Ministerin Hoffmeister-Kraut will die Weichen auf „Wirtschaft first“ stellen

Stuttgart . Einen Campus für die Messtechnik mit 2500 Arbeitsplätzen wollte der Optik- und Elektronikkonzern Zeiss in Aalen-Ebnat bauen. Nun soll das Projekt verschoben werden. Als Grund nennt die Geschäftsführung „die geopolitischen und geoökonomischen Turbulenzen der letzten Monate“. Die Entscheidung treffe die Region und die Stadt hart, heißt es aus dem Aalener Rathaus.
Zeiss ist kein Einzelfall. Laut einer Umfrage des Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertags (BWIHK) plant fast jedes dritte Südwest-Unternehmen, seine Inlandsinvestitionen zurückzufahren. „Der Glaube an die Widerstandsfähigkeit des Standorts gegen alle Bürokratie-, Kosten- und sonstigen Belastungen dürfte sich spätestens mit dieser Prognose endgültig verflüchtigt haben“, sagt BWIHK-Vize Claus Paal. Und weiter sagt er: „Wir brauchen jetzt schnell eine Agenda, die Innovationen und Investitionen, Standortkosten, Widerstandsfähigkeit und Bürokratieabbau umfasst.“
Die Lust am Unternehmertum geht in vielen Betrieben verloren
Die Standortschwäche bewirkt, dass jeder externe Störfaktor die hiesigen Unternehmen doppelt stark trifft. Denn am Ende entscheiden nüchterne Zahlen. Rechnet es sich noch, Autos, Maschinen, Elektro- und Medizintechnik sowie Chemie- und Pharmaerzeugnisse herzustellen? All das, worin Baden-Württembergs Industrie bislang weltweit vorne mitmischte. Und ist es noch attraktiv, einen Handwerks- oder Dienstleistungsbetrieb zu führen? „In vielen Familienbetrieben geht die Lust am Unternehmertum verloren“, sagt etwa Martin Joos vom Verband Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau. Wie Joos warnen viele Wirtschaftsvertreter, dass in vielen Unternehmen die Nachfolgefrage ungelöst bleibt, auch weil Bürokratie, Steuern & Co. Interessenten abschrecken.

Eine Wende hält auch Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) für nötig. Sie pocht darauf, „die politischen Weichen“ auf Bundes- und EU-Ebene jetzt auf „Wirtschaft first“ zu stellen. Allein mit Geld ließen sich die großen Herausforderungen des Standorts nicht lösen, spielt sie auf die geplanten Sondervermögen an. Ein wettbewerbsfähiges Umfeld sei nötig. Positive Ansätze dafür sieht Hoffmeister-Kraut im Koalitionsvertrag, etwa die Abschaffung des deutschen Lieferkettengesetzes und das Ziel, Nachweispflichten für Unternehmen zu reduzieren. Zustimmung findet auch, dass die schwarz-rote Koalition Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigen, das Bauen erleichtern sowie die Energiepreise senken will.
Und noch in diesem Jahr sollen Abschreibungen auf Ausrüstungsinvestitionen in Höhe von 30 Prozent kommen. Kleinbetriebe, Selbstständige und Dienstleister dürften davon zwar nicht profitieren, da sie nur auf investitionsintensive Industrien zielen. Dennoch rechnet der Freiburger Ökonom Lars Feld damit, dass dies zusammen mit der ab 2028 schrittweisen Senkung der Körperschaftsteuer zu erheblichen Investitionen führen könnte. Die effektive Steuerbelastung der Unternehmen werde merklich sinken, sagt er.
Deutschland hat international eine der höchsten Steuerbelastungen
Das ist auch nötig. Die Wirtschaftsforscher des ZEW in Mannheim mahnen, dass gerade Deutschland im internationalen Vergleich eine der höchsten Steuerbelastungen für Unternehmen aufweist. Dies würde auch kleine und mittlere Unternehmen in ihrer Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigen, sagt ZEW-Forscherin Julia Spix. Für BWIHK-Präsident Jan Stefan Roell kommt die erst für 2028 geplante Unternehmensteuerreform „zu spät“. Vielleicht findet er Gehör in Berlin, sodass nicht noch weitere Unternehmen wie Zeiss ihre Investitionen abblasen müssen.
