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Reihe: Kulturstädte

In Biberach gibt’s „nicht nur Rüschen und Rosen“

Nicht jede Kleinstadt kann sich so viel Kultur leisten. Knapp zehn Millionen Euro wendet Biberach jedes Jahr für seine kulturellen Einrichtungen auf. Ein Großteil ist naturgemäß in Kosten für Personal und Gebäudeunterhaltung gebunden, etwa eine Million Euro sind frei verfügbares Budget.

Das historische Heimatfest ist der sommerliche Höhepunkt.

Biberacher Schützenfest)

Biberach. „Biberach boomt a bissle. Wir haben 35 000 Einwohner und 30 000 Arbeitsplätze in der Stadt, darunter 7700 bei Boehringer Ingelheim, 4000 bei Liebherr und 2800 bei Handtmann“, erklärt Oberbürgermeister Norbert Zeidler (parteilos) . „Die Einnahmen aus der Gewerbesteuer 2024 belaufen sich auf 100 Millionen Euro. Das ist die höchste Steuerkraft im gesamten Regierungsbezirk Tübingen.“

Die Kreisstadt Biberach an der Riß ist nicht nur wohlhabend, sondern auch sehr gut erhalten. Ihr Marktplatz mit den prächtigen Patriziergebäuden zählt zu den schönsten in Süddeutschland. Die ehemalige Reichsstadt ist Station der Deutschen Fachwerkstraße, der Oberschwäbischen Barockstraße sowie der Mühlenstraße Oberschwaben.

Das Museum vereint gleich mehrere Sparten unter einem Dach

Im größten Gebäudekomplex aus dem Mittelalter, dem Hospital zum Heiligen Geist, ist heute das Museum Biberach untergebracht. Als Mehrspartenhaus vereint es die Abteilungen Kunst, Naturkunde, Archäologie und Geschichte. Samstags ist der Eintritt frei.

Neben Hauptwerken oberschwäbischer Kunst stehen als Besonderheit die Künstlerateliers der Münchner Tiermaler Anton Braith (1836 – 1905) und Christian Mali (1832 – 1906). Die beiden Ateliers sind heute die weitgehend einzigen und originalgetreu erhaltenen Künstlersalons des 19. Jahrhunderts. Die kunst- und kulturgeschichtlich raren Salons, denen das Biberacher Museum den älteren Namen Braith-Mali-Museum verdankt, wurden im Jahr 1906 von München nach Biberach überführt. Mit reichlich Goldmark im Gepäck. „Die Schenkungen von Braith und Mali waren ein grandioser Start für das Museum Biberach“, so Zeidler.

Weitere Glanzstücke des Museums sind die Gemälde, Holzschnitte, Aquarelle und Zeichnungen des Expressionisten Ernst Ludwig Kirchner. Die umfangreiche Sammlung stammt aus dem Nachlass Ernst Ludwig Kirchners, dessen Bruder Ulrich Kirchner in Biberach lebte.

Lokalhistorische Sammlung IM Museum vermittelt Stadtgeschichte

Die naturkundliche Museumssammlung zeichnet die Entstehung und Besiedlung der oberschwäbischen Landschaft nach. Wunderschön gemachte Dioramen entführen in eine Zeit vor Jahrmillionen oder setzen regionale Lebensräume wie Riedwiese, Au- und Mischwald liebevoll in Szene. Die Tausende von Fundstücken der archäologischen Abteilung gehen auf einen Biberacher Sammler zurück.

Die lokalhistorische Sammlung vermittelt einen Einblick in die Stadtgeschichte. Auffallend in allen Museumsbereichen: der Bezug zur Heimat und zur Region. Sehr viele der teils einzigartigen Exponate sind Schenkungen von Einheimischen.

Die Filmfestspiele zählen zu den ältesten in Deutschland

Auch in anderen Kultureinrichtungen trifft man auf großzügige Gönner oder Stifter. „Das liegt an der besonderen Identifikation der Biberacher mit ihrer Stadt“, sagt Zeidler. Auch die Region identifiziere sich mit der Stadt und orientiere sich an deren Kultur. „Wir sehen uns als Mittelpunkt der Kultur.“ So auch bei den Heimattagen 2023. „Bei den Heimattagen war uns wichtig, nicht nur Rüschen und Rosen, sondern auch den dunkelsten Bereich unserer Geschichte zu zeigen.“ Hierzu kuratierte das städtische Museum „Biberach im Nationalsozialismus“. „Die Ausstellung war mutig und die meistbesuchte im letzten Jahr.“

