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Ein zartes Ja der Schweiz zur EU hilft auch dem Südwesten

Ministerpräsident Winfried Kretschmann (links)- hier bei einem Besuch der ETH Zürich - ist ein großer Freund der Schweiz.
dpa/Philipp von Ditfurth)Es gibt Länder, die würden alles dafür geben, zu Europa zu gehören, die Ukraine etwa, Georgien oder Moldawien. Andere tun nur so, orientieren sich jedoch in Wirklichkeit in Richtung Osten, etwa Serbien. Und wieder ein anderes hat schon einmal dazugehört und spürt nun den Trennungsschmerz: Großbritannien.
Es gibt aber, wenn man von dem geografisch recht abseitigen Norwegen und ein paar Ministaaten wie Liechtenstein und Monaco absieht, nur ein Gebilde, den alle Europäer gern in ihrer Mitte wüssten und dass sich dennoch ziert. Die Schweiz wäre so etwas wie die Kirsche auf der europäischen Sahnetorte, ein Land, das praktisch alle Anforderungen erfüllt, ohne je dazu gehört zu haben.
Und dies wird wohl auch so bleiben. Jedenfalls wird kein Schweizer Politiker mehr auf die Idee kommen, eine Etappe auf der Weiterentwicklung der Beziehungen als „EU-Trainingslager“ zu bezeichnen. Mit dieser Formulierung stieß der damalige Bundesrat Adolf Ogi seine Landsleute vor den Kopf, als diese 1992 über den Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum abstimmten, der als Vorstufe für einen EU-Beitritt galt.
Was hat das alles mit heute zu tun? Einiges. Zum einen bleibt Ogis damaliger Widersacher Christoph Blocher, inzwischen 85 Jahre alt und wie Ogi Mitglied der SVP, ein leidenschaftlicher EU-Gegner. Und er ist damit nicht allein. Zum anderen aber haben diejenigen, die sich für eine engere Zusammenarbeit aussprechen, aus der Geschichte gelernt. Nicht nur aus 1992, sondern auch aus 2021, als Bern die Verhandlungen über ein Rahmenabkommen für gescheitert erklärte, weil die man der Ansicht war, dafür nie die Zustimmung des Volkes zu bekommen.
Das neue Abkommen, das in seinen Grundzügen seit Weihnachten steht, wird denn auch „Bilaterale III“ genannt. Die Eidgenossen, so das Kalkül, haben bereits den bilateralen Abkommen I und II zugestimmt. Also werden auch der Nummer III mit Wohlwollen begegnen.
Dabei enthalten die „Bilateralen III“ eine Klausel, die jede Form von Rosinenpickerei verbietet. Europa will sich nicht auf der Nase herumtanzen lassen. Sollte etwa die Freizügigkeit für EU-Bürger eingeschränkt werden, wären auch die anderen Vereinbarungen hinfällig.
Eine solche Klausel enthielt auch das gescheiterte Rahmenabkommen. Es handelt sich also um alten Wein in neuen Schläuchen. Und doch sind, Stand heute, die Chancen nicht schlecht, dass die Schweizer Ja sagen, so aktuelle Meinungsumfragen. Denn die Welt hat sich gedreht.
Da ist zum einen Trumps Drohung mit den Zöllen. 31 Prozent, elf mehr als auf EU-Produkte, will der US-Präsident auf Schweizer Produkte erheben. Und zum anderen die Zerstörung der europäischen Friedensordnung durch Wladimir Putin.
Es spricht also einiges dafür, dass sich die Schweizer besinnen. Und ein Abkommen billigen, das ihnen den gleichberechtigten Zugang zum gemeinsamen Markt eröffnet, in den mehr als Hälfte der Schweizer Exporte fließt. Und im Gegenzug Menschen, Waren und Dienstleistungen in die Eidgenossenschaft lassen.
Baden-Württemberg wäre der größte Profiteur im „großen Kanton“, sind doch die beiden Nachbarn eng verflochten. 66 000 Deutsche pendeln jeden Tag auf die andere Seite des Rheins. Die Schweiz ist unser zweitwichtigster Handelspartner.
Die Eidgenossenschaft ist daher auch ein bevorzugtes Reiseziel des Ministerpräsidenten, der sich als Brückenbauer zwischen Bern und Brüssel sieht. Schon seine erste Auslandsreise führte Winfried Kretschmann über den Rhein und in dieser Woche ist er erneut in Bern. Auch seine Minister Winfried Hermann und Theresa Schopper (alle Grüne) weilen oder weilten dieser Tage in Zürich.
Baden-Württemberg hat ein vitales Interesse daran, dass sich die Schweiz zu Europa bekennt. Und gleichzeitig hat man hier mehr Verständnis als in Berlin oder Brüssel dafür, dass die Eidgenossen dabei einen eigenen Weg beschreiten und sich nicht bevormunden lassen wollen.
Wenn das Kalkül aufgeht, stimmen die Schweizer 2028 dem neuen Abkommen zu. Dann wären die Beziehungen geklärt: Die Schweiz würde zwar nicht zur EU gehören, aber deren Regeln übernehmen. Und die Grenze würde noch durchlässiger – falls Alexander Dobrindt sie nicht vorher verrammelt. Hoffentlich bringt dieses Zündeln in Sachen Schengen die geschätzten Nachbarn nicht noch vom rechten EU-Pfad ab. In Stuttgart kann man nur beten, dass Berlin nicht allzu viel Porzellan zerschlägt.