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„Naturschutz wird häufig als Hindernis gesehen“ Naturschutztage

Für den Landesvorsitzenden des Naturschutzbunds, Johannes Enssle, gehen Naturschutz und Planungsbeschleunigung gut zusammen. Vorausgesetzt, alle Beteiligten halten sich an bestimmte Regeln. Das ist auch Thema der Naturschutztage.

Nabu-Landesvorsitzender Johannes Enssle.

NABU/Klaus Echle)

Staatsanzeiger: Alle reden von Planungsbeschleunigung. Wird der Naturschutz zum Bremser bei notwendigen Infrastrukturprojekten?

Johannes Enssle : Wir merken, dass Naturschutz verstärkt als Hindernis gesehen wird, das man beseitigen muss. Etwa um mehr Wohnraum zu schaffen, fällt den meisten nur ein, dass man Umweltstandards schleifen sollte, um schneller voranzukommen. Das macht uns Sorgen.

Vor einigen Jahren sah die Situation noch anders aus?

Ja. Ab 2017 mit der Krefelder Studie zum Insektensterben, dem Volksbegehren „Rettet die Bienen“ und auch den „Fridays for Future“-Demonstrationen gab es eine richtige Aufbruchstimmung. In Baden-Württemberg wurde ein Sonderprogramm zur Stärkung der biologischen Vielfalt aufgelegt, es folgte das Biodiversitätsstärkungsgesetz. Ministerpräsident Kretschmann hatte erklärt, dass er die Trendwende beim Artensterben erreichen wolle.

Wie weit ist man damit gekommen?

Die Bilanz ist gemischt. Das Land hat ambitionierte Ziele formuliert und gute Programme aufgelegt. Aber insgesamt haben wir nach wie vor einen negativen Trend beim Artensterben. Kretschmann hat sein Ziel also noch nicht erreicht.

Umweltministerin Thekla Walker hat im Dezember Karten zum Biotopverbund vorgestellt. Dieser soll die Ausbreitung von Tieren und Pflanzen erleichtern. Wie bewerten Sie den Stand?

Ambivalent. Denn es kommt auf die Qualität der Flächen an. Derzeit existieren sie ja vor allem auf Karten. Hinzu kommt, dass im Gesetz leider nur eine Sollbestimmung steht. Danach sollen die Kommunen diese Biotopverbundflächen planungsrechtlich sichern. Wenn dann aber doch wieder ein Baugebiet draufgelegt wird, haben wir am Ende nichts erreicht.

Wäre es sinnvoll, Ausgleichsflächen für Baugebiete grundsätzlich entlang des Biotopverbunds auszuweisen?

Das wäre sehr sinnvoll. Denn die Ausgleichsflächen haben als solche einen höheren Schutz, da sie im Falle einer Überplanung ja an anderer Stelle wieder neu hergestellt werden müssten. Allerdings gibt es auch bei der Kontrolle und Pflege der Ausgleichsflächen noch große Defizite. Deshalb brauchen wir dringend das gesetzlich versprochene Kompensationskataster, in dem alle Ausgleichsflächen digital einsehbar sind. Darauf warten wir nun schon seit drei Jahren.

Wie stark sind die Auswirkungen des Klimawandels auf den Natur- und Artenschutz?

Sehr stark. Wir befinden uns ja immer noch in den Vorwehen des Klimawandels. Wobei es mehr Verlierer als Gewinner geben wird. Zu den Gewinnern zählen etwa Arten wie der Bienenfresser oder die Gottesanbeterin, die inzwischen verstärkt nach Norden wandern. Tiere, die in Gewässern leben, werden hingegen die Leidtragenden sein, wenn die Gewässer im Sommer zu heiß und sauerstoffarm werden oder gar austrocknen.

Wir brauchen einen zügigen Ausbau der erneuerbaren Energien. Kommen wir da schnell genug voran?

Nein, kommen wir nicht. Wir brauchen eine Planungsbeschleunigung, nicht allein für die erneuerbaren Energien, sondern auch für die Netze und die dazugehörige Infrastruktur. Aber bitte naturverträglich. Wir haben in Baden-Württemberg beim Windkraftausbau ein landesweites Konzept, den Fachbeitrag Artenschutz. Darin ist festgelegt, welche Flächen etwa wegen des Rotmilans oder Fledermäusen nicht bebaut werden sollten. Trotzdem wird dort geplant. Und dann heißt es wieder, der Naturschutz sei schuld und bremse. Das ärgert mich sehr.

Haben Sie ein Beispiel?

