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Nach Gewalt am Aschermittwoch

Kretschmann: Biberach darf sich nicht wiederholen

Winfried Kretschmann macht Politik in Brüssel - und kann doch den landespolitischen Fragen nicht ganz entkommen. Der Regierungschef schließt sich der Kritik an der Polizei nach den Vorfällen in Biberach nicht an. Sagt aber auch, so ein Vorfall müsse einmalig bleiben. Aus Brüssel berichten Rafael Binkowski und Peter Schwab

Ministerpräsident Winfried Kretschmann äußert sich bei einem Pressegespräch nach der auswärtigen Kabinettssitzung in der Landesvertretung Baden-Württemberg in Brüssel. Neben ihm sitzt die stellvertretende Regierungssprecherin Caroline Blarr.

dpa/David Nau)

Brüssel. Winfried Kretschmann ist häufig hier in Brüssel, um Europapolitik zu machen, Einfluss zu nehmen. „Ich bin hier häufiger als alle meine 15 anderen Kollegen zusammen“, sagt der Ministerpräsident am Dienstag, als er sich der internationalen und Landespresse stellt. Nach dem Neujahrsempfang hat das Landeskabinett in Brüssel getagt, in Gesprächen mit dem Vize-Kommissionspräsidenten Maros Sevcovic versucht, Themen zu setzen.

Die gibt es reichlich – etwa Vorgaben aus Brüssel, Medizinprodukte wie Stants für Herzoperationen bei Kindern nicht ständig neuer Zertifizierung zu unterwerfen, was die Unternehmen überfordert. Oder die Pestizidrichtlinie, die der Europa-Staatssekretär Florian Hassler (Grüne) als „handwerklich unsauber“ bezeichnet.

Die Landespolitik ist auch in Brüssel präsent

Aber natürlich holt den Regierungschef die heimische Poliitk auch hier die über 500 Kilometer entfernte Heimatpolitik ein.

Denn am Mittwoch befasst sich der Innenausschuss des Landtages – auf Antrag der SPD öffentlich – mit den Vorfällen am Aschermittwoch in Biberach. Dort hatte eine wütende Menge von Aktivisten und Landwirten mit Gewalt, Rauchbomben und Nötigung die Veranstaltung verhindert. Ob die Polizei dabei Warnhinweise übersehen hat und hätte früher agieren müssen, wird nun politisch zum Thema.

Schon beim Neujahresempfang am Montag in der Brüsseler Landesvertretung hatte er deutliche Worte gefunden. 

Hätte die Polizei in Biberach besser eingreifen sollen?

Der Ministerpräsident vermeidet, seinen Stellvertreter und Innenminister Thomas Strobl (CDU) in den Senkel zu stellen, obowohl Parteifreunde durchaus Versäumnisse bei dem Polizeieinsatz sehen..

„Es ist noch mal eine Gruppe eingerichtet worden, die einen detailierten Bericht erarbeitet“, sagt Kretschmann nur. Sein Blick richtet sich aber eher nach vorne, und da wird der 75-Jährige deutlich: „Klar ist: Das darf sich nicht wiederholen, dass der Ministerpräsident  in seinem eigenen Land an einer Traditionsveranstaltung nicht durchführen kann, das muss einmalig bleiben.“ Das müsse der Staat gewährleisten.

Was erwartet Kretschmann vom „Bildungsfrieden“?

Am Freitag dann gibt es ein weiteres landespolitisches Highlight – die Fraktionschefs und die Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) kommen in die Villa Reitzenstein, um über einen „Bildungsfrieden“ zu verhandeln. Welche Erwartungen hat der Regierungschef?

„Ich gehe da offen rein“, sagt er, „ob etwas daraus wird, kann ich nicht beurteilen, das wird sich zeigen.“ Eine Mahnung hat er aber schon mal an die oppositionelle SPD, die fordert, dass Bildung mehr wertsein müsse. „Wir haben nicht irgendwelche Geldsäcke mit Milliarden, die wir nicht ausgegeben haben.“ Es mache keinen Sinn, mit „irrealen Vorstellungen“ in die Bildungsgespräche zu gehen.

Dennoch hält es der Grünen-Politiker für „gut und notwendig“,  dass man zu einer Übereinkunft komme. Baden-Württemberg habe das  komplexeste Bildungssystem aller Länder: „Das zu reduzieren wäre wichtig, wenn es über die Legislaturperiode hinaus geht.“

Der Ärger über die Ampel und die FDP

Und nicht zuletzt der Dauerstreit in der Berliner Ampel, aktuell bei der Bezahlkarte für Flüchtlinge ist Thema. Der Haussegen hängt schief – die Bundesländern fordern wie die FDP eine bundesgesetzliche Regelung, damit die Bundesländer mit der Karte starten können. Die Grünen-Bundestagsfraktion lehnt das bislang ab. Kretschmann sagt dazu: „Meine Haltung ist da völlig klar.“ Die Bezahlkarte müsse rechtssicher sein, dazu brauche es eine gesetzliche Grundlage. Das habe sein Staatsminister Florian Stegmann (Grüne) auch in einer Runde mit seinen Amtskollegen der anderen Länder auch noch einmal abgeklärt.

Kretschmann appellierte an die Bundesregierung: „Wir müssen zeigen, dass der Staat handlungsfähig ist.“ Es gehe darum zu verhindern, dass Flüchtlinge mit einem vorläufigen Aufenthaltsstatus nicht das Geld in die Heimat transferieren.

Und auch das Veto der FDP gegen das geplante EU-Lieferkettengesetz, nachdem man sich eigentlich schon im Dezember geeinigt hatte, ärgert Kretschmann: „Wir müssen aufpassen, dass wir nicht mehr als verlässlich gelten und die Mehrheiten nicht um uns herum organisiert werden.“

Nach so viel Unbill gibt es in der Landesvertretung hingegen eine schöne Veranstaltung zu „The aerospace Länd“ – Luft- und Raumfahrttechnologie in Baden-Württemberg. Da kann Kretschmann den Satz loswerden: „Die Mondlandung war ein Coup, aber die eigentliche Meisterleistung war, wieder zurück zu kommen.“ Der Mond ist jedenfalls auch weit genug weg von der Landespolitik.

Rafael Binkowski

Chefredakteur des Staatsanzeigers

0711 66601 - 293

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