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Psychische Belastung: Schüler und Wirtschaft fordern Hilfe

Mehr als ein Fünftel der Schülerinnen und Schüler gibt laut einer Umfrage an, psychisch belastet zu sein. Das hat langfristig auch negative wirtschaftliche Folgen.
IMAGO/Pond5 Images)Berlin/Stuttgart. „Wir geben gerade Hunderte Milliarden für Infrastruktur, Rente und Verteidigung aus. Wo ist das Geld für belastete Schülerinnen und Schüler? Wir sind die kritische Infrastruktur!“ Mit diesem dramatischen Appell hat der scheidende Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz, Quentin Gärtner aus Waiblingen , auf einer Konferenz in Berlin Maßnahmen zur Stärkung der psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen gefordert.
Im Zehn-Punkte-Papier (siehe Kasten) verlangt der angehende Student der Molekularbiologie vor allem mehr Personal für Schulsozialarbeit und Schulpsychologie. Konkret nannte er in einem Interview mit dem Deutschen Schulportal „einen Schlüssel von einer Vollzeitstelle Schulsozialarbeit auf 150 Schüler und eine Vollzeitstelle Schulpsychologie auf 300 Schüler“. Zur Einordnung: Derzeit kümmert sich im Bundesschnitt ein Schulpsychologe um rund 5200 Schüler, in Baden-Württemberg um rund 7850. Zweitens will Gärtner an Schulen einen Raum, „in dem sich alle wohlfühlen können“.
Und Lehrer müssten besser für den Umgang mit der psychischen Belastung von Schülern ausgebildet sein. „Denn 78 Prozent der Lehrkräfte fühlen sich von der aktuellen Situation überfordert“, so Gärtner.
IW-Chef weist auf langfristige negative wirtschaftliche Folgen hin
Michael Hüther vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln unterstützt die Forderungen der Schüler, so wie 20 weitere Einrichtungen, etwa die Robert-Bosch-Stiftung in Stuttgart . Sein Institut zeigt mit einer jetzt veröffentlichten Studie die wirtschaftlich negativen Folgen des Nichtstuns auf. Es sei „bekannt, dass psychische Beeinträchtigungen eine wesentliche Ursache für Schul- und Studienabbrüche sind“, heißt es dort. Eine konkrete Zahl wird auch genannt. Demnach „gehen zwei Drittel der Bezüge von Erwerbsminderungsrenten der unter 30-Jährigen auf psychische Beeinträchtigungen zurück.“
Schülersprecher Gärtner hat aufgrund seiner Herkunft besonders den Südwesten im Blick: „Frau Schopper muss sich dafür einsetzen, Fachkräfte an die Schulen zu bringen.“ Laut Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) sind dafür aber die Kommunen als Schulträger zuständig. Zudem gebe das Land rund 45 Millionen Euro für Schulsozialarbeit aus.
Sebastian Kölsch aus Freiburg ist der Vorsitzende des Landeselternbeirats. Ihm sind zwei Punkte besonders wichtig. „Schulsozialarbeit und -psychologie wird kommunal finanziert und ist deshalb ungleich verteilt“, sagte er dem Staatsanzeiger. Das müsse dringend angegangen werden. Ihm schwebt vor, „dass das Land einen verbindlichen Schlüssel vorgibt und auch finanziert. Wir benötigen dringend eine flächendeckende Pflichtfortbildung aller Lehrkräfte“, betont er.
Denn ehe es zu ganz schweren Folgen einer psychischen Störung komme, also in Richtung Depression und Suizidalität, seien „viele stille Anzeichen da und die muss man erkennen“. Das könnten angesichts der Betreuungsrelationen weder Sozialarbeiter noch Psychologen leisten. „Aber die Lehrer sehen jeden Schüler. Und irgendjemand muss dem Sozialarbeiter oder der Schulpsychologin die Schüler zuführen – und das sind die Lehrkräfte“.
Doch dazu stehe in der jetzigen Fassung der Verwaltungsvorschrift „Prävention und Gesundheitsförderung“, die gerade im Anhörungsverfahren sei, nichts. Es genüge nicht, dass einige Lehrer sich fortbilden und dann als Multiplikatoren wirken sollen wie bisher. „Das sind die beiden Hauptstellschrauben, wo wirklich das Land etwas tun kann“, so Kölsch.
Ein Viertel der Schülerschaft hält die eigene Lebensqualität für gering
Laut Deutschem Schulbarometer geben 21 Prozent der Schüler an, psychisch belastet zu sein. 27 Prozent halten ihre Lebensqualität für gering. Besonders betroffen sind Mädchen. Es kann jeden treffen. So hat etwa Joshua Meisel, Einserabiturient, Medizinstudent und Vorsitzender des Landesschülerbeirats Baden-Württemberg, selbst erfahren, wie belastend eine psychische Erkrankung ist. „Ich konnte nicht mehr zur Schule gehen, weil es mir so schlecht ging“, sagte Meisel im SWR. Daher musste er letztlich sogar ein Schuljahr wiederholen.
Was die Schülervertreter im Zehn-Punkte-Plan fordern
Ein Bündel von Maßnahmen schwebt der Bundesschülerkonferenz vor: Mehr Personal in Schulsozialarbeit und im schulpsychologischen Dienst, bessere Schulstrukturen, Förderung von Medienkompetenz, mentale Gesundheit als Querschnittsaufgabe, Fortbildungen für Lehrkräfte und pädagogisches Personal, Gesundheitsförderung als Teil der Schulkultur, verbindliche Schutzkonzepte gegen Mobbing und Diskriminierung, Vermitteln von Kompetenzen wie Selbstregulation und Stressbewältigung, Schulbauten mit Rückzugsräumen, Begleitung für Kinder und Jugendliche mit Behinderung und in Risiko-Lebenssituationen.