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Landwirtschaft

Von Konzepten und Kneipen: Aiwanger und Kretschmann im Bauerngespräch

Szenen zweier Besuche von Hubert Aiwanger und Winfried Kretschmann bei Landwirten, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Von Stefanie Schlüter und Tobias Dambacher

Es ist derzeit nicht nur auf den Feldern frostig. Winfried Kretschmann (Grüne) und Hubert Aiwanger (Freie Wähler) treffen bei ihren Besuchen auf landwirtschaftlichen Höfen auf gefrustete Landwirte – und gehen damit unterschiedlich um.

Achim Zweygarth)

Ditzingen/Ellwangen. Es ist kalt in der Halle auf dem Biolandhof Grieshaber & Schmid in Ditzingen. Rund 20 Landwirte Biobauern wie konventionell arbeitende Bauern sitzen am Tisch. Unter ihnen Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne). Er ist gekommen, um mit den Landwirten zu sprechen und vor allem, um ihnen zuzuhören.

Zuhören will rund 100 Kilometer östlich auch Bayerns stellvertretender Ministerpräsident Hubert Aiwanger (Freie Wähler). Spricht danach allerdings ziemlich viel. Er stehe für seine „Stammtischpolitik“, sagt er. Schließlich säßen am Stammtisch seine „Berater“, Leute, die es im Leben zu etwas gebracht hätten, aus dem richtigen Leben, „mit gesundem Menschenverstand“, Familienväter, Lehrer, Ärzte, Gastronomen. Rund 800 bis eintausend Zuhörer sind in die Maschinenhalle von Kartoffelbauer Anton Wagner in Ellwangen-Neunheim gekommen.

Kretschmann will für den Strategiedialog Landwirtschaft werben. Denn dieses von ihm eingeführte Format arbeitet schon seit Längerem und soll im Herbst Ergebnisse vorlegen. Kretschmann hat die Sorge, dass die Wut der Bauern über die Streichung der Agrardieselsubventionen den Dialog platzen lassen könnte. „Dann bin ich aus dem Spiel“, so der Ministerpräsident. Er wirbt: „Wir müssen miteinander reden, um etwas zu verändern. Auf Dauer hilft keine Wut.“

Aiwanger schimpft. Auf die Ampelregierung, auf Bürokraten, die „hinter Gummibäumen am Schreibtisch“ aufgewachsen seien und Waldgesetze machten. Es gibt bestätigende Zwischenrufe, viel Applaus, sogar im Stehen. Aiwanger sagt, was sein Stammtisch hören will, gibt den Kümmerer für die Landwirtschaft.

Ruhe und Sorgen bei Kretschmann auf dem Biolandhof

Die Gesprächsatmosphäre auf dem Biolandhof mit Kretschmann ist ruhig. Umso deutlicher werden die Probleme und Sorgen der Landwirte. Und einen Versuch von Kretsch-manns Mitarbeitern, den Terminplan des Ministerpräsidenten einzuhalten, wischt dieser vom Tisch. Er will mit den Landwirten sprechen. Jeder, der ihm etwas sagen möchte, soll hier in Ditzingen zu Wort kommen.

Aiwanger führt aus: Bäuerliche Kleinstrukturen müssten gegen Großinvestoren verteidigt werden. Es könne nicht sein, dass man heute mit staatlicher Beratung einen Schweinestall baue, der zwei Jahre später verboten werde. Offene Märkte ja, aber fair – und nicht heimische Ware künstlich durch Auflagen verteuern, die durch billige Konkurrenz aus dem Ausland ohne strenge Gesetze nicht mehr marktfähig sei. „In China bauen sie schon 20-stöckige Schweineställe, über die wir keine Kontrolle haben“, sagt Aiwanger. Komme das Schweinefleisch in Zukunft aus China, müsse man schon froh sein, wenn Schwein drinsteckt, wenn es draufsteht. Applaus.

Die Bauern bei Kretschmann haben einiges zu sagen: Es geht um Steuerfragen, um deutlich gestiegene Betriebskosten, um sich ständig verändernde Anforderungen, um zunehmende Auflagen. Eine davon ist Glöz 5 so der Fachbegriff. Dahinter verbirgt sich die Begrenzung von Erosion. Doch das derzeitige Papier ist völlig praxisfern, darin sind sich die Landwirte einig. Sie zeigen es Kretschmann draußen auf dem Acker.

Aiwanger attackiert die Ampel-Regierung: Kliniken würden geschlossen und auf Gewinn ausgerichtet, während laut seiner Aussage „Lauterbach Cannabis legalisiert“. Dabei kritisiert er die Ideologien, die eine rationale Politik verdrängten. Aiwanger gerät in Rage, ballt die Faust und fuchtelt dabei mit den Händen.