Jedes Jahr im Herbst findet das „Familienfest“ der deutschen Filmemacher statt. Die Biberacher Filmfestspiele gehören zu den ältesten Filmfestivals Deutschlands. Seit der Gründung 1979 hat sich das Festival als feste Größe in der deutschsprachigen Filmlandschaft etabliert. Die Stadt ist Hauptsponsor und fördert das Festival jährlich mit 120 000 Euro. Das Film- und Kinomuseum Baden-Württemberg würdigt zudem seit 30 Jahren in einer Dauerausstellung mit jährlich wechselnden Themenbereichen die über 100-jährige Film- und Kinokultur des Landes – mit Schwerpunkt Oberschwaben.

Hugo Häring und Christoph Martin Wieland wirkten in der Stadt

Nicht allein Film, auch Architektur ist in Biberach zu Hause. Hier konnte Hugo Häring seine Architekturtheorie letztmalig in gebaute Realität umsetzen. Das von der Stadt erworbene Haus im Mettenberger Weg 17 wurde in seinen Originalzustand zurückversetzt – samt Möbeln, die Häring nach 1945 schuf. Das Hugo-Häring-Haus ist ein Kulturdenkmal der Moderne. Rechtzeitig zum 50. Todestag des Architekten am 17. Mai 2008 wurde es der interessierten Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

„Kultur hat schon immer einen hohen Stellenwert in Biberach“, sagt Zeidler und verweist auf die vielen Vereinsgründungen. „Maßgebend ist hier der Dramatische Verein von Wieland.“ Er ist der älteste Amateurtheaterverein Deutschlands. Geprobt wird noch heute wie zu Wielands Zeiten im Komödienhaus. 1761 fand hier die Erstaufführung des Shakespeare-Stücks „The Tempest“ als „Der Sturm“ unter der Leitung des seinerzeit meistgelesenen und bestbezahlten Autors Christoph Martin Wieland (1733 – 1813) statt. Er hatte Shakespeares Werke als Erster ins Deutsche übersetzt.

Kulturarbeit wird in der Stadt an der Riß großgeschrieben

Gefördert wird der Dramatische Verein mit rund 60 000 Euro, die Christoph-Martin-Wieland-Stiftung mit rund 50 000 Euro. Letztere kümmert sich um das Wieland-Museum in dessen einstigen Gartenhaus.

Kulturförderung findet auch in Form von Zuschüssen an Vereine und nichtstädtische Einrichtungen, etwa die Jugendkunstschule und die Bruno-Frey-Musikschule, statt. Überhaupt gehörten Bildung und eine starke Kulturarbeit „zu den wichtigsten Grundbausteinen, um politischen Geisterfahrern erfolgreich begegnen zu können“, so Zeidler.

Im Orchestergraben wie auf der Bühne sind Kinder und Jugendliche

Für das sogenannte Schützenfest (siehe Kasten) weist der Haushalt mit rund 920 000 Euro den größten Posten aus. Das historische Kinder- und Heimatfest ist der sommerliche Höhepunkt in Biberach und Deutschlands ältestes und größtes Kindertheater. Auf der Bühne sowie im Orchestergraben wirken ausschließlich Kinder und Jugendliche mit. „Die Kinder tragen die positive Einstellung zu ihrer Heimatkultur praktisch in ihren Genen“, meint Zeidler.

Für die Zukunft der Kinder und Jugendlichen wird noch anderweitig gesorgt. So bietet das Innovations- und Technologietransferzentrum Plus eine Plattform für Existenzgründer, Unternehmen und die Wissenschaft. Die Stadt war Bauherr und größter Investor. Die Ansiedlung des Fraunhofer-Instituts, das erste nicht-universitäre der Republik, sichere zukünftigen Wohlstand und als Folge sozialen Ausgleich, so der OB. „Das Fraunhofer-Institut ist das wirtschaftliche Pendant zu unseren kulturellen Einrichtungen.“

Norbert Zeidler (parteilos) ist der Oberbürgermeister von Biberach.
Biberach an der Riss hat in diesem Jahr Einnahmen aus der Gewerbesteuer in Höhe von 100 Millionen Euro – und besitzt laut OB damit die höchste Steuerkraft im gesamten Regierungsbezirk Tübingen.
Beim Schützenfest wirken rund 400 Kinder und Jugendliche mit.
Der Marktplatz der ehemaligen Reichsstadt mit den prächtigen Patriziergebäuden zählt zu den schönsten in Süddeutschland.

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