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Gymnasien

Fast 80 000 Bürger wollen wieder ein G-9-Abitur haben

Die Volksinitiative für ein neunjähriges Abitur hat einen großen Erfolg erzielt. Mit 77 838 Unterschriften wurde das Quorum sogar doppelt erfüllt. Nun hoffen die beiden Initiatorinnen, dass die Landespolitik ihrem Ansinnen folgt. Die Reaktionen sind positiv - auch von den grünen G9-Gegnern.

Initiatorinnen und Unterstützer der Elternintiative „G9 Jetzt! BW“ stehen im Foyer des Bürger- und Medienzentrum des Landtags von Baden-Württemberg hinter Kartons, in denen sich Unterschriftenlisten befinden. Die Initiative fordert einen Volksantrag für eine flächendeckende Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium in Baden-Württemberg.

dpa/Marijan Murat)

Stuttgart. In dem Moment, als Corinna Fellner die Zahl der gesammelten Unterschriften präsentiert, bricht Jubel aus, obwohl das in einer Landespressekonferenz nicht vorgesehen ist. Doch die Freude platzte aus den ehrenamtlichen Helfern der Initiaitve „G9 jetzt“ nur so heraus.

Zuvor hatten sie die zusammen getragenen Unterschriften schon an Landtagspräsidentin Mutherem Aras (Grüne) weiter gegeben. Nötig wären nur die Hälfte gewesen, 0,5 Prozent der wahlberechtigten Bevölkerung. Hinter der Initiative stehen zwei Mütter: Corinna Fellner und Anja Plesch-Krubner, die seit über sechs Jahren unermüdlich dafür ackern, allen Gymnasialschülern wieder ein neunjähriges Abitur zu ermöglichen.

Die Initiative will ausdrücklich kein „Schmalspur-Abitur“

Ihre eigenen Kinder sind großteils schon dem Schulalter entwachsen. Doch sie wollen, dass wie alle westdeutschen Bundesländern in Baden-Württemberg wieder der Lernstoff auf neun Jahre verteilt wird. „Es soll kein Schmalspur-Abitur sein“, erklärt Anja Plesch-Krubner, „die beim Umstieg auf G8 gestrichenen Fachstunden etwa für Mathematik sollen wieder aufgestockt werden.“ Auch könne politische Bildung einfließen.

Zuletzt war der Schwung im Sommer etwas erlahmt – auch weil die grün-schwarze Landesregierung parallel ein Bürgerforum mit Zufallsbürgern angestoßen hat. „Viele haben uns gesagt: Ihr habt doch euer Ziel schon erreicht“, berichtet Corinna Fellner. Noch Mitte Oktober fehlten 2000 Unterschriften.

Im Bügelzimmer werden die Unterschriften gesammelt

Zumal die Intiative auf viele bürokratische Hürden stieß. Viele Kommunen kannten sich nicht aus, verlangten, dass alle Unterzeichner persönlich vorbei schauen, was gar nicht nötig ist. Doch alle packten mit an, vor Schwimmbädern oder in Fußgängerzonen wurden Unterschriften gesammelt. „In meinem 9,5 Quadratmeter großen Bügelzimmer wurde alles ausgepackt“, erzählt Fellner, „am Anfang bin ich mit dem Rad einmal am Tag zur Post, am Ende zwei bis drei Mal mit dem Auto.“ Am Ende war es ein Kraftakt aller Beteiligter. „Die Landesregierung soll sehen, wie viele Menschen sich für das neunjährige Abitur einsetzen“, sagen die beiden. Ein wenig Genugtuung schwingt auch mit, weil viele der Initiative nicht zugetraut hätten, das Quorum zu erreichen. Noch bis 13. November wird weiter gesammelt, vielleicht erreichen sie sogar mehr als die 90 000 Voten, die das Volksbegehren „Retter die Bienen“ erreicht hat. Das wird möglicherweise ohnehin noch einmal Thema sein: Damals hat die grün-geführte Landesregierung das Anliegen aufgegriffen, Gespräche geführt – und ein entsprechendes Gesetz erlassen.

Ist das auch eine Blaupause? Corinna Fellner und Anja Plesch-Krubner zeigen sich zumindest offen für Gespräche: „Einem faulen Kompromiss wie der vorgeschlagenen ‚flexiblen Oberstufe‘ werden wir nicht zustimmen. Aber wenn es nah an unseren Forderungen ist, werden wir uns das überlegen.“

Der Landtag muss jetzt beraten

Zunächst aber muss sich der Landtag mit dem Volksantrag beschäftigten, der eine Rückkehr zu G9 fordert. Er kann zustimmen oder ablehnen.Und dann? „Nach diesem Erfolg scheuen wir auch ein Volksbegehren nicht“, sagt Corinna Fellner, „wir sind da nicht ängstlich.“ Auch wenn die Hürde mit 798 000 Unterschriften ungleich höher wäre.

Politische Reaktionen bleiben nicht aus. Der SPD-Bildungsexperte Stefan Fulst-Blei sagt: „Dieses Ergebnis ist sensationell und zeigt, wie viel Druck im Kessel der Eltern ist.“ Die Sozialdemokraten fordern wie schon seit langem im Einklang mit der FDP eine Wahlfreiheit zwischen G8 und G9. Der SPD-Abgeordnete Fulst-Blei sieht in dem Votum eine „klare Ansage“ gegen die Verzögerungstaktik von Grün-Schwarz. Für die AfD erklärt Rainer Balzer: „Nun ist es die Landesregierung in der Bringschuld. Jetzt keine Laberrunden mehr.“

Eine weitere Stimme: Der Vorsitzende des Landeselternbeirats, Sebastian Kölsch, sieht eine „phänomenale Leistung“, und eine Chance, die gymnasiale Oberstufe zu reformieren, im Sinne einer „zukunftsorientierten pädagogischen Ausrichtung“. Ralf Scholl vom Philologenverband erklärt: „Der Landtag sollte den Bürgerwillen respektieren und jetzt handeln.“

Die Grünen zeigen sich „offen für G9 an Gymnasien“

Am bemerkenswertesten ist aber die Reaktion der Grünen-Fraktion, die wie die ganze Partei bislang zum achtjährigen Abitur stand . „Wir Grüne sind offen für Veränderungen im Schulsystem“, sagt der Fraktionsvize Thomas Poreski, „daher sind wir auch offen für die Forderung nach mehr G9, auch an den Gymnasien.“

Allerdings verweist er auf fehlende Lehrkräfte und Gebäude dafür, und auf Probleme beim Umstieg. „Die Konsequenzen eines möglichen Schulsystemwechsels müssen wir ganzheitlich abwägen“, sagt er, „deswegen setzen wir auf ein Bürgerforum, um alle Perspektiven berücksichtigen zu können.“

Das Bürgerforum, das von der Staatsrätin Barbara Bosch organisiert wird, soll noch im Dezember seine Empfehlungen abgeben. Dann entscheidet die Politik.

Die Initiatorinnen der Elterninitiative „G9 Jetzt! BW“ übergeben an Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne) einen Karton, in dem sich ein Gesetzentwurf, ein Zulassungsschreiben und Unterschriftenlisten befinden.

Rafael Binkowski

Chefredakteur des Staatsanzeigers

0711 66601 - 293

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