Die Landwirte erklären Kretsch-mann die Folgen von Glöz 5. Viele können ihren Boden nicht mehr so bearbeiten, wie es notwendig wäre, gerade auch für die Biobewirtschaftung. Und die Ausnahmeregelungen, die das Land erlassen könnte, lassen auf sich warten. Sie hängen irgendwo zwischen Landwirtschafts- und Umweltministerium. Weswegen eine Reihe Landwirte bereits im Dezember an die zuständigen Minister Peter Hauk (CDU) und Thekla Walker (Grüne) geschrieben hat.

Aiwanger ist bei der Migrationspolitik angekommen. „Einwanderer über sichere Drittländer lassen wir nicht mehr rein.“ Sendet klare Botschaften: Werde die „Masseneinwanderung“ nicht begrenzt, „fliegt uns das Land um die Ohren“. Bürgergeld? Ruinös. Erbschaftsteuer? Abschaffen. Rentenbesteuerung? Falsch. „Die halbe Welt will nach Deutschland einwandern, aber unsere Leistungsträger wollen weg“, konstatiert Aiwanger und bilanziert wiederholt: „Es stimmt etwas nicht.“

Die Ackerflächen des Biobetriebs Grieshaber & Schmid, auf dem im vergangenen Sommer die Ökofeldtage stattfanden, liegen fast vollständig in Erosionsgefährdungsklassen. Durch ein Anbausystem mit einer Vielzahl an Kulturen, mehrjährigem Luzernegras in der Fruchtfolge, Zwischenfruchtanbau und organischer Düngung konnten dort bislang auch Kartoffeln und Gemüse angebaut werden. Derzeit ist unklar, ob das mit den neuen Vorschriften wirtschaftlich überhaupt noch möglich ist.

Aiwanger gibt ein Bekenntnis zur Jagd ab, als Jahrtausende alte Tradition und „normale Form der Naturnutzung“. Wer heute ein Fell trage, sei „mindestens böse“, aber Hormonkleidung aus Erdöl sei in Ordnung. Wölfe, die Weidetiere angreifen, müsse man bejagen dürfen. Doch Deutschland bekomme nicht einmal den Wolfabschuss geregelt – wolle aber Terroristen bekämpfen.

Auch der Biohof von Swen Seemann kämpft mit Glöz 5. Der Hof, der in der ganzen Region vor allem für seine Erdbeeren bekannt ist, ist mit 87 Prozent seiner Fläche von der Erosionsvorschrift betroffen. „Wir brauchen eine praktikable Lösung“, fordern die Landwirte von Kretsch-mann, der verspricht, sich um dieses Thema zu kümmern.

Aiwangers Rezept: Traditionen und Werte im Fokus

Nach eineinhalb Stunden nimmt Aiwanger Kontakt auf, geht von Tisch zu Tisch, macht Selfies, klopft Schultern. Traditionen, Werte, Wahlkampf – Aiwanger kommt an. Zufrieden fahren die meisten – knapp hundert Landwirte sind mit ihren großen Traktoren gekommen – nach Hause.

Die Diskussion mit dem Ministerpräsidenten ist sehr sachlich. Doch man merkt den Landwirten auch Frust und Verärgerung an. Sie verweisen darauf, dass die Landwirte im Land noch nie besser ausgebildet waren als heute. Viele der jungen Bauern haben ein Studium oder einen Meister. „Wir haben unseren Beruf gelernt. Einem Zimmermann schreibt man ja auch nicht vor, wie herum er einen Nagel einschlagen soll“, so ein junger Landwirt. Und die Bauern sprechen bei Kretschmann an, ob Vertreter aus der Praxis überhaupt bei Gesetzen und Verordnungen vertreten gewesen seien. „Es muss gelingen, auf dem Weg zu einem Gesetz oder einer Verordnung mehr Praxis einzubinden“, versprach der Landwirtschaftssprecher der Grünen im Landtag, Martin Hahn. Die Landwirte hoffen nun, dass Kretschmann zumindest bei den Punkten, bei denen das Land tätig werden kann, dafür sorgt, dass sich ihre Situation verbessert und mehr Verständnis für die Belange der Landwirte geweckt wird.

Ministerpräsident Winfried Kretschmann besucht den Bio-Bauernhof Grieshaber & Schmid in Ditzingen und setzt sich für einen konstruktiven Dialog ein.
Bayerns stellvertretender Ministerpräsident Hubert Aiwanger spricht in der Maschinenhalle von Kartoffelbauer Anton Wagner in Ellwangen.

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