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Staatsminister Jörg Krauss: „Bis zum letzten Tag muss etwas passieren“

Jörg Krauss war Polizist, Ministerialdirektor und Regierungsvizepräsident. Jetzt leitet er die Staatskanzlei.
Achim Zweygarth)Staatsanzeiger: Herr Krauss, Sie waren eigentlich schon im Ruhestand. Jetzt sind Sie mittendrin im Geschehen. Wie waren die ersten Wochen im Amt?
Krauss: Ja, andere lassen das Berufsleben auslaufen. Bei mir ist es umgekehrt, die Arbeit türmt sich auf meinem Schreibtisch. Es macht aber auch Freude, weil die Aufgabe sehr interessant und vielseitig ist, und ich jeden Tag spannende Menschen treffe. Ich freue mich an an dem guten Miteinander und der engen Zusammenarbeit mit dem Ministerpräsidenten.
Hand aufs Herz, wie lange haben Sie gezögert, als Herr Kretschmann Sie im Januar gefragt hat, ob Sie für ein Jahr noch Staatsminister werden wollen?
Ich habe schon gezögert und wollte etwas Bedenkzeit. Aber schon am Morgen direkt nach der Anfrage hat mich der Ministerpräsident angerufen und ich habe zusagt.-
Sie sind als Chef der Staatskanzlei in einer Schlüsselposition als Schnittstelle zwischen Regierung, Fraktionen, Ministerien. Wie sieht Ihr Alltag aus?
Er beginnt morgens sehr früh und endet spät abends, manchmal ist das auch nach Mitternacht. 20 Uhr wird’s eigentlich immer. Und da kann man sich manchmal Abend nicht mehr an alle Termine im Detail erinnern und muss in den eigenen Kalender schauen (lacht).
Und es sind sicher nicht immer ganz einfache Gespräche …
Das Problem besteht darin, dass man sich auf die einzelnen Termine kaum nicht in der Tiefe vorbereiten kann. Insofern macht es durchaus Sinn, dass ich als langjähriger Beamter in Leitungsfunktionen keine Einarbeitungszeit mehr benötige und eine gewisse Erfahrung mitbringe.
Einen Kommentar zu der Ernennung von Krauss lesen Sie hier.
Sie haben Themen von Ihrem Vorgänger übernommen: Bürokratieabbau, Digitalisierung der Verwaltung. Wie ist denn der Stand bei diesen Themen?
Das komplexeste und schwierigste Thema ist sicherlich der Bürokratieabbau. Wobei – da muss man schon unterscheiden zwischen Bürokratie und Bürokratismus. Wir dürfen die Verantwortung nicht einseitig der Verwaltung zuschreiben. Natürlich muss diese sich ändern. Aber man muss sich schon mal die Frage stellen: Woher kommt Bürokratie? Woher kommt die Regelungsdichte? Das liegt auch an der Entwicklung in der Gesellschaft mit einer Betonung der Individualinteressen.
Wie meinen Sie das? Sind die Bürger selbst schuld an Bürokratie?
Nein, aber die Menschen sollten sich Gedanken darüber machen, wie intensiv sie ihre Rechte durchsetzen. Auch Klagen führen zu einer immer engeren Regelungsdichte. Man muss auch mal akzeptieren, dass man von einer Rechtsvorschrift nicht profitiert. Oder man muss für Fehler gerade stehen. Ich bin jetzt schon lange in der Verwaltung – das ist jetzt das 49. Jahr. Es gab früher mehr Bürgerinnen und Bürger, die gesagt haben: Ja, die Entscheidung habe ich getroffen, dafür stehe ich gerade. Diesen Satz hört man immer seltener.
Wird es ein viertes Entlastungspaket beim Bürokratieabbau geben? Wie läuft die Entlastungsallianz mit den Verbänden?
Wir haben über 170 Einzelmaßnahmen identifiziert in der Entlastungsbilanz. Das finde ich durchaus respektabel. Da sind auch sehr gewichtige Dinge dabei. Aber das sind Symptome, und wir müssen die Ursachen bekämpfen. Und die sind natürlich auch politischer Natur und eine gesellschaftliche Entwicklung. Wir müssen wieder zum Gemeinsinn zurückkehren. Wir müssen vielleicht auch an der Liebe zu unserem Land arbeiten.
Man hat den Eindruck, dass Absprachen in der grün-schwarzen Koalition schwieriger werden, etwa beim Klimaschutzgesetz oder dem Regelungs-Abweichungsgesetz. Ist das schon der Wahlkampf für 2026?
Ein Jahr zu verschenken – das gibt es nicht. Dieses Jahr muss man mit voller Kraft angehen. Und bis zum letzten Tag dieser Regierung muss etwas passieren. Wir können uns nicht zurücklehnen und glauben, wenn wir jetzt in den Wahlkampf übergehen, dass irgendetwas besser wird.
Wie Jörg Kraus Staatsminister wurde, lesen Sie hier.
Sind es organisatorische oder Terminfragen, an denen es scheitert? Müssen Sie schon fast so etwas wie ein wandelnder Vermittlungsausschuss ein?
