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Europawahl

Michael Bloss: „Die EU ist für uns der Garant für Frieden und Wohlstand“

Michael Bloss wurde 2019 erstmals ins EU-Parlament gewählt. Der Grünen-Politiker führt die Landesliste an und hat bundesweit den Listenplatz 4 inne. Bloss' Schwerpunkt liegt auf der Klima- und Energiepolitik. In diesem Bereich hat er für die Grünen auch das EU-Klimaschutzgesetz verhandelt.

Der Grünen-Europaabgeordnete Michael Bloss setzt sich für eine Stärkung der Solarindustrie in Europa ein und hat dazu auch eine Petition an die EU-Kommissionspräsidentin gestartet.

dpa/Robert Michael)
Staatsanzeiger: Wie haben Sie Ihre erste Legislaturperiode in Brüssel erlebt? Gab es ein einschneidendes Erlebnis?

Michael Bloss : Meine erste Legislaturperiode war sehr ereignisreich. Ich durfte für die Grünen viele Gesetze verhandeln. Gleich am Anfang stand der Green Deal und das Klimaschutzgesetz. Damit haben wir festgelegt, dass wir bis 2050 in der EU klimaneutral sein wollen und dass wir bis 2030 den CO2-Ausstoß um 55 Prozent reduzieren wollen. Das waren harte Verhandlungen. Als Parlament wollten wir mehr als die Mitgliedstaaten. Aber auch im Parlament war es nicht einfach, die Stimmen zusammenzubekommen. Am Ende haben wir es dann geschafft, dass die polnischen Konservativen von der Tusk-Partei mit uns gestimmt haben.

Und dann kam Corona.

Ja. Das war total einschneidend. Immerhin waren zwei Drittel der Parlamentarier im EU-Parlament neu. Wir mussten uns ja auch erstmal zurechtfinden. Und dann hieß es plötzlich: Homeoffice. Eigentlich wollten wir gerade richtig loslegen und dann war die Europäische Union in einer tiefen Krise. Die Zustimmungswerte der Bürger zur EU sind rapide gefallen. In Italien auf unter 30 Prozent. Man hatte das Gefühl, die EU hilft nicht. Deshalb war es uns ganz wichtig, trotz Corona, die Grenzen offen zu halten. Wir hatten Angst, dass uns sonst die Europäische Union um die Ohren fliegt. Aus den heftigen Einschnitten resultierte dann auch der Corona-Aufbaufonds mit 800 Milliarden Euro.

Der Angriff auf die Ukraine die Karten beim Thema Energie neu gemischt.

Das war wieder ein unglaublicher Einschnitt. Damit wurden erneuerbare Energien nicht nur zu einem Instrument, den Klimaschutz sicherzustellen, sondern auch zu unseren Freiheitsenergien, um uns unabhängig von Putin zu machen und ein eigenes Energiesystem aufzubauen.

Gerade mit dem Green Deal wurden große Hoffnungen verknüpft. Inzwischen hat man das Gefühl, dass der Green Deal gar keine so große Rolle mehr spielt.

Mit dem Green Deal wurde viel erreicht und angestoßen. So haben wir entschieden, dass die Genehmigungsverfahren beschleunigt werden müssen. Windräder beispielsweise müssen nach zwei Jahren genehmigt sein. Liegt die Genehmigung dann nicht vor, darf gebaut werden. Das wird viel verändern. Die EU-Entscheidung muss jetzt noch in deutsches Recht umgesetzt werden. In manchen EU-Staaten ist es sogar schon umgesetzt.

Was bedeutet der Green Deal für den Klimaschutz?

Vor dem Green Deal lag Europa auf einem Pfad von 3,2 Grad Erderwärmung. Nach dem Green Deal sind wir jetzt auf 2,2 Grad. Das ist noch nicht konform mit dem Vertrag von Paris, der unter 2 Grad fordert, aber wir haben schon ein Grad gut gemacht.

Der Green Deal wurde von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen angestoßen. Wie geht es in der kommenden Legislatur damit weiter?

