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Interview: Roland Haag

Präsident der Vereinigung Schwäbisch-Alemannischer Narrenzünfte: „Die Zeit verändert sich, die Narren gehen mit!“

Seit Mitte Januar ist Roland Haag Präsident der Vereinigung Schwäbisch-Alemannischer Narrenzünfte (VSAN). Er hat den Stab von Roland Wehrle übernommen, der die VSAN fast 30 Jahre lang leitete. Die Fastnacht boomt, die Narrenzünfte und ihre Veranstaltungen haben großen Zulauf. Für Haag ist die Antwort auf Herausforderungen: Zusammenarbeiten.

Roland Haag will Menschen mit Handicap in die Fastnacht integrieren und die Jugend für Fastnacht und Bräuche gewinnen - dabei geht er neue Wege.

Privat)

Staatsanzeiger:

Seit Mitte Januar sind Sie Präsident der Vereinigung Schwäbisch-Alemannischer Narrenzünfte. Wie fühlt es sich an, der „Obernarr“ von fast 70 000 Narren zu sein?

Roland Haag:

Es fühlt sich gut an die Narren vertreten zu dürfen.  Es ist das Ziel unserer Gemeinschaft, die 68 Narrenzünfte und ihre Narren zu vertreten. Dieses Vertrauen bekommen zu haben, ist wirklich schön.

Die Fasnacht boomt, die Narrenzünfte wachsen, die Umzüge werden mehr und größer. Was ist das Erfolgsgeheimnis?

Es hat verschiedene Gründe. Die Vereine unternehmen sehr viel. Die Menschen brauchen neben dem Negativen, das es auf der Welt gibt, auch ihre Freude, und die wollen sie leben und rauslassen. Die Gemeinschaft in der Fastnacht ist Kulturgut. Diese Bräuche vom Kleinkind bis ins hohe Alter zu leben, hält die Menschen zusammen. Das Wichtige an der Fastnacht ist, dass wir zusammen die Leute unterhalten und sich vor Ort fremde Menschen treffen, was es ja vor lauter Social Media sonst nicht mehr gibt. In der Fastnacht sind die Menschen mittendrin und begegnen sich.

Einerseits zieht die Tradition bei den Zünften, andererseits öffnet man sich. Wie gelingt der Spagat zwischen Tradition und Moderne?

Uns ist wichtig, dass wir gemeinsam, ob Mann, Frau oder egal welchen Geschlechts, Fastnacht feiern können. Im VSAN gibt es jetzt eine Vizepräsidentin, wir hatten schon länger eine Säckelmeisterin im Vorstand, das ist für uns selbstverständlich und kein Thema mehr. Wir machen lebendige Tradition. Fastnacht ist nichts Starres, sie lebt. Die Zeit verändert sich, da geht man als Narr mit, aber die Tradition bleibt lebendig. Es gibt zwar bestimmte Bräuche, die so bleiben, wie sie sind, aber sie gehen mit der Zeit. Vor 100 Jahren hat man anders gefeiert als heute, doch die Werte, die Grundhaltung sind die gleichen.

In Elzach soll es Fastnachtsunterricht in der Schule geben, um die Tradition der „Schuttig“, der örtlichen Narrenzunft, zu vermitteln, weil heute oft „Ballermann“ statt Tradition im Vordergrund steht…

Bildung ist ein wichtiges Thema. Heimat und Bräuche waren früher ein Klassenthema, der Narrenmarsch der Stadt wurde im Unterricht gesungen. Heute vermitteln wir das in den Zünften. Und wir bieten Vorlagen für den Unterricht und auch für Klassenarbeiten an. Viele VSAN-Zünfte gehen in die Schulen, vermitteln Wissen, unterstützen die Lehrer, damit die Kinder das Brauchtum kennenlernen. Wir bauen im Verband auch das Thema Zukunftsforum auf, wo wir die Zünfte mitnehmen wollen: Was können sie tun, wie gelingt es, unterschiedlichste Menschen zu integrieren?

Wie gelingt die Integration?

Das ist ein Thema, das wir über die Zeit entwickeln müssen. Wir versuchen, neue Wege zu gehen. In diesem Jahr haben wir den Fokus, wie Menschen mit Handicap oder ältere Menschen am Umzug, an der Fastnacht teilnehmen können. Das gibt es bei den Landschaftstreffen in Aulendorf, Bad Dürrheim und beim Umzug in Konstanz. Es gibt auch den Versuch, dass man Gehörlose mit an den Umzug bringt. Wenn man Rückmeldung bekommt, wie der Opa beim Umzug wieder der Alte war und Narrensprüche aufgesagt hat, dann ist das etwas Schönes. Wir bekommen hier eine sehr positive Resonanz, die uns bestärkt.

Anselm Sänger, Erster Zunftmeister der historischen Narrenzunft in Villingen, hat erklärt, dass der Zulauf zu den Zünften so groß ist, dass der Massenandrang von Narren für die Umzüge zum Problem wird. Wie kann man damit umgehen?

