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Herrenberger Gespräche

„Lasst uns Menschen sein!“

Was tun gegen Antisemitismus in Zeiten des Hamas-Terrors und des Krieges in Gaza? Man redet miteinander. So geschehen am Montag bei den zweiten „Herrenberger Gesprächen“.

Barbara Traub, Michael Blume, Rafael Binkowski, Carsten Beneke, Yasemin Soylu und Friedmann Eißler (v.l.n.r.) debattierten in Herrenberg über Antisemitismus.

Achim Zweygarth)

Herrenberg. „Sei ein Mensch.“ Diese drei Worte habe ihm sein Vater mitgegeben, ein jüdischer Überlebender, der im Übrigen ein Leben lang darüber geschwiegen habe, was er in der Nazizeit Schreckliches erlebt hatte, um seinen Kindern nicht zuzumuten, was vielleicht nicht zuzumuten ist. Das berichtete Marcel Reif, der bekannte Sportreporter, kürzlich beim Holocaust-Gedenken im Bundestag. Und dass die Deutschen eine zweite Chance bekommen hätten. Dies sei weit mehr als eine Mahnung oder ein Appell. Es sei eine Pflicht.

Es war nicht dieselbe Botschaft, aber doch eine verwandte, die am Montag von den „ Herrenberger Gesprächen“ im katholischen Gemeindezentrum St. Martin ausging. Michael Blume, Antisemitismusbeauftragter der Landesregierung, der seit dem Angriff der Hamas am 7. Oktober Morddrohungen erhält, sagte: „Lasst uns Menschen sein!“ Und dass wir den Antisemitismus erst überwunden haben würden, wenn wir erkennen würden, dass auch Juden Menschen seien, die Fehler machen.

Eine Jüdin und ein Protestant schreiben ein Buch

„Ich fand es erstaunlich, dass wir gelacht haben, statt uns anzuschreien“, fasste Rafael Binkowski später den Abend zusammen. Der Chefredakteur des Staatsanzeigers und Chef der Landespressekonferenz führte zusammen mit Carsten Beneke vom Haus der Diakonie in Herrenberg durch den Abend – wie schon bei der Erstauflage der Herrenberger Gespräche im November. Damals ging es um die Ursachen für den Angriff der Hamas auf Israel. Diesmal war Antisemitismus das Thema.

Der Abend hatte mit einem Zwiegespräch begonnen, das so leichtfüßig daherkam, als gäbe es all die Probleme nicht. Eine Jüdin und ein Protestant, der noch dazu mit einer Muslimin verheiratet ist, tauschten sich auf offener Bühne über ihr gemeinsames Buch aus, das in der Corona-Zeit entstand und den Titel „Wenn nicht wir, wer dann?“ trägt.

Barbara Traub und Michael Blume, die sich seit Jahrzehnten kennen, habe eine Art Briefroman veröffentlicht, genauer einen E-Mail-Roman. Beide erzählen darin aus ihren Leben und ihren Welten: Traub ist Österreicherin, Sozialdemokratin, Psychotherapeutin und Sprecherin der israelitischen Religionsgemeinschaft Württemberg, Blume Protestant und Christdemokrat und seit 2018 Beauftragter der Landesregierung gegen Antisemitismus.

Am Ende erzählten sie sogar Witze und dann fasste Carsten Beneke dieses Zwiegespräch mit den Worten zusammen: „Wenn man nur Ihnen zuhört, könnte man meinen, wir haben kein Problem.“

Dabei könnte gerade diese unbeschwerte Form des Dialogs ein Problem sein. „Die Hamas wird es nicht zulassen wollen“, warnte Blume, dass Menschen unterschiedlicher Religionen sich offen austauschten. Zumal, wenn auch Muslime sich an diesem Dialog beteiligten. Wie Yasemin Soylu , Geschäftsführerin der muslimische Akademie Heidelberg, die zusammen mit Friedmann Eißler , Islambeauftragter der evangelischen Landeskirche Württemberg, am zweiten Programmpunkt, einer Podiumsdiskussion, teilnahm.

Baden-Württemberg als ein Ort, an dem man über Frieden spricht

Zu viert debattierten sie – Blume, Traub , Soylu und Eißler – über die Frage, was man gegen den Antisemitismus tun kann, der von überall herkommt, insbesondere aus islamischen Ländern. Blume berichtete, dass ihm Jesidinnen, die die Landesregierung nach Baden-Württemberg geholt hatte, berichtet hätten, im Irak in der Schule gelernt zu haben, dass alle Juden Hörner hätten. So etwas muss man erst einmal aus den Köpfen bekommen.

Ein Dialog sei oft schon deshalb nicht möglich, weil man sich nicht auf die Fakten einigen könne, etwa, was die Frage angeht, was 1948 geschah, als der Staat Israel gegründet wurde und viele Palästinenser ihre Heimat verloren. Baden-Württemberg, könnte in diesem Konflikt eine wichtige Rolle zukommen, sagte Blume: „Wir können ein Ort sein, an dem man über Frieden sprechen kann.“

Wie schon bei der Erstauflage der „Herrenberger Gespräche“ war der Saal voll. Etwa 120 Gäste kamen zu der Veranstaltung, die vom Staatsanzeiger mitveranstaltet wurde.
Michael Schwarz

Redakteur Politik und Verwaltung

0711 66601-599

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