Interview mit Muhterem Aras

„Ich lasse mich von völkischem Denken nicht einschüchtern“

Sie ist seit 2016 Präsidentin des Landtags. Muhterem Aras füllt dieses Amt überparteilich aus. Aber sie kämpft energisch für den Erhalt der Demokratie und gegen die Anfeindungen von rechts. Auch weil sie als Kind Unfreiheit und Diskriminierung in der Türkei erlebt hat.

Chefredakteur Rafael Binkowski spricht mit der Grünen-Politikerin und Landtagspräsidentin Muhterem Aras in ihrem Büro im Stuttgarter Landtag.

Tobias Dambacher)
Staatsanzeiger: Frau Aras, muss die Demokratie, muss auch die Landesverfassung „wetterfest“ gemacht werden?

Muhterem Aras: Wir sind der Überzeugung, dass vieles bei uns schon gut organisiert und wetterfest gegen Demokratiefeinde ist. Aber wir sehen, dass es Kräfte im Land gibt, welche die Demokratie von innen aushöhlen wollen. Deswegen müssen wir bei Regelungslücken nachschärfen. Einige wurden schon geschlossen.

Wo denn zum Beispiel?

Im Untersuchungsausschussgesetz: 25 Prozent der Mitglieder des Landtages oder zwei Fraktionen können einen Untersuchungsausschuss beantragen. 2016 hatte sich die AfD kurzzeitig in zwei Fraktionen aufgespalten und wollte einen Untersuchungsausschuss beantragen. Das hätte jedoch die Regelung zum Schutz der Minderheitenrechte ad absurdum geführt, da die Mitglieder beider Fraktionen Mitglieder derselben Partei waren. Daher habe ich diesen Antrag nicht zugelassen. Danach hat der Landtag das Gesetz dahingehend präzisiert, dass die Mitglieder der zwei Fraktionen verschiedenen Parteien angehören müssen.

Ein wichtiges Thema ist die Richterwahl, in Thüringen soll eine Zweidrittelmehrheit notwendig werden …

Die Unabhängigkeit der Gerichte ist ein wesentlicher Bestandteil der Demokratie, den wir absichern müssen. Dafür gibt es unterschiedliche Regelungsmöglichkeiten. Gleichzeitig müssen und wollen wir die Minderheitenrechte schützen. Wir sind hier noch in der Prüfungsphase.

Bei der Wahl des Kuratoriums der Landeszentrale für politische Bildung hat die AfD aktuell eine Niederlage erlitten, sie wollte sich in das Gremium einklagen, was abgelehnt wurde.

Ja, das ist ein ganz wichtiger Punkt: Der Verfassungsgerichtshof hat entschieden, dass die AfD wie jede andere Fraktion ein Vorschlagsrecht für die Besetzung des Kuratoriums hat. Das Vorschlagsrecht darf verfassungsrechtlich aber nicht das Recht der Abgeordneten auf freie Wahlentscheidung einschränken.

Sie sind viel im Land unterwegs, es gibt viel Unzufriedenheit, Wut oder Hass. Wie nehmen Sie das wahr?

Ich komme mit ganz unterschiedlichen Menschen ins Gespräch. Es gibt ein sehr großes Interesse an Diskussionen zum Grundgesetz, zur Demokratie, aber auch zur Lösung von Problemen. Im persönlichen Gespräch erlebe ich so gut wie keine Anfeindungen, die erreichen mich fast ausschließlich im Netz oder per Post. Was wir aktuell sehen, sind eine wache Zivilgesellschaft und große Demonstrationen der Demokratie. Das ist ein ermutigendes Signal.

Die Grünen stehen bei der Polarisierung im Mittelpunkt, sind oft das Ziel, wie man in Biberach bei den Bauernprotesten oder dem Angriff auf einen Ratskandidaten gesehen hat. Woran liegt das?

Wir leben in herausfordernden Zeiten. Die Pandemie war kaum vorüber, dann kam der Krieg gegen die Ukraine, die Auswirkungen spürt jeder unmittelbar. Es stehen Veränderungen durch den Klimawandel an, und zwar weltweit. Die Grünen stehen in Verantwortung, treffen Entscheidungen, das gefällt nicht allen. Aber das darf niemals zu Gewalt oder Übergriffen führen. Steinwürfe gegen Politikerinnen und Politiker, Angriffe auf Privatgelände, daran dürfen wir uns nicht gewöhnen. Es sind Straftaten, die geahndet werden müssen.

Wie bewerten Sie die Aussage des Stuttgarter CDU-Bundestagsabgeordneten Max Mörseburg: „In Deutschland gibt es ein Blutbad, wenn die Ampelregierung nicht demnächst durch eine wirtschaftskompetente Regierung abgelöst wird.“

Ein Blutbad ist ein Massaker, das hat die Hamas gegen Israel angerichtet. Unter Demokraten so miteinander zu reden, da ist jede Grenze überschritten. Dann dürfen wir uns nicht wundern, wenn andere mit körperlicher Gewalt gegen politisch Andersdenkende vorgehen. Sprache ist dabei ein ganz entscheidender Punkt, der Hass beginnt mit der Sprache.

