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Volkstrauertag

Wie aus dem Gedenkritual lebendiges Erinnern wird

Am kommenden Sonntag haben die Rathauschefs in Deutschland einen festen Termin im Kalender stehen: Volkstrauertag. Stets stehen sie dabei vor derselben Frage: Wie schaffen sie es, dem Ritual Leben einzuhauchen?

Kränze am Kriegerdenkmal in Karlsruhe, während Soldaten Ehrenwache halten: Das Ritual bestimmt den Volkstrauertag bis heute.

imago images/Gustavo Alabiso)

Stuttgart. Zwei Wochen vor dem ersten Advent versammeln sich vor den Kriegerdenkmälern kommunale Würdenträger sowie Uniformträger von Feuerwehr und Streitkräften. Reden werden gehalten, Kränze niedergelegt. An manchen Orten spielt der Musikverein oder ein Chor singt. Der Volkstrauertag ist das ritualisierte Gedenken par excellence.

Zu diesem Ritual gehört auch die Rede des Bürgermeisters, der damit den Ton der Veranstaltung und den Bezug zum Heute setzt. Die Tagesaktualität erleichtert diese Anforderung, „leider Gottes“, wie Nico Morast sagt. Der CDU-Oberbürgermeister von Bretten ( Kreis Karlsruhe ) wird sich mit dem Kriegsende vor 80 Jahren beschäftigen sowie mit den Krisenherden in der Welt. Morast will dabei das Düstere des Tages auch erhellen: „Der Volkstrauertag kann auch ein Tag der Hoffnung auf eine friedlichere Welt sein“, so sein Anspruch.

Nicht bloß eine Aufgabe für die Offiziellen

Passend dazu ist in Bretten der Volkstrauertag in eine ganze Veranstaltungsreihe eingebettet, die Brettener Friedenstage. Ausstellungen, Vorträge und Konzerte, Aktionen in Schulen und ein Lichterzug gehören dazu, neben dem Rathaus organisiert der Arbeitskreis „Bretten – aktiv für Frieden“ die Reihe, Engagement kommt aus der Bürgerschaft.

Dieses Engagement gibt es auch in Wernau ( Kreis Esslingen ). Dort sorgen neben der Verwaltung auch der örtliche Sozialverband VDK, einst als Verband der Kriegsbeschädigten, Kriegshinterbliebenen und Sozialrentner Deutschlands gegründet, für die Veranstaltung. Bürgermeisterin Christiane Krieger (parteilos) möchte das Gedenken aber breiter verankern und in den kommenden Jahren die Schulen einbeziehen. Das ist in Kommunen schon länger üblich, in Südbaden etwa über die Landesgrenzen hinweg, so der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge.

Bedeutung des Tages nimmt zu

Die Bedeutung des Tages nimmt für die Bürgermeisterin zu, die Zeiten, als man in den 2000er- und 2010er-Jahren sich in einer langen Friedensphase wähnte, seien spätestens mit dem Ukraine-Krieg vorbei. Auch Amtskollege Morast sieht nach der Zeitenwende eine wachsende Relevanz des Tages in der Bevölkerung. Mit der Relevanz vergrößert sich allerdings die Fallhöhe. Gerade bei so komplizierten und polarisierenden Themen wie dem Nahost-Konflikt sieht Krieger eine Klippe, die sie als Rednerin umschiffen will: „Wichtig ist mir, das Leid der Bevölkerung in den Mittelpunkt zu stellen und dass man darüber hinaus keine Partei ergreift.“

Aktuelle Bezüge bestimmen auch die Handreichung des Volksbunds Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Der Krieg in der Ukraine steht neben dem Ende des Zweiten Weltkriegs vor 80 Jahren. Noch tiefer in die deutsche Geschichte blickt Charlotte Knobloch, Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde München, die an die gefallenen Juden im Ersten Weltkrieg erinnert, dem Ausgangspunkt des Volkstrauertags (siehe Kasten).

Bei seinen Handreichungen habe es Tradition, dass der Volksbund illustre Persönlichkeiten um Beiträge bittet, sagt der Landesgeschäftsführer des Volksbunds, Oliver Wasem. Neben Wissenschaftlern und Militärs kommen dort Geistliche beider Konfessionen zu Wort. Im Zentrum steht das Totengedenken, ein Text, der die Domäne des Bundespräsidenten ist. Die erste Version hatte Theodor Heuss 1952 vorgetragen.

Das Totengedenken befindet sich stets im Wandel

Seitdem wurde dieser Zentraltext immer wieder den Zeitläuften angepasst. Schon lange wird an die Opfer der Bundeswehr-Auslandseinsätze gedacht. In diesem Jahr hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier erstmals sexuelle und geschlechtliche Minderheiten als Nazi-Opfergruppen einbezogen. Auch kommen zum ersten Mal Polizeiangehörige und Feuerwehrleute im Gedenktext vor, die im Dienst gestorben sind. Damit entwickelt sich dieser Schlüsseltext für die deutsche Gedenkkultur mit der Gesellschaft und den Opfern, die für diese einstehen.

Der Volksbund ist laut Wasem eine der letzten westlichen Organisationen, die noch in Russland aktiv ist und Kriegsgräber pflegt – ohne Gegenstand der russischen Propaganda zu werden. Gleichzeitig seien etliche ukrainische Mitarbeiter mittlerweile nicht mehr für den Verband tätig, sondern an der Front. Mit der Zeitenwende, so Wasem, schätze die Öffentlichkeit das Anliegen des Verbands höher ein. Bei den Straßensammlungen rund um den Volkstrauertag erleben die Uniformierten mit der Büchse in der Hand mehr Wertschätzung als zuvor.

Stiller Tag, aber kein Feiertag

Den Volkstrauertag begeht Deutschland seit 1925. Nach langjähriger Diskussion etablierte die Weimarer Republik das offizielle Gedenken an die Gefallenen des Ersten Weltkriegs. Mit der Machtergreifung der Nazis trat das Heldengedenken in den Mittelpunkt, eine Tradition, von der sich die junge Bundesrepublik nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges erst einmal befreien musste. Seit 1952 ist immer zwei Sonntage vor dem ersten Advent Volkstrauertag, laut Landesfeiertagsgesetz zwar kein Feier-, aber ein stiller Tag, an dem die Gemeinden Veranstaltungen verbieten können, die dem Trauercharakter widersprechen.

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