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Essay

Die Diskussion um Palantir wird der Sache nicht gerecht

Die Polizei braucht digital mehr Befugnisse und mehr Vertrauen von Politik und Gesellschaft. Mit Blick auf die Software Gotham des US-Unternehmens Palantir, wäre es der Sache dienlich, wenn man sich auch einmal die Situation der Polizei vergegenwärtigt. Ein Essay von Jennifer Reich.
Seitenansicht eines Polizeiautos mit Schriftzug "POLIZEI".

Mit dem neuen Polizeigesetz soll ein rechtlicher Rahmen dafür geschaffen werden, wie die Polizei künftig Daten automatisiert auswerten und analysieren darf.

dpa/picturedesk.com/Harald Dostal)

Der Streit um die Software Gotham der US-Firma Palantir reißt nicht ab. An diesem Donnerstag befasst sich auch der Petitionsausschuss im Landtag damit. Der Freiburger Aktivist Sebastian Müller hat über 13 000 Unterzeichner für sein Anliegen, den Einsatz von Gotham zu verhindern, gesammelt. Das ist legitim und es ist gut und folgerichtig, dass sich der Petitionsausschuss damit befasst, denn es ist zutiefst demokratisch. Und doch wäre es der Sache dienlich, wenn man sich auch einmal die Situation der Polizei vergegenwärtigt.

Worum geht es? Mit dem neuen Polizeigesetz soll ein rechtlicher Rahmen dafür geschaffen werden, wie die Polizei künftig Daten automatisiert auswerten und analysieren darf. Denn die Polizei wird den Datenbergen, die sie auswerten muss, schon lange kaum mehr Herr. Es braucht digitale Tools, um diese Befähigungslücke zu schließen. Das ist notwendig, weil Kriminelle diese Lücke nicht haben. Sie gehen mit der Zeit und müssen nicht auf Datenschutz achten.

Warum sollte die Polizei nicht auch im digitalen Raum Sonderrechte bekommen?

Dies ist kein Plädoyer dafür, alle datenschutzrechtlichen Bedenken wegzuwischen. Doch letztlich geht es um eine Güterabwägung. Bei manchen, die nun gegen Palantir wettern, hat man den Eindruck, dass sie nur das eine Problem sehen, nicht aber das andere. Sie scheinen so wenig Vertrauen in die Polizei zu haben, dass sie mehr Befugnisse per se ablehnen. Im Straßenverkehr ist es völlig normal, dass der Polizei Sonder- und Wegerechte eingeräumt werden, dass sie mit Blaulicht und Signal unterwegs ist. Warum sollte es diese Sonderrechte für die Polizei nicht auch im digitalen Raum geben? Wollen wir tatsächlich, dass die Polizei, die für unser aller Sicherheit sorgt, sich Fesseln auferlegen muss, die Kriminelle nicht tragen?

Das hätte die Konsequenz, dass viele Straftaten nicht mehr aufgedeckt werden können. Dessen muss man sich gewahr sein.

Ein jeder von uns gibt Tag für Tag bedenkenlos Daten preis. Doch wenn es darum geht, dass die Polizei Daten erhebt – unter juristischer Kontrolle – oder analysiert, dann fühlen sich alle bedroht? Das ist nicht stringent und nicht nachvollziehbar.

Der Präsident des Präsidiums Technik, Service, Logistik der Polizei, Thomas Berger, zog kürzlich einen passenden Vergleich: „Der Bankräuber, der sich auf der Flucht an die Straßenverkehrsordnung hält, ist noch nicht erfunden. Da dürfen wir mit Blaulicht hinterher. In der digitalen Welt verlangt man aber von der Polizei, dass wir einhalten, was die Täter nicht einhalten, und dazu noch zehn Prozent Sicherheitspuffer.“ Das macht der Polizei die Arbeit schwer, macht sie teils gar unmöglich.

Ermittler loben die Software Gotham von Palantir mit Blick auf deren Nutzen für die Polizeiarbeit

Es geht nun grundsätzlich darum, die Polizei in die Lage zu versetzen, Kriminellen im digitalen Raum und mit digitalen Tools das Handwerk legen zu können. Das soll im Polizeigesetz geregelt werden. Darin ist nicht geregelt, mit welcher Software. Weil aber die Software von Palantir marktführend ist, und andere Polizeien sie bereits im Einsatz haben und gute Erfahrungen damit machen, ist es richtig, sie einzusetzen. Egal, ob man US-Unternehmer Peter Thiel mag oder nicht, eine Software ist nicht böse. Zumal Thiel nur noch sieben Prozent der Anteile hält. Mit Gotham können Millionen Daten aus verschiedenen Quellen ausgewertet und verknüpft werden. Ein Segen für die Polizei.

Datenschützer sorgen sich, dass Daten in die USA abfließen könnten. Das Fraunhofer-Institut für Sichere Informationstechnologie fand im Quellcode aber keine Hinweise auf versteckte Hintertüren. Auch warnen Datenschützer vor einer ausufernden Sammlung und Verknüpfung von Daten und einer Gefährdung von Persönlichkeitsrechten. Palantir versichert, keine Daten zu sammeln.

Es braucht mehr Vertrauen in die Polizei

Die zentrale Frage ist: Soll die Polizei mit dem neuen Gesetz ausreichend Mittel an die Hand bekommen, um gegen Kriminelle ermitteln zu können und Straftaten zu verhindern? Wenn ja, dann ist das neue Polizeigesetz folgerichtig. Es braucht Vertrauen in die Polizei – dass sie Befugnisse, die sie per Gesetz bekommt, verantwortungsvoll einsetzt, und dass sie beurteilen kann, welche Mittel sie braucht. Die Kriminalisten sagen, dass Gotham ihnen die Arbeit erleichtert, gerade in der Forensik.

Vor allem aber kann das Kind nicht in den Brunnen fallen, bevor der Brunnen gebaut ist. Im übertragenen Sinn: Eine Software sollte nicht verteufelt werden, bevor es Probleme damit gibt. Es bleibt zu hoffen, dass das Polizeigesetz im November verabschiedet wird und Ermittler Gotham nutzen können. Zumindest bis es eine äquivalente europäische Lösung gibt, denn die digitale Souveränität ist freilich zu begrüßen.

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