Wie ist denn der Umgang im Parlament miteinander – in der letzten Wahlperiode mussten Sie die Polizei rufen, etwa gegen den Ex-AfD-Abgeordneten Heinrich Fiechtner …

Ich musste sogar sehr häufig einschreiten und mehrmals die Polizei holen. Nicht nur bei Herrn Fiechtner, auch bei weiteren Abgeordneten, die Mitglied der AfD waren. Es wurde bewusst versucht, mit Provokationen die demokratischen Institutionen zu sabotieren und ins Lächerliche zu ziehen. Auch rückblickend war es richtig, dass ich hart durchgegriffen und gezeigt habe, dass wir eine wehrhafte Demokratie sind.

Und wie ist es aktuell?

Formal habe ich deutlich weniger zu beanstanden, aber inhaltlich hat sich wenig verändert. Von einzelnen Abgeordneten der AfD-Fraktion erlebe ich weiterhin eine Haltung, die spaltet und destruktiv ist. Was auffällt: Je höher die Werte der AfD in Umfragen steigen, um so offensiver und höhnischer tritt sie auf.

Auch Sie persönlich wurden angefeindet, etwa von AfD-Landeschef Sänze …

Herr Sänze sitzt nach wie vor im Parlament. Als ich nach dem Besuch von Gedenkstätten eine Pressemitteilung herausgegeben habe, hat er gesagt: „Daran hätte ich nichts auszusetzen, wenn das ein Deutscher geschrieben hätte.“ Hier hat Herr Sänze ein Problem mit dem Grundgesetz, es gibt keine Deutsche erster, zweiter und dritter Klasse. Ich übe mein Amt parteiübergreifend aus, aber ich werde immer einschreiten, wenn die Demokratie angegriffen wird. Und ich lasse mich von Menschen mit völkischen Denken nicht einschüchtern.

Sie wollen eine positive Erzählung von Demokratie entgegensetzen …

Unser Land kann doch stolz sein darauf, was es geschaffen hat – wir sind ein wirtschaftlich starkes Land, eine stabile Demokratie, den Frieden haben wir uns erarbeitet. Der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck hat es als „Demokratiewunder“ bezeichnet. Es ist vollkommen egal, welcher Religion man angehört, welche Herkunft er oder sie hat – die Würde des Menschen ist unantastbar.

Sie bezeichnen sich selbst als Verfassungspatriotin, was heißt das?

Ich habe in meiner Kindheit in der Türkei erlebt, was es bedeutet, in Unfreiheit zu leben. Damals war meine Muttersprache Kurdisch verboten, Aleviten wurden und werden massiv diskriminiert. In Deutschland dagegen erleben zu dürfen, dass es kein Verbrechen ist, eine andere Sprache zu sprechen oder eine andere Religion zu haben: Es gibt doch nichts Besseres, und nichts Größeres, als in Freiheit zu leben. Das sollten wir uns immer wieder bewusst machen.

Sie sind selbst ein Beispiel für eine erfolgreiche Integration …

Ja, Baden-Württemberg ist ein weltoffenes Land und ein Vorbild an Integration. So haben über eine Million Vertriebener nach dem Zweiten Weltkrieg bei uns eine neue Heimat gefunden und die Gesellschaft bereichert. Auch die sogenannten Gastarbeiter haben seit den 50er-Jahren unseren Wohlstand mit aufgebaut. Darauf können wir sehr stolz sein.

Wie sehen Sie denn die Performance Ihrer Partei auf Bundesebene?

Zunächst mal sind Koalitionen gut für unser Land, weil viele Aspekte mit eingebracht werden, besser als bei einer Alleinregierung. Die Ampel hat auch vieles gut gemacht, etwa die Energiekrise gemeistert. Aber die Kommunikation ist nicht optimal. Streit ist im demokratischen Raum normal und wichtig, aber in einer Koalition sollte man strittige Themen vor allem intern klären.

Wird Cem Özdemir 2026 der Nachfolger von Winfried Kretschmann?

Ich bin froh, dass wir mit Winfried Kretschmann, der nach wie vor sehr beliebt ist, die Legislaturperiode zu Ende bringen können. Es steht noch viel an. Wenn die Zeit gekommen ist, werden wir die richtige Personalentscheidung präsentieren.

Muhterem Aras, die grüne Landtagspräsidentin, will die Demokratie „wetterfest“ machen und sagt: „Wir können stolz sein auf unser Land.“ Foto: dpa/Philipp von Ditfurth
Die Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne) ist viel im Land unterwegs und erlebt weniger Hass und Spaltung, als es medial den Anschein hat. Foto: Tobias Dambacher
Rafael Binkowski

Chefredakteur des Staatsanzeigers

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