( lacht) Der Begriff ist gut. Ehrlich gesagt, ich kann es nicht benennen. Ich kann tatsächlich nur die Symptome beschreiben. Ja, die Abstimmungsarbeiten sind etwas zäher. Aber ich habe dennoch den Eindruck, dass keine unüberbrückbaren Hindernisse bestehen. Im Grunde genommen ist es eine Partnerschaft, die schon neun Jahre andauert. Und ich glaube schon, dass da ein gewisses Vertrauen da ist. Aber wir müssen jetzt auf die Zielgerade kommen.
Wenn wir auf Ihre fast 50-jährige Karriere zurückblicken, auf welche Erfolge sind Sie stolz?
Es war ein wirklich großer Wurf, dass wir für die Landesverwaltung ein Vier-Säulen-Modell als eines des Urteils des Bundesverfassungsgerichts entwickelt haben. In der Folge beginnt bei uns als einzigem Bundesland der mittlere Dienst mit A8, und der gehobene Dienst mit A10, wir haben vor allem die unteren Besoldungsgruppen sehr stark verbessert, insbesondere für Familien mit Kindern. Und: Das es gelungen ist, die Grabkapelle auf dem Württemberg zu sanieren, unser Wahrzeichen.
In Ihrer ersten Sonderaufgabe im Ruhestand haben Sie die Landespolizei durchleuchtet, haben 2000 Gespräche geführt in allen Präsidien. Hat sich die Polizei verändert, seit Sie vor 40 Jahren als Streifenpolizist begonnen haben?
Irgendwie hat sich die Polizei in ihrem Selbstverständnis verändert über die Jahre. Ich glaube, dass viele die wertschätzende Wahrnehmung ihrer Tätigkeit vermissen. Als Polizeibeamter muss man sich in Extremsituationen einbringen – man kann nicht davonlaufen. Die polizeiliche Aufgabenerfüllung sollte im Mittelpunkt stehen, nicht die Beurteilungsrunden. Polizisten sind Gerechtigkeitsfanatiker.
Über den Bericht von Jörg Krauss über die Landespolizei mehr hier.
Sie haben 24 Handlungsempfehlungen für die Landespolizei aufgeschrieben. Was sind Ihre zentralen Erkenntnisse: Was muss sich ändern?
Es ist eine Frage des Tonfalls, den ein Dienststellenleiter oder ein Polizeipräsident gegenüber einzelnen Polizistinnen und Polizisten oder Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hat – die wirklich teils unter großem Druck stehen. Das ist, glaube ich, wichtiger als formale Dinge. Das war sehr beeindruckend.
Wie empfinden Sie denn die Zusammenarbeit mit Herrn Kretschmann? Sie haben ja viel und eng mit ihm zu tun. Wie erleben Sie ihn?
Ich kenne ihn schon viele Jahre und erlebe ihn mit einem sehr großen Detailwissen in den verschiedenen Bereichen. Ich erlebe ihn auch als jemanden mit großer Ausstrahlungskraft. Persönlich sehe ich ihn in freundschaftlicher Verbundenheit. Das finde ich toll und bereichert mein Leben.
Sie wollten eigentlich im Ruhestand einen Weinberg als Winzer bewirtschaften. Ist der Plan noch aktuell? Oder kommt noch eine Aufgabe?
Ja, den Ruhestand habe ich mir zumindest vorgenommen. Wie schon zwei Mal … (lacht) Aber ich habe einige Streuobstwiesen und bin Vorsitzender des Fördervereins Stuttgarter Apfelsaft. Ich überlege schon: Wie soll ich das noch neben her schaffen? Aber Wein ist meine Leidenschaft, wir sollten nicht nur Billigweine aus dem Supermarkt trinken, sondern mal eine Cuvée aus bodenständigem, charaktervollem Lemberger mit harmonischem, weichem Merlot oder Cabernet Franc. Das ist einfach etwas Wunderbares und kommt unserer Kulturlandschaft zugute. Aber ich bin tatsächlich auch ein Familienmensch. Ich freue mich, wenn ich meine Frau und meine Kinder sehe.
Das Gespräch führte Rafael Binkowski.

Zur Person
Jörg Krauss ist 1958 in Bempflingen (Kreis Esslingen) geboren. 1976 wurde er Streifenpolizist in der Besoldungsstufe A4, kam 1980 ins Landeskriminalamt (LKA). Er stieg in den höheren Dienst auf, wurde 2006 Vizechef des LKA und 2011 Polizeipräsident in Tübingen. 2013 wurde das Grünen-Mitglied Referatsleiter im Staatsministerium, 2015 Regierungsvizepräsident in Tübingen, und 2016 Ministerialdirektor im Finanzministerium. Er gilt als integrativer Brückenbauer. Im Ruhestand wurde er 2023 von Innenminister Thomas Strobl zum Aufklärer der Polizeiaffäre benannt. Im Februar folgte er Florian Stegmann als Chef der Staatskanzlei nach.