Auch wenn eine Präsidentin, die aus der CDU kommt, den Anstoß dazu gegeben hat, kamen die Mehrheiten für die Gesetzgebung beim Klimaschutz in der Regel immer ohne die CDU zustande. Deshalb wird mit der Europawahl auch eine Entscheidung getroffen werden, wie es mit der Modernisierung der Wirtschaft und dem Klimaschutz weitergeht.

Das bedeutet?

Es wird darum gehen, ob wir eine Mehrheit mit den Grünen bekommen, oder eine Mehrheit mit den Rechtskonservativen, also der Pis-Partei in Polen, der VOX-Partei in Spanien und der Fratelli d’Italia. Ich hoffe, dass die Entscheidung so ausfällt, dass wir den eingeschlagenen Weg weitergehen können. Denn unsere größten Wettbewerber, die USA und China, die investieren riesige Summen in die Modernisierung der Wirtschaft, in die Produktion von Solaranlagen, Windkraft, Wärmepumpen, Elektrolyseuren. Wenn wir uns da rausziehen, verlieren wir in Europa unsere Wettbewerbsfähigkeit. Denn Klimaneutralität und Dekarbonisierung sind die Zukunftsmärkte.

Sie haben eine Petition gestartet „Rettet die Solarindustrie in Europa“ und fordern EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zum raschen Handeln auf. Was versprechen Sie sich davon?

Die Solarindustrie ist in Deutschland und Europa fast ausradiert worden, nachdem die Große Koalition die Art der Finanzierung komplett gestrichen hat. Die Chinesen sind dran geblieben, haben die Maschinen aus Europa gekauft und mit den neuesten Maschinen dann begonnen, Solarpaneele zu fertigen. Inzwischen kommen über 90 Prozent der Solaranlagen, die wir in Deutschland und in Europa verbauen, aus China. Das ist für uns auch eine Gefahr. Wenn China nicht mehr liefert, können wir unsere Energiewende nicht umsetzen. Deswegen brauchen wir unbedingt eine eigene Solarindustrie in Europa. Immerhin haben wir in Deutschland die besten Forschungsinstitute, wie etwa das Fraunhofer ISE in Freiburg.

Wie kann die EU die Solarindustrie in Europa stützen?

Es gibt da zwei Möglichkeiten. Zum einen könnte sie die Solarzellen, die derzeit auf Halde produziert werden, abkaufen. Das wäre eine konkrete Hilfe. Außerdem würden Resilienzausschreibungen helfen. Das würde bedeuten, dass Solaranlagen besonders gefördert werden, wenn die Produktion der Anlagen auch sozialen und Menschenrechtsstandards entspricht. Dann wären die Chinesen bei der Lieferung draußen. Denn die meisten Solarzellen dort kommen aus Xinjiang, also der Region, wo die Uiguren unterdrückt werden.

Warum ist Ihnen der Aufbau einer eigenen Solarindustrie so wichtig?

Es gibt Berechnungen, dass in der Solarbranche international im Jahr 2030 mehr Menschen arbeiten werden als in der Automobilbranche. Es ist also ein unglaublicher Wachstumsmarkt, von dem Europa profitieren sollte. Außerdem können wir kein Interesse an einem chinesischen Monopol haben, über das uns dann auch die Preise diktiert werden.

Das EU-Parlament hat ein Gesetz, das den Energieverbrauch von Gebäuden senken soll, gebilligt. Aber es gibt keine Mindeststandards für Wohngebäude. Bleibt es damit ein zahnloser Tiger?

Das ist ein Problem. Wir wissen, dass gerade im Gebäudesektor viel zu viel Energie verloren geht. Aber nach der Debatte um das Heizungsgesetz in Deutschland, konnten wir da nicht mehr erreichen. Deshalb schauen wir uns nicht das einzelne Gebäude an, sondern den Gebäudebestand. Die Mitgliedstaaten sind nun verpflichtet, die Renovierungsrate im Schnitt entsprechend hoch zu halten. Wie sie das machen, ist ihnen überlassen. Gerade für solche Renovierungs- und Sanierungsarbeiten ist ja auch der Corona-Wiederaufbaufonds gedacht. Zugleich zeigt sich an dem Gesetz auch, dass der Green Deal gerade von konservativen und rechten Parteien nicht mehr ernst genommen wird. Es wird immer wieder versucht, die Veränderungen abzuwürgen oder zu hintertreiben.

