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„Per Pedal zur Poesie“: Literarische Radwege in Baden-Württemberg

In Baden-Württember gibt es bisher elf literarische Radwege unter dem Motto "Per Pedal zur Poesie".
IMAGO/Schoening)Marbach. Thomas Schmidt, Leiter der Arbeitsstelle für literarische Museen, Archive und Gedenkstätten in Baden-Württemberg (alim), hat viele literarische Radwege konzipiert oder auch mit den Autoren und Autorinnen vor Ort zusammen erarbeitet – und alle selber erradelt. 2008 entwickelte er den ersten, der in Lauffen am Neckar mit Hölderlin beginnt, nach Cleebronn , Bönnigheim und Kirchheim führt und dann wieder nach Lauffen zurück. Protagonisten der Strecke sind unter anderen Friedrich Hölderlin, Theodor Heuss, Sophie La Roche, Juliane von Krüdener und Heimito von Doderer.
„Der Weg führt über den Michaelsberg, wo der Freizeitpark Tripsdrill liegt“, sagt Schmidt. „Über den Michaelsberg haben die schwäbischen Romantiker zahlreiche Gedichte geschrieben.“ Etwa Ludwig Uhland oder Eduard Mörike. „Dort, so die Legende, hat der Erzengel Michael mit dem Teufel gerungen“, erzählt Schmidt. „Dabei ist ihm eine Feder aus seinen Flügeln gefallen, die ein Schreiber aus Stuttgart hinterlistig entwendet hat. Daraufhin sei die Plage der Vielschreiberei über die Schwaben ausgeschüttet worden.“
Schmidt hat sichtlich Spaß am Erzählen der Geschichte, die eben nur eine von vielen ist, welche jene kennenlernen, die sich auf den Radweg 01 begeben. Auch an dem Ort, der in Heimito von Doderers psychologischem Kriminalroman von 1938 „Ein Mord, den jeder begeht“ eine Rolle spielt, ein Eisenbahntunnel, kommen die Radler und Radlerinnen vorbei. Dort, am Kirchheimer Eingang, wartete der Held mit einem Bahnwärter, um einen Zug vorbeiziehen zu lassen, um dann die Schienen nach Indizien abzusuchen, die vom Mord an seiner Schwägerin zeugen.
Auch regionale Partner arbeiten an den Radwegen mit
Derzeit gibt es elf Radwege, beispielsweise bei Heilbronn , am Bodensee und durch die Rheinebene. Zwei literarische Radwege im Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald kommen demnächst dazu. Schmidt, der auch als Honorarprofessor am Germanistischen Seminar an der Universität Heidelberg tätig ist, hat deren Konzept gemeinsam mit seinen Studierenden erarbeitet. Ein weiterer Radweg, von Pforzheim über Maulbronn und Knittlingen nach Bretten , ist schon angedacht.
„Ich suche erst nach den musealen Orten und ergänze diese um weitere literarische Spuren, von denen wir zahllose im ganzen Land haben. Dann versuche ich, regionale Partner zu suchen, vielleicht den ADFC oder touristische Initiativen, mit denen ich die Strecke mache“, beschreibt Schmidt seine Vorgehensweise für das Konzipieren der Radwege. Konkret heißt das, an jedem literarischen Radweg, der im Idealfall rund 40 Kilometer lang ist, liegen zwei, mitunter auch vier Literaturausstellungen. Ergänzt werden diese mit literarischen Orten, die auf den ersten Blick nicht als solche zu erkennen sind.
„Aber wenn man mit Touristikern zusammenarbeitet, ist das nicht immer ganz einfach“, so Schmidt. „Die wollen Hochglanz, blauer Himmel, strahlende Sonne. Im Land der Literatur gibt es aber auch den grauen und den bleiernen Himmel, die enttäuschte Hoffnung, den Schmerz und die Wut. Das zu vermitteln, die Spannung zu halten, zwischen touristischem Wohlfühlerlebnis und dem, was die Literatur im Kern ist, nämlich alles, was Menschen angeht, ist die Kunst.“
Das Entscheidende sei aber letztlich immer, dass der Radweg funktioniert. „Es muss Spaß machen, ihn zu fahren, und er muss auch fürs Auge einiges bieten.“
Neues Projekt ist eine Literaturkarte für Baden-Württemberg
Derzeit werden die literarischen Radwege überarbeitet. Eine Firma evaluiert die Routen, macht die Beschilderung, die GPS-Tracks, gegebenenfalls auch die Streckenführung neu. „Viele Bedingungen haben sich geändert“, sagt Schmidt. „Es sind neue Radwege entstanden, einige wurden umgelegt, Beschilderungsvorschriften haben sich geändert und es gibt ganz andere, digitale Zugangsweisen.“ Die Auftritte bei den wichtigsten Routenplanern im Netz, Komoot und Outdooractive, werden angeglichen. 2026 soll dazu dann auch ein Buch erscheinen.
„Und wir haben noch ein großes, auf lange Dauer angelegtes Projekt“, so Schmidt: Eine digitale, partizipative Literaturkarte für Baden-Württemberg. Unter „ literaturland-bw.de “ sollen bis Jahresende alle literarischen Radwege abrufbar sein, gemeinsam mit den, von der alim nicht betreuten, lokalen literarischen Wanderwegen und Spaziergängen. Derzeit sind bereits über 600 Einträge verzeichnet, für Heidelberg und den Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald, weitere werden bald freigeschaltet. „Diese Literaturkarte wird die neue Webseite des Literaturlands Baden-Württemberg sein“, sagt Schmidt.
Aber: Die digitale Zugangsweise, ob über GPS-Signal, über QR-Code oder über Bluetooth, sei das eine, „aber wir leben nicht in einem digitalen, sondern in einem hybriden Zeitalter. Das Ästhetische, die ansprechende grafische Gestaltung, die Schrifttypen, schöne Papiere, sind genauso wichtig“, befindet er. „Wir bedienen beides.“
Schulen könnten in Zukunft in das Projekt mit einsteigen
Auch mit Schulklassen gab es bereits gemeinsame Projekte. „Der Zugang zur Literatur wird ein ganz anderer, unmittelbarer, wenn ich auf Hölderlins Spuren um Lauffen herum mit dem Rad fahre und sehe, wo er geboren ist, anstatt nur zu versuchen, komplizierte Texte zu verstehen.“
Mit der Überarbeitung der Radwege hofft Schmidt auch auf weitere Effekte: „Wenn wir das Projekt zukunftsfähig im Ganzen gemacht haben, steigen vielleicht auch Schulen oder das Kultusministerium mit in unser Projekt ein.“
Deutschlandweit einmalig
In Baden-Württemberg gibt es rund 100 Museen und Gedenkstätten, die sich mit Literatur befassen. Um diese Orte zu betreuen, richtete das Land bereits 1980 die Arbeitsstelle für literarische Museen, Archive und Gedenkstätten in Baden-Württemberg (alim) ein, mit Sitz beim Deutschen Literaturarchiv (DLA) Marbach. Diese ist deutschlandweit einmalig.
Ihre Aufgabe ist es, die literarischen Museen und Gedenkstätten literaturwissenschaftlich und museumsdidaktisch mit Landesmitteln auch finanziell zu unterstützen.