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Archikon 2025: Planer fordern neue Regeln für das Bauen im Bestand

Ein Beispiel für nachhaltiges Bauen: Das inklusive Wohnprojekt LIO (Leben im Obstgarten) an der Freisinger Straße 30 in Marzling. Foto: dpa/SZ Photos/Johannes Simon
Johannes Simon)Staatsanzeiger: Herr Bäuerle, wie war die diesjährige Archikon?
Hannes Bäuerle: Sie war ein toller Erfolg und ein neuer Maßstab in unserer langjährigen Konferenzgeschichte. Ein neuer Teilnehmerrekord und eine geschlossene Haltung hinsichtlich der Themen zeigen, dass die Planerschaft die Herausforderungen der Zeit verstanden hat und bereit ist, gemeinsam mit allen Akteuren die notwendigen Aufgaben anzugehen!
Das Thema war „Ressourcenwende“. Welche Ressourcen sind gemeint?
Zum einen ging es darum, dass wir weniger mineralische Ressourcen wie Sand und Zement verwenden, deren Produktion hohen CO 2 -Ausstoß hat, sondern mehr Holz, Lehm, Ton und Ziegel. Aber auch sogenannte graue Energie, der Bestand, wird in Zukunft viel mehr Bedeutung bekommen. Umnutzung und Umbau sind gefragt. Weiterhin ging es um die Ressourcen Boden, Wasser und Klima und wie wir zukünftig mit diesen umgehen wollen. Die Frage ist, ob wir unsere Planungsstrategien nicht verändern müssen. Wenn wir immer mehr Fläche versiegeln, fehlen uns die Flächen, wo Wasser versickern kann, wir haben ein höheres Hochwasserrisiko, ein höheres Heißluftrisiko und viel weniger Abkühlung.
Ein Interview mit Ihnen ist überschrieben mit „Visionen statt Verzichtdebatte“. Was wäre so schlimm am Verzicht?
Nichts, aber wir wollen den Verzicht nicht dogmatisch nehmen. Ich kann Leuten in einer freien Gesellschaft nicht vorschreiben, dass sie nur auf 23 Quadratmeter pro Person leben dürfen – momentan ist der Flächenverbrauch etwa 48 Quadratmeter. Besser wäre es, das Bewusstsein für die Folgen zu schärfen. Bildung hilft viel mehr. Und Anreize schaffen.
Wie beispielsweise?
Durch aktive Stadt- und Quartiersentwicklung. Bislang liegen zum Beispiel die größten Wohnungen oft an den exklusivsten Plätzen. Damit fördern wir den Verbrauch. Besser wäre, die kleinen Wohnungen in der besten Lage zu planen, die großen in der schlechteren. Dann könnte ein Umdenken stattfinden.
Eine interessante Idee…
Genau, kein Verzicht, wir brauchen eine Debatte über neue Ansätze.

