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Landwirtschaft 

Landwirte beklagen hohe Anforderungen und wenig Rückhalt

Die Landwirtschaft gilt als einer der Hauptverursacher der Biodiversitätskrise. Dass praxisferne Förderstrukturen Teil des Problems sind und die Politik mangels Realitätsbezug ihre eigenen ökologischen Ziele untergräbt spielt in der Debatte kaum eine Rolle, wie eine Bauersfamilie aus Schlaitdorf kritisiert.

Auf dem Bauernhof in Schlaitdorf gibt es neben einem Hofladen und einer Brennerei auch Pferde und 200 Mastbullen.

Daniela Haußmann)

Schlaitdorf. Emily Schröder ist es leid, sich immer wieder die Urteile und Vorurteile ihrer Mitmenschen anzuhören, ohne dass die ihr einmal zuhören. Die Landwirtin aus Schlaitdorf (Kreis Esslingen) kritisiert, dass in der Öffentlichkeit ständig der Eindruck erweckt wird, dass ihr Berufsstand rücksichtslos jeden Cent aus Mutter Natur quetscht, um maximalen Profit zu machen, während die Gesellschaft die Zeche zahlt. Politik und Bürger stellen hohe Ansprüche an Nahrungsmittel, Gesundheit, Biodiversität und Klimaschutz. „Nur kosten soll es nichts“, so die 21-Jährige. Besonders stört sie, dass die Agrarpolitik ökologische Leistungen, die Landwirte erbringen, nicht angemessen honoriert.

Subventionen in der Landwirtschaft stagnieren seit 20 Jahren

Seit der Jahrtausendwende führen ihre Eltern, Steffen und Sonja Schröder, den 130 Hektar großen Betrieb zu dem neben einem Hofladen und einer Brennerei auch Pferde und 200 Mastbullen gehören. Die Subventionssätze würden seither weitestgehend stagnieren. „Obwohl die an den Zuschuss gekoppelten Auflagen im Umwelt-, Klima- und Biodiversitätsschutz in 24 Jahren um ein Vielfaches gestiegen sind und eine Mehrbelastung bedeuten“, moniert der 48-Jährige. Zuletzt sei die Kaufkraft auch inflationsbedingt gesunken. Die realen Preissteigerungen für betriebliche Kosten würden die Zahlungen aber nicht abbilden. „De facto sanken unsere Einnahmen stetig“, bilanziert der Bauer.

Emily Schröder bringt es klar auf den Punkt: „Betriebswirtschaftlich ist es besser, die 400 Bäume auf unseren Streuobstwiesen rauszureißen und damit auf Zuwendungen in Höhe von 300 Euro/Hektar zu verzichten.“ Das spare Kosten für Arbeitszeit, Betriebsmittel, Auflagen, Dokumentation und andere Bürokratie. Anstatt Anreize für Agrarumweltmaßnahmen zu setzen, macht die Förderpraxis aus ihnen ein Draufleggeschäft auf das Steffen Schröder bewusst verzichtet. Eines von vielen Beispielen, das für den Landwirt zeigt, dass eine wenig an Realitäten ausgerichtete Politik die eigenen ökologischen Ziele mehr verhindert als unterstützt. Begriffe wie Massentierhaltung, Monokultur, Pestizide, Nitrat oder Gentechnik prägen die Diskussion. „Gleichzeitig werden Lebensmittel aus Übersee importiert, die teils unter widrigsten Bedingungen produziert worden sind“, schüttelt Schröder den Kopf.

Hohe Umweltstandards in Deutschland und EU

Laut der Heinrich-Böll-Stiftung zählt etwa Brasilien zu den weltweit größten Verbrauchern von Pflanzenschutzmitteln, die unter anderem auch aus Deutschland eingeführt werden. Im Jahr 2010 hat das Land 384 501 Tonnen und 2022 insgesamt 720 870 Tonnen verbraucht. Ein Anstieg von 87 Prozent in 12 Jahren. Zum Einsatz kommen laut Greenpeace auch in der EU verbotene Mittel die etwa Fruchtbarkeit oder Föten schädigen. „Gleichzeitig ziehen die EU und Deutschland, wo mit die höchsten Umweltstandards gelten, die Daumenschrauben bei uns Bauern an“, betont Emily Schröder. „Der Handel mit fragwürdigen Agrargütern wird sogar noch ausgeweitet, weil uns durch die von der EU geforderte Stilllegung von vier Prozent der Agrarfläche Futtermittel verloren gehen, die zugekauft werden müssen.“

Jonas Weber, der an der DHBW Ravensburg den Studiengang Agrarwirtschaft leitet, kann die Verärgerung nachvollziehen. Importzölle auf bestimmte Waren im EU-Raum unter Berücksichtigung ökologischer Aspekte zu etablieren oder zu erhöhen löse das Dilemma nicht, da das Ausland im Gegenzug mit teils massiven Einfuhrbeschränkungen den Zugang zum Inlandsmarkt erschweren könne. Da der Markt Leistungen für Tierwohl und den Erhalt natürlicher Ressourcen kaum oder gar nicht honoriere, müsse die Agrarpolitik den Auf- und Ausbau regionaler Vermarktungsstrukturen und von Mehrwertmärkte für nachhaltig erzeugte Güter besser unterstützten. „Tierwohlprogramme oder spezielle Label sind erste Ansätze, um hier Lösungen zu bieten“, so Weber.

Bäuerliche Betriebe können sich laut dem Fachmann zudem breiter aufstellen. Neue Produkte und mehrere Betriebszweige steigern die Wertschöpfung und puffern das Risiko einer sinkenden Rentabilität.

Pladoyer für einen Förderrahmen, orientiert an Gegebenheiten vor Ort

Um bei Bewirtschaftern Anreize für ökologische Maßnahmen zu setzen, plädiert er für einen an regionalen Gegebenheiten orientierten Förderrahmen, der vor Ort konkret erbrachte Leistungen gratifiziert. Dabei sei es wichtig, den Schwerpunkt der Förderung weg von der Produktion hin zu den Ökosystem-Dienstleistungen zu legen. Gleichzeitig sollten freiwillige Maßnahmen, die die Betriebe in Kooperation mit dem Naturschutz zur ökologischen Weiterentwicklung der Kulturlandschaft erbringen, insgesamt finanziell ausgebaut werden, oder zumindest den Mehraufwand der Bewirtschafter decken, findet Weber.

Emily Schröder hat Angst ihren Hof aufgeben zu müssen. Sie fühlt sich abgehängt, ausgegrenzt und nicht ernst genommen. Von Politik, Behörden und Naturschutz würde sie sich einen kooperativen Ansatz wünschen, durchgesetzt werde aber permanent nur Ordnungsrecht. Sie ist überzeugt: „Das hilft weder der Biodiversität, noch lassen sich Bauernhöfe erhalten, auf die der Naturschutz zum Erhalt einer artenreichen Kulturlandschaft angewiesen ist.“

Viele Höfe geben auf

Laut Statistischem Bundesamt haben von 2014 bis 2019 jährlich rund 3200 landwirtschaftliche Betriebe aufgegeben. Von 2020 bis 2023 waren es bundesweit 2600 pro Jahr. Laut der Landwirtschaftszählung 2020 hat die Hälfte aller Betriebe eine weitere Einkommensquelle etwa durch Fremdenverkehr, Forstwirtschaft, Fischzucht, Pensions- und Reitsportpferdehaltung, Gesundheits-, Sozial- oder Bildungsleistungen. 2010 lag der Anteil noch bei rund 33 Prozent.

Viele Landwirte beklagen eine realitätsferne Politik.

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