidet.
Wenn Bürger mehr Kandidatinnen wegen einer Quote wählen können, fällt ihnen die Vorstellung auch leichter, eine Bürgermeisterin zu haben. Was halten Sie von diesem Wechselspiel?
Den von Ihnen beschriebenen Effekt kann ich so nicht wahrnehmen.
Auf Kreisebene wird die Zahl der Frauen noch dünner, Landrätinnen amtieren nur in Lörrach und Sigmaringen. Sie haben als Landrätin für den Kreis Emmendingen kandidiert und sind 2003 gescheitert. Woran lag das?
An meiner Naivität, ich hatte die Notwendigkeit der politischen Netzwerke falsch eingeschätzt. Das ist eine viel politischere Angelegenheit als eine Bürgermeisterwahl in einem kleinen Ort. Seither ist klar: M eine Heimat ist hier in der Gemeinde. Ich bin Vorsitzende der Bürgermeister im Landkreis und leite einen Arbeitskreis des Gemeindetags.

Freiamt fördert Windkraft. Andernorts verhindern Bürgermeister Windräder. Haben die etwas nicht verstanden?
Nein, das ist die Frage, wie das an jemanden herangetragen wird. Bei uns kam der Impuls 1997 aus der Bürgerschaft durch den Verein zur Förderung der Windenergie. In Freiamt hat niemand vergessen, dass vor 50 Jahren in Wyhl die Mitte der Gesellschaft ein Atomkraftwerk verhindert hat. Wenn wir aber Strom ohne Atomkraft wollen, brauchen wir Alternativen. Wir hatten zunächst drei Windräder, zwischenzeitlich waren es sechs, zwei werden gerade erneuert. Wichtig war aber, dass jemand anfängt. Auch wenn die Anlagen erst beklagt wurden, wollte die große Mehrheit der Bevölkerung Pionier sein.
Freiamt produziert einen deutlichen Windenergieüberschuss, ist aber deshalb noch lange nicht klimaneutral. Wie erreichen Sie die Klimaneutralität?
Für eine Gemeinde wie Freiamt ist das schwierig, weil wir noch viele Häuser mit Ölheizungen haben. Als Gemeinde waren wir Vorreiter und haben mit energetischen Sanierungen den Wärmebedarf unserer Immobilien reduziert. Wir warten aber auf eine Lösung beim Thema Verkehr. Carsharing funktioniert in der Streusiedlung nicht. Wir haben öffentliche Ladesäulen installiert, aber die Verkehrswende stockt.
Sie sprechen von Ihrer Freude an Herausforderungen. Gleichzeitig jammern viele Mandatsträger über die Überforderung der Kommunen. Was gilt für Freiamt?
Gesetze formulieren gute Ziele, aber wenn die Verwaltungsvorschrift dazu kommt, wird es oft schwierig. Detailverliebtheit, Dokumentationspflichten oder Goldplating von EU-Vorgaben auf nationaler oder Landesebene erschweren uns die Arbeit. Das hemmt die Eigeninitiative, die so tolle Dinge hervorbringt wie ein großes Dorfjubiläum bei uns vor einem Jahr.
Jammern Männer eher als Frauen?
Bei den Bürgermeistern gibt es mehr Männer, daher vielleicht der Eindruck. Ansonsten kann ich das nicht bestätigen.
Juristin mit besonderer Auszeichnung
Als dienstälteste Bürgermeisterin Baden-Württembergs gilt die seit 1995 in Burgstetten (Rems-Murr-Kreis) amtierende Irmtraud Wiedersatz. Doch ihre Kollegin aus Freiamt, die 64-jährige Hannelore Reinbold-Mench, könnte ihr den Superlativ mit der erneuten Kandidatur streitig machen. Die gelernte Juristin leitet die Verwaltung im Schwarzwalddorf seit 2001. Zuvor saß die Freiämterin für die Freien Wähler im Gemeinderat. Dem Kreistag gehört sie für diese Fraktion noch heute an. Ihr Einsatz für regenerative Energien und den Tourismus bescherte der Mutter eines Sohnes 2021 das Bundesverdienstkreuz.