Drei Spitzenposten für den Südwesten und eine Frage: Was wird aus Esken?

Der CDU-Bundesausschuss hat am Montag dem Koalitionsvertrag zugestimmt.
IMAGO/Matthias Gränzdörfer)Berlin/Stuttgart. Nina Warken (45) wird in diesen Tagen überhäuft von Glückwünschen. Kaum jemand hatte die Südwest-CDU-Generalsekretärin aus dem Neckar-Odenwaldkreis auf dem Schirm, nun wird sie Bundesgesundheitsministerin. Einen Glückwunsch hat sie selbst im Netzwerk X kommentiert: den von Karl Lauterbach (SPD), dem amtierenden Ressortchef. „Werde alles in meinen Möglichkeiten tun, um ihr einen guten Start zu ermöglichen“, schreibt Lauterbach im ehemaligen Twitter, und Warken antwortet: „Vielen herzlichen Dank!“
Es ist kein Geheimnis in der Union, dass Landeschef Manuel Hagel einiges dazu getan hat, seine Vertraute Warken im innersten Machtzentrum um Parteichef Merz zu platzieren. Dort war sie als Parlamentarische Geschäftsführerin der Fraktion ohnehin schon gesetzt. Warken hält Hagel seit seiner Wahl zum Landesparteichef als Generalsekretärin den Rücken frei. Dass Warken im Fokus stand, wurde schon deutlich, als sie als Unions-Fraktionschefin im Bundestag gehandelt wurde.
Warken ist in Bad Mergentheim geboren, ist Juristin und Anwältin in der Kanzlei ihres Schwiegervaters, hat drei Kinder und lebt in Tauberbischofsheim. Die beiden CDU-Landräte von Main-Tauber und Neckar-Odenwald, Achim Brötel und Christoph Schauder, jubeln: „Das ist eine echte Sensation, mit der so wohl kaum jemand gerechnet hatte.“
Dass Thorsten Frei Kanzleramtsminister werden würde, war seit der Bundestagswahl erwartet worden. Der frühere Oberbürgermeister von Donaueschingen war als Erster Parlamentarischer Geschäftsführer engster Vertrauter von Friedrich Merz, organisiert in dieser Rolle geräuschlos und mit verbindlichem Lächeln im Gesicht Mehrheiten. Manuel Hagel lobt ihn als „Chef-Ingenieur im Maschinenraum der Macht“.
Freis bisherige Position soll an Steffen Bilger gehen. Der Ludwigsburger Abgeordnete und ehemalige Verkehrsstaatssekretär würde für Jens Spahn die Rolle übernehmen, die Frei in der abgelaufenen Legislaturperiode für Merz innehatte: Erster Parlamentarischer Geschäftsführer und damit rechte Hand des Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU. Bisher war er stellvertretender Fraktionsvorsitzender. Bilger gehört seit 2009 dem Bundestag an und leitet seit 2011 den CDU-Bezirksverband Nordwürttemberg.
Zur Südwest-Mannschaft in Berlin gehört mit Gunther Krichbaum aus Pforzheim auch ein Staatsminister für Europa im Außenministerium. Der 60-Jährige sitzt seit 2002 im Bundestag, war Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses und Sprecher für Europa, pflegt intensive Kontakte nach Rumänien und Frankreich. Der CDU-Mann eroberte 2002 das Direktmandat in Pforzheim von Ute Vogt (SPD) zurück, und verteidigte es im Februar gegen die AfD, die die Kommunalwahl 2024 noch für sich entscheiden konnte.
Insgesamt ist man in der Südwest-CDU mehr als zufrieden, zumal andere Landesverbände leer ausgegangen sind. Manuel Hagel freut sich über ein „bärenstarkes Team“. Geholfen haben sicher auch Verbindungen der Südwest-CDU zu Merz. Was in der Öffentlichkeit wenig bekannt ist: dessen enger Berater Michael Eilfort entstammt der Südwest-CDU, war früher im Staatsministerium und in der CDU-Fraktion. Und es gibt weitere Personen im Umfeld des künftigen Kanzlers, etwa dessen Büroleiter.
So freut sich auch der gut nach Berlin vernetzte Innenminister und Ex-Parteichef Thomas Strobl (CDU), Baden-Württemberg sei „sehr gut vertreten“, damit könne man einiges für den Südwesten erreichen.
Ohne Posten geht der Fraktionsvize Andreas Jung aus. Allerdings auf eigenen Wunsch: Wie zu hören ist, hätte der profilierte Umweltpolitiker aus Konstanz Staatssekretär für Energie im Wirtschaftsministerium werden können. Da er aber Wert darauf legt, auch für Klima- und Umweltschutz zuständig zu sein, verzichtete er. Und will diese Themen lieber in der Fraktion beackern. „Davor habe ich riesigen Respekt“, sagt dazu Landeschef Manuel Hagel.
Die Südwest-SPD streitet über den Umgang mit Saskia Esken
Bei der SPD ist die Lage ungleich komplexer. Außer der Ersten Parlamentarischen Geschäftsführerin Katja Mast gilt niemand als unbestritten ministrabel. Die Bundesvorsitzende Saskia Esken stammt aus Calw, hat aber im Landesverband wenig Freunde. Während der auf Ausgleich bedachte Landesvorsitzende Andreas Stoch lange versucht hat, Angriffe etwa des Parteiflügels der „Netzwerker“ abzufangen, hat Generalsekretär Sascha Binder Esken in einem Interview mit dem Südkurier frontal angegriffen und als Ministerin ausgeschlossen. Zitat: „Es geht danach, wer sind die vier Besten? Und darunter sehe ich Saskia Esken nicht.“
Das hat innerparteilich erhebliche Eruptionen ausgelöst. Sogar der politische Gegner empfindet die öffentliche Treibjagd auf Esken als „stillos“, obwohl bei der CDU niemand ein erklärter Freund der Calwerin ist.