Der Lammerskopf bei Heidelberg. Ausgerechnet der Staatsbetrieb Forst BW geht da in eine solche Fläche rein. In dem Gebiet leben windkraftsensible Fledermäuse. Zugleich ist es auch ein europäisches Schutzgebiet mit dem Schutzzweck Fledermäuse.

Dann wäre alles gut, wenn sich alle an die Fachplanung Artenschutz hielten?

Nicht ganz. Wir stehen hinter der Beschleunigung der Planungen. Aber versprochen waren vom Bund auch Hilfsprogramme für den Artenschutz. Darüber wird nicht mal mehr geredet, es gibt keine Förderrichtlinie und auch kein Geld. Allein das Aktionsprogramm natürlicher Klimaschutz war mit vier Milliarden Euro angekündigt. Und davon ist noch nichts zu sehen. Wenn die Ampelregierung nur Versprechen macht, die sie nicht einhält, stellt sie die Akzeptanz aufseiten des Naturschutzes für ihren Kurs auf die Probe.

Andererseits hat man manchmal auch das Gefühl, dass jeder Rotmilan zum Bauhindernis wird.

Sehen Sie, das Narrativ der Gegenseite verfängt. In Wirklichkeit ist das nicht so. Deshalb gibt es ja die ausgewiesenen Flächen. Der Eindruck entsteht aber auch dadurch, weil der Artenschutz häufig erst spät geprüft wird. Vorher wurden schon Hindernisse wie Richtfunk, Wetterradar, Tiefflugzonen oder der Abstand zur Wohnbebauung ausgeschlossen. Hinzu kommt, dass der Artenschutz auch instrumentalisiert wird. Es gibt Menschen, die bevor eine Windkraftanlage vor ihrer Haustür geplant wurde, noch nicht mal wussten, wie ein Rotmilan aussieht, und jetzt plötzlich zu deren größten Schützern werden und fordern, dass wir als NABU gegen die Planungen klagen.

Vor allem in der Agrarlandschaft gelten viele Tier- und Pflanzenarten als bedroht. Etwa das Rebhuhn oder der Kiebitz. Ebenso wie deren Nahrung, die Insekten. Beim Volksantrag gegen den Flächenfraß arbeiten Naturschützer und Landwirte nun zusammen. Setzt hier auf beiden Seiten ein Umdenken zu mehr Kooperation ein?

Ja, das würde ich sagen. Das Volksbegehren „Rettet die Bienen“ vor ein paar Jahren hat dazu beigetragen, dass wir festgestellt haben, dass wir eigentlich im selben Boot sitzen und aufeinander angewiesen sind. Wir sind auch der Meinung, dass sich Leistungen, die die Landwirte für die Gesellschaft erbringen, etwa beim Naturschutz, für die Betriebe auch rechnen müssen. Wir führen mittlerweile auch einen Veränderungsdialog mit der Landwirtschaft, wo wir Themen diskutieren. Wir sind uns nicht immer einig, aber das hat dazu beigetragen, mehr Verständnis und auch mehr Respekt füreinander und für die jeweilige Position zu entwickeln.

Der Volksantrag gegen den Flächenfraß geht auf Naturschutz- und Landwirtschaftsverbände zurück. Eine der zentralen Forderungen ist ein Flächenzertifikatehandel. Ein Gutachten für das Landesbauministerium rät nun davon ab. Sind Sie enttäuscht?

Ja. Ich bin ein bisschen enttäuscht. Denn viele Experten sagen, dass Flächenkontingente oder Flächenzertifikate ein wirksames Mittel seien, um den Flächenverbrauch einzudämmen. In jedem Fall wird es ein wirksames Steuerungsinstrument geben müssen, denn von Sonntagsreden allein, wird die Landesregierung ihre Ziele zur Reduktion des Flächenverbrauchs nicht erreichen können.

Die Naturschutztage am Bodensee gelten als das größte Treffen von Naturschützern im deutschsprachigen Raum. Sie finden jedes Jahr Anfang Januar in Radolfzell statt. Ausgerichtet werden sie im Wechsel vom Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) und vom Naturschutzbund ( NABU ) in Baden-Württemberg. Diesmal ist der NABU an der Reihe. Themen sind Artenschutz und Klimakrise, es geht um Fragen von Naturschutz und Landwirtschaft und um Schutzgebiete. Umrahmt wird die viertägige Tagung vom 4. bis 7. Januar von zahlreichen Exkursionen und Veranstaltungen.  Weitere Infos finden Sie unter:  https://www.naturschutztage.de/

Stefanie Schlüter

stellvertretende Redaktionsleitung und Redakteurin Politik und Verwaltung

0711 66601-41

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