Viele Menschen haben das Gefühl, dass die EU weit weg ist und nichts mit Ihrer Lebenswirklichkeit zu tun hat. Was antworten Sie?

Ich kann nur jedem sagen: Nehmt die EU ernst. Sie wird in den nächsten Jahren noch wichtiger werden. Wir haben mit Putin einen aggressiven Nachbarn, der uns auch heute schon mit Geheimdienst und Cyberattacken angreift. Und sollte Trump die nächste Wahl in den USA gewinnen, dann sind wir auf der Welt relativ allein. Baden-Württemberg und auch Deutschland werden sich da nicht allein behaupten können. Da brauchen wir die Stärke der Europäischen Union als ganzes. Die EU ist für uns der Garant für Frieden und Wohlstand.

Dennoch wird auf die EU auch viel Negatives projiziert.

Es ist das Recht eines jeden in einer Demokratie zu sagen, dass er sich vom Staat oder von der EU eine andere Richtung wünscht. Das muss man dann politisch aushandeln. Aber ein Grund, warum wir auf europäischer Ebene viele Dinge regeln, ist auch, dass die Wirtschaft gemeinsame Regeln fordert. Stellen Sie sich vor, ein Maschinenbauer oder ein Schraubenhersteller aus Baden-Württemberg müsste in jedem EU-Mitgliedsland andere Kriterien erfüllen. Mit der EU machen wir aus 27 Regelungen eine.

Europa ist für viele Menschen weit weg. Wie verhindern Sie, dass sie in Brüssel den Kontakt zu den Menschen hier verlieren?

Mein Lebensmittelpunkt ist weiterhin Stuttgart. Hier lebt meine Familie, meine Kinder. Hier lebe ich, auch wenn ich regelmäßig in Brüssel bin. Ich bin regelmäßig mit den Menschen im Gespräch, besuche Unternehmen. Die Anbindung an den Wahlkreis ist für jeden Politiker zentral. Aber die EU ist auch unglaublich interessant. Denn wir haben hier unterschiedliche Kulturen. Jeder von uns bringt seinen Kontext mit, ob aus Polen, Deutschland, Spanien oder Griechenland. Und das müssen wir dann zusammenbringen.

Was wird für Sie das wichtigste Thema in der nächsten Legislaturperiode?

Für mich geht es auf jeden Fall darum, dass der Green Deal weitergeht. Wir müssen zeigen, dass wir wettbewerbsfähig bleiben, auch wenn wir dekarbonisieren. Gerade Baden-Württemberg ist ein starker Wirtschaftsstandort. Doch das wird er nicht bleiben, wenn wir nichts tun. So etwas hat auch in der Vergangenheit nie funktioniert. Wir müssen jetzt in die Zukunft, und das ist die Klimaneutralität, investieren.

Die Spitzenkandidaten aus dem Land zur Europawahl

Der Staatsanzeiger führt in den kommenden Wochen Interviews mit den Spitzenkandidaten aus Baden-Württemberg von Grünen, CDU, SPD, FDP und AfD für die Europawahl. Den Auftakt macht Michael Bloss von den Grünen. Der 37-jährige Grünen-Politiker kam 2019 erstmals ins EU-Parlament. Seine Schwerpunktthemen sind Klimaschutz und Energiewende. Aufgewachsen ist er im Arbeiterviertel in Stuttgart-Feuerbach. Und schon in seiner Schulzeit hat er sich für eine Solaranlage auf dem Schuldach stark gemacht. Der Klimaschutz ist für ihn nicht allein eine ökologische Notwendigkeit, sondern auch eine ökonomische. Denn damit lässt sich für die Wirtschaft auch Geld verdienen. Zugleich ist ihm wichtig, über ein Klimageld auch die Bürger zu entlasten.

Stefanie Schlüter

stellvertretende Redaktionsleitung und Redakteurin Politik und Verwaltung

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