Auf der Archikon ging es auch um „Standards für Suffizienz“. Kann es Suffizienz in der Baubranche überhaupt geben?
Das ist eine gesamtgesellschaftliche Frage. Brauche ich immer das neuste Handy, den neusten Computer? Brauche ich immer höher, größer, weiter? Wenn das Prinzip stets Steigerung ist, bleiben wir in einer sehr dogmatischen Haltung.
Aber die Baubranche lebt doch davon, dass sie immer Neues baut!
Aber sie könnte sich mehr mit dem Umbau des Bestands beschäftigen. Die Baubranche verdient durch das Material, aber der größte Teil sind die Personalkosten. Wenn ich das Personal geschickt einsetze, habe ich einen Hauptteil der Kosten gedeckt. Wenn ich in einem Bestandsgebäude ein Fenster ausbaue, es sauber mache und woanders wieder einbaue, habe ich auch etwas verdient, aber null Ressourcen verbraucht. Man muss schauen, wo die Kosten entstehen.
Trotzdem wird alles teurer…
Wird das Material knapper oder liegt es daran, dass wir viel zu viel Bürokratie haben? Wenn man sich die Verhältnisse von Unternehmen anschaut, wie hoch der produzierende Anteil der Belegschaft ist und wie hoch der verwaltungstechnische – das ist doch Wahnsinn!
Stichwort Bürokratie: Wie sieht es da bei Vergabe und Wettbewerb aus?
Wir haben verschiedene Gesetzgebungsebenen: Europa, Deutschland, Baden-Württemberg und die Kommunen. Die Vergabe wird europarechtlich geregelt. Es gibt den Wettbewerb und die VGV, die Vergabeverordnung, die regelt, wie die öffentliche Hand etwa Planungs- und Bauleistungen einkauft. Für uns Planerinnen und Planer stellt sich die Frage, ob die VGV und die Wettbewerbsverfahren noch dem entsprechen, was wir benötigen, um zu einem guten Ergebnis, einem Bauwerk oder einer Planungsleistung, zu kommen. Oder gibt es andere Möglichkeiten, wie wir schneller, effektiver und günstiger zu einem Ziel kommen, das sozialverträglich und partizipativ ist?
Und nachhaltig…
Klar. Nachhaltigkeit besteht eigentlich aus drei Bausteinen: dem Ökonomischen, dem Ökologischen und dem Sozialen. Aber wenn ich Verfahren immer komplexer mache, brauche ich mehr Zeit, Geld und Ressourcen und ich schaffe möglicherweise Kriterien, die nicht mehr sozial sind.
Wie ist es mit Fehlproduktionen beim Bau? Fällt das tatsächlich ins Gewicht?
Ja, das ist ein großes Thema. Wir brauchen eine Fehlerkultur, sowohl was die Prozesse, als auch, was den Umgang mit Materialien angeht. Das Start-up Concular aus Stuttgart etwa hat eine Plattform geschaffen, auf der man gebrauchtes Baumaterial einstellen kann und ein anderer kann es erwerben und weiterverwenden. Wir brauchen mehr solche Ideen, aber zugegeben, das sind sehr lokal angesiedelte Lösungen.
Warum werden die bereits vorhandenen Ideen selten genutzt?
Das hat viele Gründe. Zum einen ist den Leuten das nicht so bewusst, zum anderen ist es auch ein Thema für uns Planerinnen und Planer, dass unsere Honorarordnung das nicht zulässt.
Wie das?
Das Honorar orientiert sich am Bauwert, prozentual bezogen auf die Bausumme bekomme ich zwischen 15 und 20 Prozent. Wenn ich aber gebrauchtes Material nehme oder das Bestandsgebäude saniere, fehlen mir wesentliche Baukosten, weil ich keinen Abbruch habe, keinen Neubau. Beim Landschaftsbau ist es das gleiche. Daher brauchen wir eine neue Honorarsituation. Der Bestand muss mitbewertet und vergütet werden. Es muss entlohnt werden, wenn man erhält anstatt abzureißen.
Also ist die Politik gefragt?
Absolut. Es braucht Regelungen, die Bauen im Bestand attraktiv machen. Aber alle sind gefordert, auch die Auftraggeber, die Gesellschaft. Die Baubranche hat schon immer gezeigt, dass sie flexibel ist. Aber es ist entscheidend, dass es klare Vorgaben gibt, wie wir zukünftig leben und bauen wollen. Wenn wir uns gegenseitig den Ball zuschieben und sagen, ihr müsst zuerst, dann passiert nichts. Nur im Zusammenspiel von allen klappt das. Da bin ich mir sehr sicher.
Das Gespräch führte Eva Maria Schlosser

Fazit: Die Erwartungen sind groß
Auf dem bundesweit größten Kongress für Architektur und Stadtplanung beschwören Architekten den Mut zum Wandel. Die Resonanz auf das Thema Ressourcenwandel war groß.
Mit dem Thema „Ressourcenwende: Mit neuen Strategien planen!“ scheint die Architektenkammer Baden-Württemberg (AKBW) den Nerv der Zeit getroffen zu haben: Der Landeskongress für Architektur und Stadtentwicklung verzeichnete rund 1400 Teilnehmende – ein Besucherrekord.
Drei Plenen und zwanzig Seminare standen auf dem Programm. Beim Abschluss-Plenum waren die Redner und Rednerinnen sich einig: „Wenn wir die Welt retten wollen, müssen wir uns von der Perfektion verabschieden“, fasst es Markus Müller, Präsident der AKBW, zusammen. Auch darüber, dass das Thema nur gemeinsam und interdisziplinär angegangen werden kann. Vom Mut zum Wandel, von Kommunikation und Innovationen war die Rede, von Entsiegelung von Flächen, Biodiversität, Kreislaufwirtschaft und Suffizienz.
„Das, was wir heute gemacht haben, müssen wir nun versuchen, in die Politik zu tragen“, so Müller. Die Erwartungen an die neue Regierung sind groß: „Da muss jetzt schon was kommen, die haben noch eine Chance.“