Die Größe der Umzüge ist mit zwei, zweieinhalb Stunden gut bemessen. Jede Stadt muss das für sich entscheiden. Es gibt großen Zuspruch, aber die Größe des Umzugs ist nicht unbedingt die Qualität des Umzugs. Die wollen wir auch mit verschiedenen Lösungsansätzen über unseren kulturellen Beirat erreichen.

Wie das?

Die Frage ist, wie wir uns anders begegnen können neben dem Umzug, etwa über Brauchtumsvorführungen, und den Umzug dann kürzer machen. Die Präsentation der einzelnen Zünfte spielt sich auf den Landschaftstreffen ab. Die Hausfastnacht am Ort bleibt aber das Wesentliche, die Fastnacht in Villingen oder Friedlingen, das ist die Heimat, die Landschaftstreffen bieten die Begegnungen zwischen den Zünften.

Sicherheit ist ein großes Thema, sowohl innerhalb der Umzüge, aber auch durch eine potenzielle Gefährdung von außen. Können die Vereine das stemmen?

Organisatorisch ist das zu bewältigen, auch ehrenamtlich. Was man mit Manpower leisten kann, geht. Wenn Geld fließen muss, in Richtung Gemeinden und Städte oder Bauhöfe, für Sicherheitsvorkehrungen, müssen wir noch diskutieren, wie wir das besser machen können. Es macht keinen Sinn, ein Sicherheitskonzept für jede einzelne Veranstaltung zu entwickeln, egal ob es eine Fastnachtsveranstaltung, ein Sommerfest oder eine Musikveranstaltung ist. Jede Stadt, jeder Verein hat dasselbe Problem, wir müssen gemeinsame Lösungen finden. Deshalb sind wir mit Innenministerium und Städte- und Gemeindetag im Gespräch. Wir müssen die Sicherheitsvorkehrungen besser und schlanker organisieren. Dann wird es auch kostengünstiger.

Kommt genug Unterstützung von Kommunen, Polizei, Land?

Es ergeben sich immer wieder Impulse. Durch den Runden Tisch Fastnacht sind jetzt die Fünfjahresgenehmigungen da. Daran muss man noch feilen, aber es ist ein Weg. Der Dialog ist zurzeit sehr gut. Aber wir müssen noch mehr betonen, was wir für Kultur und Tourismus machen. Wir bewegen viel für Städte und Gemeinden. Wir sind ein Aushängeschild.

Auch Saalmieten und GEMA-Abgaben kosten Geld. Die SPD-Landtagsfraktion hat da die Idee eingebracht, dass es dafür Landesmittel geben soll…

Wir brauchen schon Unterstützung, was das Sicherheitskonzept angeht – Security kostet Geld. In Bezug auf die GEMA brauchen wir vereinfachte Lösungen. Das eine ist das Geld, das ja teilweise über die Besucher hereinkommt. Das andere ist die Arbeit, die ehrenamtlich geleistet wird. Wenn die Vereine eine jährliche Pauschale an die GEMA abführen könnten, wäre das eine einfache Lösung: Ich mache eine Überweisung im Jahr, muss nicht Tausend Titel aufführen und am Ende noch Strafe zahlen, weil ich einen Fehler gemacht habe. Das würde die Administration erheblich erleichtern.

Was planen Sie für die Zukunft?

Wir wollen die Jugend noch mehr integrieren in die Fastnacht, in die Bräuche und die lebendige Tradition aufrechterhalten. Dazu gehören auch die Zukunftsthemen: was, wie wird die Fastnacht in Zukunft sein, wen nehmen wir in die Fastnacht mit hinein? Auch das Thema Bildung wird uns beschäftigen. Das könnten wir mit dem Museum der VSAN in Bad Dürrheim ausbauen, etwa durch ein virtuelles Klassenzimmer. Dazu brauchen wir Geld. Wir wollen die Bräuche in den Städten voranbringen, aber vor allem soll die Gemeinschaft der Narren noch mehr zusammenwachsen.

Das Gespräch führte Beate Mehlin

Zur Person: Roland Haag

Roland Haag baut Brücken: in seinem Arbeits- wie in seinem Narrenleben. Der Projektleiter für Hängebrücken hat die Wildline Bad Wildbad und die Blackforestline Todtnau gebaut, die Genehmigung für die Neckarline Rottweil steht. Im Januar wurde der 60-Jährige wurde zum Präsidenten der Vereinigung schwäbisch-alemannischer Narrenzünfte gewählt. Der Zusammenschluss aus 68 Zünften hat über rund 70000 Mitglieder – von Schwaben bis in die Schweiz und ins Badische hinein.

Haag ist seit 53 Jahren aktiver Narr in der Waldseer Fasnet. Den ersten Narrensprung absolvierte er 1970 im Federle der Narrenzunft Waldsee, wo er von 2018 bis 2024 Zunftmeister war.

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