Dass der Landesvorstand sie am Montag nicht für einen Posten im Bundesvorstand nominiert hat, wurde in Medienberichten als Schwächung gesehen. Doch das Vorgehen war wohl mit ihr abgestimmt, formal kann Esken über den Bundesvorstand nominiert werden.
Gleichzeitig bekommt Binder intern Applaus dafür, dass er die Klagen vieler anderer öffentlich gemacht hat. Für Unmut gegen Esken, so wird erzählt, habe ihr vorzeitiger Abgang bei einer parteiinternen Aussprache über die Verluste bei der Bundestagswahl im Februar gesorgt. Mehr noch verärgert hat die Absage ihrer Teilnahme an einer Kreisvorsitzendenkonferenz, nach der in der Zeitung zu lesen war, Esken habe ein paar Tage Urlaub gemacht. Immer wieder habe die 63-Jährige „nicht wirklich Interesse“ an einer Debatte erkennen lassen.
Mit solchen Rügen an Führungsstil und Auftreten sind aber auch alte Flügelkampfe wiederbelebt. Die Bundesvorsitzende zählt sich zum linken Flügel. Dort wirft man „Netzwerkern“ vor, insbesondere am eigenen Fortkommen interessiert zu sein. Zu den Netzwerkern zählen viele Abgeordnete aus dem Südwesten, etwa der ehemalige Landeschef Nils Schmid.
Parteichef Andreas Stoch versucht, ein Aufbrechen der alten Flügelkämpfe zu verhindern. Viele erinnert die aktuelle Situation an 2018, als eine Mitgliederbefragung der damaligen Landesvorsitzenden Leni Breymaier nach nur zwei Jahren das Amt kostete. Sie gehört der Parteilinken an und attackiert Binder persönlich. Seit er vor vielen Jahren Kreisvorsitzender in Göppingen geworden sei, habe er Frauen in der Partei „das Leben schwer gemacht: Und daran hat sich nichts geändert“.
Eskens Kritiker fordert Breymaier auf: „Wenn ihr euer Mütchen kühlen wollt, lasst das nicht an der Bundesvorsitzenden aus.“ In beiden Lagern der Südwest-SPD, die in den Umfragen derzeit bei mageren elf Prozent liegt, werden alte Geschichten aufgetischt.
Manche verweisen sogar wieder auf die Begebenheit, wie die von Nils Schmid geholte Kultusministerin Gabriele Warminski-Leitheußer im Jahr 2013 abgesetzt wurde. Oder wie Breymaier und ihre umstrittene Generalsekretärin Luisa Boos öffentlich unter Druck gesetzt wurden. Doch das ist lange vorbei, die Partei wurde unter Andreas Stoch befriedet.
Im Lager der Esken-Gegner wird ihre Performance kritisiert. Ein Vorständler sagt, sie sei „einfach keine Menschenfängerin“. Eine Geschichte über den „zufälligen Überraschungssieg“ 2019 im Mitgliederentscheid macht die Runde und der Hinweis, dass Esken schon damals nicht vom eigenen Landesverband, sondern von Nordrhein-Westfalen im Duo mit Norbert Walter-Borjans für die Parteiführung nominiert wurde. Damals haben die beiden auch deshalb das Rennen gemacht, weil sie vom damaligen Juso-Chef und späteren SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert medientauglich gecoacht wurden.
Erinnert wird auch daran, dass die Südwest-SPD und ihre Calwer Bundestagsabgeordnete nie „richtig warm“ geworden seien. Jedenfalls hat Saskia Esken mehrfach einen Einzug in den Landesvorstand verpasst. Im Netz und in bürgerlichen Kreisen ist die Häme gegen die Anhängerin einer Sondersteuer für Milliardäre groß.
In einem Jahr wird im Südwesten gewählt. Nur wenige Genossen könnten sich Esken im Landtagswahlkampf vorstellen, heißt es. Allerdings sind die Aussichten so oder so kompliziert: Seit 2011 haben sich die Ergebnisse halbiert. Dennoch oder gerade deshalb beharren Strategen auf der Idee, die Bundespartei müsse „die Besten“ ins Kabinett schicken, unabhängig von der Herkunft, weil von deren guter Arbeit schlussendlich auch die Wahlkämpfer in Baden-Württemberg profitierten.
Die SPD-Bundesvorsitzende aus Calw könnte weich fallen oder tief
Über das Schicksal von Saskia Esken wird wohl in einem engen Führungskreis um Co-Parteichef Lars Klingbeil in Berlin entschieden, der seit Mittwoch wohl als Vizekanzler und Bundesfinanzminister feststeht. Am Montag soll die SPD-Ministerriege präsentiert werden.
Mancher hofft auf einen ehrenvollen Abgang. Saskia Esken könnte Bundestags-Vizepräsidentin werden oder einer Stiftung respektive Behörde vorstehen. Sie selbst hingegen hofft wohl weiterhin auf ein Ministeramt, doch gilt das als eher unwahrscheinlich. Pokert sie zu hoch, könnte die 63-Jährige am Ende wieder das sein, was sie bis 2019 war: einfache Bundestagsabgeordnete.


