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Interview

Günther Oettinger, ehemaliger Ministerpräsident: „Ich bin kein Bahn-Ingenieur“

Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hat beklagt, dass vor allem Gegner von Stuttgart 21 immer wieder zu den immer neuen Malaisen des Tiefbahnhofs befragt werden. Dem Staatsanzeiger steht mit seinem Vorvorgänger Günther Oettinger (CDU) ein Befürworter Rede und Antwort.
Ein Mann im Anzug spricht in ein Mikrofon.

Der ehemalige Ministerpräsident Günther Oettinger ist ein prominenter Befürworter von Stuttgart 21.

IMAGO/imageBROKER/Joachim Hahne)

Staatsanzeiger: Sehen Sie einen Grund, bei den Gegnern von Stuttgart 21, Abbitte zu leisten?

Günther Oettinger: Vieles ist nicht so gelaufen, wie wir uns das vorgestellt haben. Das stimmt. Eine abschließende Bewertung sollte aber vorgenommen werden, wenn die neue Infrastruktur voll funktionsfähig und ein halbes Jahr gelaufen ist. Erst dann werden wir sagen können, ob die Prognose, dass Stuttgart einen neuen leistungsstarken Bahnhof und das Land eine hervorragende Infrastruktur bekommt, eingetreten ist.

Aber was passiert, wenn am Ende doch oberirdische Gleise gebraucht werden und damit das bestehende Gleisvorfeld für die versprochenen vielfältigen Nutzungen zu großen Teilen nicht zur Verfügung steht?

Ich kann mir nicht vorstellen, dass das notwendig wird. Aber ich bin kein Bahn-Ingenieur. Wenn die Bahn irgendwann sagt, es wäre besser, auch oberirdische Kapazitäten zu erhalten, dann müssen wir darüber reden. Und auch darüber, was das für den eigentlichen Mehrwert für Stuttgart bedeutet, also fürs Wohnen, für die städtische Infrastruktur und die geplanten Grünzonen. Mich würde es sehr freuen, wenn die Bahn erklären könnte, dass der neue Knoten eine ausreichende Kapazität besitzt und alle bisherigen Gleisbereiche für einen neuen Stadtteil frei werden.

Ärgert Sie dieser Konjunktiv? Sie haben sicher in Ihrer Zeit als Ministerpräsident gedacht, dass S 21 im Jahre 2025 längst in Betrieb ist.

Der Zeitplan und wie er sich entwickelt hat, ist ein großes Ärgernis. Das kann niemand bestreiten. Aber Stuttgart 21 ist leider kein Einzelfall. Mindestens genauso groß, wenn nicht noch größer sind die Probleme an der Rheinschiene. Über vierzig Jahre alt sind die unterschriebenen Verträge, wonach Züge aus den Niederlanden über Deutschland, die Schweiz und nach Genua in Italien fahren sollen. Andere haben ihre vertraglich zugesicherten Leistungen erbracht. Jetzt höre ich, dass es sogar Alternativüberlegungen auf der französischen Seite gibt. Dann wären Freiburg, Offenburg und Karlsruhe so abgehängt, wie wir es damals für Stuttgart und Ulm vermeiden wollten. Ich verlange schon, dass wir in der Gesamtbewertung von S 21 die Ausgangssituation nicht vergessen …

… damals in den Neunzigern …

… schon viel früher. Man muss sich die gesamte Geschichte vor Augen halten. Die EU hatte schon in den Siebzigern begonnen, sogenannte transeuropäische Netze zu entwickeln, also grenzüberschreitende Schienennetze, europäisch koordiniert. Es bestand die große Gefahr, dass die Magistrale von Paris nach Bratislava und Budapest an Stuttgart vorbeiführt, nämlich von Metz nach Nürnberg, München, Salzburg und so weiter. Je konkreter die Pläne wurden, desto klarer wurde auch, dass wir in Baden-Württemberg etwas dagegen unternehmen müssen. Ich erinnere nur daran, dass die erste deutsche Schnellbahnstrecke zwischen Mannheim und Kornwestheim gebaut wurde. So kam Professor Heimerl mit seiner grandiosen Idee ins Spiel, Verkehre zu bündeln wie sonst nirgends in Deutschland: die Schiene entlang der Autobahn statt im Filstal, die Anbindung des Tiefbahnhofs an den Flughafen mit Autobahn und Bundesstraße, mit S-Bahn und Gäubahn.

Aber Gerhard Heimerl hatte zehn statt acht Gleise im Tiefbahnhof vorgeschlagen, und zwar ausdrücklich aus Kapazitätsgründen.

Wenn die Bahn sagt, es geht auch mit acht, dann muss ich der Bahn glauben.

Die Bahn hatte aber phasenweise eigene Zweifel. Baden-Württemberg ist sogar in Vorleistung getreten, als dem Projekt das Abstellgleis drohte. War das aus heutiger Sicht richtig?

Erwin Teufel hat eine Vorfinanzierung vereinbart. Ich habe dann eine schmale Kofinanzierung zugesagt. Immer mit der Absicht zu verhindern, dass Stuttgart von der Magistrale abgehängt wird. Natürlich kann man sich heute über die falschen Berechnungen der Bahn ärgern. Aber zur Wahrheit gehört auch, dass wir als Projektpartner so verhandelt haben, dass das Land nicht draufsatteln muss, sondern dass es bei den ausgemachten Beträgen geblieben ist. Inzwischen gerichtlich bestätigt.

Die Steuerzahler werden sehr wohl zur Kasse gebeten werden. Hätte das verhindert werden können, wenn die Befürworter die von den Gegnern beauftragten Gutachter ernst genommen hätten? Prognosen zu den Kostensteigerungen lagen früh vor.

Auch da kann ich nur vor zu schnellen Schlüssen warnen. Nicht nur die Preise, vor allem die Anforderungen sind stark gestiegen. Zum Beispiel an den Brandschutz nach der Katastrophe in dem Tunnel in Österreich auf den Gletscher bei Kaprun mit 155 Toten. Oder im Naturschutz. Aber natürlich bin ich sehr dafür, alle Kosten, die Steigerungen, die Gründe und die Verantwortung für die erheblichen Verzögerungen genau zu analysieren. Schon allein um für künftige Projekte daraus zu lernen.

Halten Sie es für strategisch klug, wenn die Bahnchefin auf der Suche nach Verantwortlichen jetzt den Dienstleister Hitachi in den Fokus rückt?

Für mich bleibt die Bahn AG im Fokus. Ich finde es gut, dass die Vorstandsvorsitzende vorerst kein Eröffnungsdatum mehr nennt. Und die Frage, wer da jetzt mehr verantwortlich ist, der Zulieferer aus Japan oder die Bahn, die kann ich nicht beurteilen. Ich wiederhole mich, ich bin kein Bahn-Ingenieur.

Gehen Sie zur Eröffnung?

Selbstverständlich, wenn ich’s erlebe.

Das Gespräch führte Johanna Henkel-Waidhofer

Ein weiteres Interview mit Günther Oettinger finden Sie hier .

Die Inbetriebnahme von Stuttgart 21 verzögert sich weiter. Nach den ursprünglichen Plänen sollte der Bahnhof schon seit einigen Jahren in Betrieb sein.
dpa/Bernd Weißbrod)

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