Themen des Artikels

Um Themen abonnieren und Artikel speichern zu können, benötigen Sie ein Staatsanzeiger-Abonnement.Meine Account-Präferenzen

Mord an Rouven Laur

Damit der Hass nicht siegt

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Und sie gilt für Mörder ebenso wie für ihre Opfer. Ein Kommentar von Michael Schwarz zu der bemerkenswerten Urteilsbegründung im Fall des ermordeten Polizisten Rouven Laur.
Zwei Polizisten in Uniform tragen ein gerahmtes Foto, weitere Polizisten im Hintergrund.

Am 14. Juni 2024 versammelten sich seine Kollegen, um Rouven Laur zu gedenken. Nun wurde sein Mörder zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.

Maximilian Schwarz)

Es ist nicht nur das Urteil, das Bestand haben dürfte. Es ist auch eine mündliche Urteilsbegründung , die die Menschen, die ab diesem Dienstagmorgen zum Oberlandesgericht nach Stuttgart-Stammheim gekommen waren, so schnell nicht vergessen dürften. Drei Stunden und fünf Minuten nahm sich der Vorsitzende Richter Herbert Anderer Zeit, allen Beteiligten der schrecklichen Tat vom 31. Mai 2024 gerecht zu werden.

Also auch dem Angeklagten, der auf dem Mannheimer Marktplatz einen Polizisten tötete und fünf weitere Menschen schwer verletzte, vier davon lebensgefährlich. Suleiman Attaee, 1999 in Afghanistan geboren, mit 14 Jahren nach Deutschland gekommen, scheinbar gut integriert, dann innerhalb von kurzer Zeit derart radikalisiert, dass er seine Aufgabe darin sah, vermeintlich Ungläubige zu töten. Und der die Taten, die er innerhalb von wenigen Minuten beging, nun jahrzehntelang büßen muss – auch wegen der besonderen Schwere der Schuld. Was den Eltern von Rouven Laur den Sohn und den Geschwistern den Bruder nicht zurückbringt.

Warum das Gericht keine Sicherungsverwahrung anordnete

Es war schon erstaunlich, wie in der Pressekonferenz, die der Urteilsverkündung folgte, alle Anwälte der Familie des ermordeten Polizeihauptkommissars Rouven Laur dem Richter ihren Respekt zollten. Keine Rede mehr davon, dass es doch bitte schön ein noch härteres Urteil geben müsse – eines, das dafür sorgt, dass der Attentäter nie mehr in Freiheit kommt, weil nach Verbüßung der Strafe die Sicherungsverwahrung kommt. Dafür hatte Anderer die Rechtslage zu eindeutig beschrieben. Und die besagt nun einmal, dass ein „Lebenslänglicher“ ohnehin erst dann auf Bewährung entlassen wird, wenn er keine Gefahr mehr für die Allgemeinheit darstellt. Und dass eine Sicherungsverwahrung keine Strafe darstellt, dass also diejenigen, die so etwas fordern, um härter zu strafen, das deutsche Justizsystem nicht begriffen haben.

Herbert Anderer wirkt wahrhaftig nicht wie einer, der nah am Wasser gebaut hat. Und doch räumte der leise Schwabe ein, dass es Momente gab in der 31 Verhandlungstage dauernden Hauptverhandlung, in der auch ihm beinahe die Tränen gekommen wären. Etwa, als der behandelnde Chirurg berichtete, wie ihm klar wurde, dass er dem Polizisten, dessen Leben er retten wollte, nicht mehr helfen könne.

In den kleinsten Details schilderte der Richter zuvor den Tathergang. Wie Attaee anfangs noch scheinbar unbeteiligt neben dem Stand des Islamkritikers Michael Stürzenberger gestanden hatte. Wie er sich dann in einem unbeobachteten Moment auf ihn gestürzt hatte. Wie der Afghane auf weitere Unterstützer von Stürzenberger einstach. Und dann auf Rouven Laur, als dieser einen Passanten in den Schwitzkasten nahm, der Attaee zur Unterstützung gekommen war – warum, konnte in der Hauptverhandlung nicht geklärt werden. Der Senat hatte eine Vernehmung des Zeugen abgelehnt, weil dies am Strafmaß nichts geändert hätte und die Gefahr bestanden hätte, dass sich der Zeuge selbst belastet hätte.

Für eine höhere Wertschätzung der Arbeit der Polizei

Wie nahe Herbert Anderer das Tatgeschehen ging, wurde auch in einer Episode deutlich, die er vor die juristischen Details stellte. Vor einiger Zeit begegnete ihm bei einer Veranstaltung des SWR in Baden-Baden der Sohn des deutschen Militärattachés Andreas Baron von Mirbach, der bei der RAF-Geiselnahme 1975 in Stockholm ermordet wurde. Clais Baron von Mirbach verlor seinen Vater mit zwölf Jahren. Damals, so berichtete er in Baden-Baden, sei ein Meteorit in ihre „Bullerbü-Familie“ gestürzt. Und danach sei es nie mehr so gewesen wie zuvor.

Und doch hasse der Sohn die Attentäter nicht mit der Begründung, dieser Hass würde ihn nur selber treffen. Das Glück der Familie sei fortan zerbrechlicher geworden. Doch es gebe auch nach derartigen Einschlägen eine Zukunft.

Ob Herbert Anderer damit die Herzen der Familie Laur erreichte, muss offenbleiben. Ihre Anwälte wollten sich nicht dazu äußern, der Vater verließ während der Urteilsverkündung den Saal. Doch den Versuch, allen gerecht zu werden – weit über das Maß hinaus, das man bei solchen Gelegenheiten gewohnt ist -, den hat der Vorsitzende Richter gemacht. Zumal er auch die Bedeutung des Polizistenberufs für eine freie Gesellschaft betonte. Und sich für eine höhere Wertschätzung, gerne auch in Euro und Cent, aussprach. Anderer räumte selber ein, dass es in der Juristerei immer nur um eine Annäherung an die Wahrheit gehen kann. Dass dies ihm und seinen Kolleginnen und Kollegen im Falle des ermordeten Polizeihauptkommissars Rouven Laur weitgehend gelungen ist, dafür spricht einiges.

Nutzen Sie die Vorteile unseres

Premium-Abos. Lesen Sie alle Artikel aus Print und Online für

0 € 4 Wochen / danach 199 € jährlich Nachrichten aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung in Baden-Württemberg Jetzt abonnieren

Lesen Sie auch